Kolumne: Die WEC braucht ein anderes Punktesystem!
Audi steigt aus, BMW steigt ein: Der Langstrecken-WM (WEC) geht der Gesprächsstoff nicht aus. Dabei hat die Rennserie ganz andere Baustellen, meint Jamie Klein.
Foto: Porsche Motorsport
Zum Beispiel das Punktesystem, das uns in diesem Jahr keinen allzu spannenden Titelkampf beschert. Denn die Herstellerwertung hat Porsche bereits beim vorletzten Rennwochenende in China für sich entschieden. Beim Finale in Bahrain geht es "nur" noch um die Vergabe des Fahrertitels.
Bei einem Vorsprung von 23 Punkten ist die Crew des #2 Porsche aber fast schon durch. Lediglich die Piloten des #6 Toyota können die Spitzenreiter noch abfangen. Und wohl auch nur dann, wenn die Porsche-Fahrer in technische Probleme geraten.
Das liegt auch am Punktesystem der WEC. Es handelt sich um den Modus 25-18-15-12-10-8-6-4-2-1, wie er seit 2010 auch in der Formel 1 verwendet wird. Und kurz nach der Formel 1 haben diesen Schlüssel die meisten Rennserien unter dem Banner des Automobil-Weltverbands (FIA) übernommen. So auch die Langstrecken-WM.
Was ja auch völlig in Ordnung wäre. Wenn man, wie andere Rennserien, ein Feld von 20 oder mehr Fahrzeugen hätte, von denen garantiert 15 die Zielflagge sehen würden. Genau dafür ist dieses Punktesystem nämlich gemacht. Es bietet eben auch den schwächeren Teilnehmern eine Chance auf Punkte, macht es aber zugleich der Spitze nicht zu einfach, sich zu weit vom Rest abzusetzen.
In der WEC wiederum ist so die kuriose Situation entstanden, dass die Spitzenreiter des #2 Porsche – Neel Jani, Romain Dumas und Marc Lieb – seit ihrem Triumph in Le Mans nur 4. oder 5. Plätze einfahren mussten, um in Bahrain als klare Titelfavoriten vorstellig zu werden.
Das soll die Leistung des Trios nicht schmälern. Denn sie haben schließlich genau das gemacht, was sie seit Le Mans tun mussten – sie haben dieses "Spiel" perfekt gespielt. So hat es Dumas in der Pressekonferenz in Shanghai auch formuliert: "auf Sicherheit fahren" – warum auch nicht?
Es verspricht jedoch nicht sehr viel Spannung, die Titelfavoriten dabei zu verfolgen, wie sie im Finale auf Platz 5 einlaufen, damit sie Weltmeister werden. Und das reicht aus, selbst wenn die einzigen Konkurrenten von Toyota den Sieg davontragen. Schade!
Bedenkt man dann, dass der #1 Porsche im Zweifelsfall teamdienlich nach hinten fallen wird, können Jani, Dumas und Lieb in Bahrain gar nicht schlechter sein als Rang 5 – es sei denn, der Defektteufel schlägt so hart zu, dass sogar die LMP1-Privatiers oder ein LMP2-Auto an ihnen vorbeizieht. Aber damit ist nicht zu rechnen.
Ein kleines Zahlenspiel mit einem früheren Punktesystem offenbart, wie aufregend das WEC-Finale doch sein könnte. Gleich 3 Fahrzeuge würden so um den Titel kämpfen. Und die Jungs vom #2 Porsche könnten sicherlich nicht einfach so ins Ziel rollen.
Na, wie klingt ein solches Szenario?
Pos. | #/Team | Fahrer | Punkte |
---|---|---|---|
1 | #2 Porsche |
Romain Dumas Neel Jani Marc Lieb |
50 |
2 | #1 Porsche |
Mark Webber Brendon Hartley Timo Bernhard |
44 |
3 | #6 Toyota |
Stephane Sarrazin Kamui Kobayashi Mike Conway |
43 |
4 | #8 Audi |
Lucas di Grassi Oliver Jarvis Loic Duval |
38 |
5 | #7 Audi |
Andre Lotterer Benoit Treluyer Marcel Fässler |
20 |
Das sieht doch ziemlich gut aus, nicht wahr? Und das große Geheimnis dahinter ist das Formel-1-Punktesystem der Jahre 1991 bis 2002 mit dem Schlüssel 10-6-4-3-2-1 für die Top 6 eines Rennens und mit dem Bonus der doppelten Punkte für Le Mans.
Dadurch hätte der #2 Porsche aber noch immer einen großen Vorteil. Doch ohne den Le-Mans-Bonus sieht die Sache schon wieder ganz anders aus:
Pos. | #/Team | Fahrer | Punkte |
---|---|---|---|
1 | #1 Porsche |
Mark Webber Brendon Hartley Timo Bernhard |
44 |
2 | #2 Porsche |
Romain Dumas Neel Jani Marc Lieb |
40 |
3 | #6 Toyota |
Stephane Sarrazin Kamui Kobayashi Mike Conway |
37 |
4 | #8 Audi |
Lucas di Grassi Oliver Jarvis Loic Duval |
34 |
5 | #7 Audi |
Andre Lotterer Benoit Treluyer Marcel Fässler |
17 |
Dabei gilt es jedoch zu bedenken: Wir wissen nicht, wie sich die Leistung von Dumas, Jani und Lieb entwickelt hätte, wenn sie seit Le Mans hätten mehr tun müssen als einfach nur ankommen. Seit dem 24h-Klassiker lagen sie in jedem Fall deutlich hinter ihren Porsche-Markenkollegen im Auto mit der #1 zurück. Die Titelverteidiger siegten zuletzt in 4 von 5 Rennen.
Mark Webber, Brendon Hartley und Timo Bernhard haben seit dem 4. Rennen des Jahres am Nürburgring mehr oder weniger dominiert. Ihr Ausfall in Le Mans sowie Pech in Spa-Francorchamps und Hartleys Unfall in Silverstone bedeuten aber, dass sie in Bahrain keine Titelchance mehr haben. Und das wäre auch so, selbst wenn sie alle 5 Rennen seit Le Mans gewonnen hätten.
Irgendwie scheint es nicht richtig zu sein, dass diese starke Leistung unbelohnt bleibt. (Ja, sie hat Porsche zum Titelgewinn in der Herstellerwertung verholfen.)
Und 2017 wird es wohl noch schlimmer. Denn aufgrund des Audi-Ausstiegs schrumpft das LMP1-Feld auf nur noch 4 Hybridfahrzeuge zusammen. Pro Rennen gibt es also nur noch 4 realistische Sieganwärter.
Wenn es dabei bleibt, dass Porsche und Toyota jeweils 2 Autos an den Start bringen und ByKolles weiterhin nicht mit den Werksteams mithalten kann, sind pro Rennen 12 Punkte garantiert für ein LMP1-Hybridfahrzeug!
Das wiederum könnte zu einer Situation führen, in der die Weltmeister 2017 ohne Sieg zum Titel fahren. Okay, nicht sehr wahrscheinlich. Aber stellen wir uns mal vor, der #7 Audi wäre in Silverstone nicht disqualifiziert worden und der #5 Toyota hätte in Le Mans noch 5 Minuten länger gehalten, dann würde sich der #2 Porsche schon 2016 in einer genau solchen Situation befinden.
Und darüber sollten die Verantwortlichen der Langstrecken-WM in der Winterpause einmal genau nachdenken, wenn sie sich fragen, wie sie ihre Meisterschaft in die Zukunft führen wollen!
Spinnen wir die Idee noch etwas weiter…
Wo wir schon dabei sind: Lasst uns noch einen Blick darauf werfen, wie die weiteren WEC-Klassen unter einem Punktesystem mit dem Schlüssel 10-6-4-3-2-1 aussehen würden – ebenfalls exklusive der doppelten Punkte in Le Mans.
LMP2
Pos. | #/Team | Fahrer | Punkte |
---|---|---|---|
1 | #36 Signatech Alpine |
Nicolas Lapierre Gustavo Menezes Stephane Richelmi |
56 |
2 | #43 RGR Sport by Morand |
Bruno Senna Filipe Albuquerque Ricardo Gonzalez |
46 |
3 | #26 G-Drive Racing |
Roman Rusinov |
36 |
4 | #26 G-Drive Racing |
Will Stevens |
26 |
5 | #31 Extreme Speed Motorsports |
Pipo Derani Ryan Dalziel Chris Cumming |
26 |
Auch in diesem Fall hätte der #36 Signatech-Alpine den Titel vorzeitig dingfest gemacht, aber die Mannschaft hat es schließlich auch auf 4 Siege gebracht.
LMGTE-Pro
Pos. | #/Team | Fahrer | Punkte |
---|---|---|---|
1 | #71 AF Corse Ferrari |
Davide Rigon Sam Bird |
38 |
2 | #51 AF Corse Ferrari |
Gianmaria Bruni James Calado |
36 |
3 | #67 Ford Chip Ganassi Racing |
Harry Tincknell Andy Priaulx |
34 |
4 | #95 Aston Martin Racing |
Nicki Thiim Marco Sörensen |
34 |
5 | #66 Ford Chip Ganassi Racing |
Stefan Mücke Olivier Pla |
27 |
Hier wird es richtig interessant: Gleich 4 Marken würden sich beim Finale in Bahrain um den Titel streiten. Das wäre doch ein standesgemäßes Ende für die LMGTE-Saison 2016!
LMGTE-Am
Pos. | #/Team | Fahrer | Punkte |
---|---|---|---|
1 | #98 Aston Martin Racing |
Pedro Lamy Paul Dalla Lana Mathias Lauda |
56 |
2 | #83 AF Corse Ferrari |
Emmanuel Collard Francois Perrodo Rui Aguas |
51 |
3 | #88 Abu Dhabi-Proton Racing |
Khaled Al Qubaisi David Heinemeier Hansson Patrick Long |
29 |
4 | #78 KCMG |
Wolf Henzler Joel Camathias Christian Ried |
25 |
5 | #50 Larbre Competition |
Pierre Ragues |
21 |
Auch die LMGTE-Am-Klasse liefert gute Argumente gegen das aktuelle Punktesystem. Die 5 Siege des #98 Aston Martin fallen schier unter den Tisch. Doch mit dem Modus 10-6-4-3-2-1 hätten diese Fahrer einen Vorsprung von 5 Punkten auf den konstanteren #83 Ferrari.
Diese Story teilen oder speichern
Registrieren und Motorsport.com mit Adblocker genießen!
Von Formel 1 bis MotoGP berichten wir direkt aus dem Fahrerlager, denn wir lieben unseren Sport genau wie Du. Damit wir dir unseren Fachjournalismus weiterhin bieten können, verwendet unsere Website Cookies. Dadurch wird Dein Nutzererlebnis optimiert und die Werbung auf Deine Interessen zugeschnitten. Wir wollen dir aber natürlich trotzdem die Möglichkeit geben, eine werbefreie Website zu genießen.