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Grenzerfahrung Eau Rouge: Die Geheimnisse der berüchtigten Spa-Senke

Die berühmt-berüchtigte Kurvenpassage in Spa-Francorchamps aus Fahrer- und Technikersicht, erklärt von Laurens Vanthoor und Sebastian Golz von Porsche

Laurens Vanthoor tritt am Ausgang von La Source, der ersten Kurve auf dem Circuit de Spa-Francorchamps, voll auf das Gaspedal. Der Porsche 911 GT3 R mit schiebt mit mehr als 500 PS nach vorn. Der Geschwindigkeitszuwachs wird durch das Gefälle von rund 15 Prozent erheblich beschleunigt. Mit hohem Tempo geht es durch einen leichten Rechtsbogen.

Vanthoor positioniert sein Fahrzeug am rechten Straßenrand möglichst nah an der weißen Mauer, die die alte Boxengasse von der Strecke abgrenzt und den Klang des hochdrehenden Sechszylinder-Boxer zurückwirft. Etwas weiter unten liegt sie dann: die berühmte Eau Rouge von Spa-Francorchamps. Vollgas oder nicht? "Das ist immer die knifflige Frage, bis du es zum ersten Mal gewagt hast", lacht der Belgier, der auf seiner Heimstrecke, der sogenannten "Ardennen-Achterbahn", bereits zahlreiche Erfolge gefeiert hat.

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Am 24./25. Oktober stehen die Fahrer im Rahmen der 24 Stunden von Spa in jeder einzelnen Runde vor der Herausforderung Eau Rouge. Die Kurvenkombination - offiziell Eau Rouge / Raidillon - hat ihren landläufigen Namen von einem nahegelegenen kleinen Bach. Das stark eisenhaltige Wasser ist rot gefärbt: "Eau Rouge".

Im Qualifying mit frischen Reifen und nur wenig Benzin im Tank wird die legendäre Passage auf der Jagd nach der besten Rundenzeit bei trockenen Bedingungen von vielen Piloten mit Vollgas durchfahren. Im Rennen ist die Situation anders. Die Reifen müssen viele Runden lang halten und behutsam behandelt werden. Das Auto muss innerhalb von 24 Stunden eine Distanz von mehr als 2.500 Kilometern im Renntempo durchhalten. Das Gesamtgewicht des Wagens, über 1.200 Kilogramm plus Fahrer und Treibstoff, ist deutlich höher als im Qualifying. Entsprechend wirken höhere Kräfte.

"Auf keiner Strecke ist mir eine vergleichbare Passage bekannt. Eau Rouge ist weltweit einzigartig", erklärt Sebastian Golz, Leiter des Projekts 911 GT3 R im Hause Porsche. In Spa-Francorchamps wird eine enorme Kompression mit Kurvenfahrten kombiniert. "Auf der Nordschleife schlagen die Autos am tiefsten Punkt der Fuchsröhre ähnlich stark durch, aber dort haben wir diese vertikalen Kräfte nicht", erklärt Golz.

Eau Rouge in Spa-Francorchamps

Ganz unten in Eau Rouge: Die Stelle, an der man als Fahrer (fast) nur den Himmel sieht

Foto: Porsche AG

In Spa geht es nach dem Bergabstück mit bis zu 15 Prozent Gefälle durch eine Links an den tiefsten Punkt, anschließend durch einen schnellen Rechtsbogen in die Steigung. In Raidillon, dem abschließenden Linksknick der Kurvenkombination, geht es mit bis zu 18 Prozent wieder nach oben. Die Sicht ist äußerst eingeschränkt. Für einen kurzen Zeitraum sind nur Himmel und vereinzelte Baumwipfel zu sehen. "Das ist optisch ein wirklich spannender Eindruck, wenn man diese Passage erstmals fährt. Man gewöhnt sich aber daran", sagt Vanthoor.

"Nicht nur die Fahrer, auch viele Komponenten stehen dort bei rund 240 km/h unter maximalem Stress", weiß Projektleiter Golz und beschreibt die Belastungen im Detail: "Die Kompression staucht den Reifen extrem. Gleichzeitig gibt es durch die Fliehkräfte in den Kurven eine seitliche Verformung der Flanken. Es wirken dort lateral bis zu 3,0 g. Das bedeutet für den Porsche 911 GT3 R, dass rund fünf Tonnen nach außen drücken."

"In der Kompression", so Golz weiter, "schlägt das Fahrzeug kurzzeitig mit bis zu 2,5 g nach unten. Die Reifen können diese Kräfte nicht allein aufnehmen oder kompensieren. Die Felgen verformen sich und auch das Chassis ächzt unter der Last. Zum Glück ist unser Porsche 911 GT3 R steifer gebaut als einige andere GT3-Fahrzeuge. Es gab schon Autos, bei denen beim Aufschlagen in der Senke das Chassis gebrochen ist."

Das Konzept des 911 GT3 R beinhaltet, dass die anfallenden Kräfte innerhalb des Chassis verteilt werden und nicht punktuell für Überlastung sorgen. Alle Komponenten leisten ihren Anteil am Abbau der ins Fahrzeug einfließenden Energie. Die Kinematik spielt bei der Fahrt durch Eau Rouge eine äußerst wichtige Rolle.

"Für schnelle Richtungswechsel sollte das Auto möglichst hart abgestimmt sein, aber das würde in Eau Rouge niemals funktionieren", erklärt Golz und weiter: "In der massiven Kompression sorgen die hohen Kräfte für eine große Lastverschiebung. Bei einer harten Abstimmung wäre beim Lenken möglicherweise ein Rad in der Luft. Das darf dort nie passieren. Ich muss alle Räder auf dem Boden halten, um möglichst viel Grip nutzen zu können."

Es ist ein Kompromiss gefragt. Eine zu weiche Abstimmung würde das Auto in der Senke von Eau Rouge zu heftig aufschlagen lassen. "Dabei geht es nicht darum, dass die Dämpfer ihr Limit erreichen. Das ließe sich verhindern. Schlimmer in einem solchen Fall wäre, wenn das Chassis voll aufsetzt. Dadurch werden die Radlasten minimiert, womit ein erheblicher Gripverlust einherginge. Wir müssen das Mittelmaß finden, sodass immer maximaler Kontakt aller Räder zum Boden gewährleistet ist", so Golz.

Sebastian Golz

Ingenieur Sebastian Golz leitet im Hause Porsche das Projekt 911 GT3 R

Foto: Porsche AG

Bei der Erarbeitung der optimalen Abstimmung spielen die Besonderheiten in Eau Rouge eine große Rolle. Aber auch der Rest der insgesamt 7,004 Kilometer langen "Ardennen-Achterbahn" darf nicht vernachlässigt werden.

In schnellen Kurven wie Pouhon oder Blanchimont ist ein Fahrzeug mit möglichst geringer Bodenfreiheit gefragt, um den Abtrieb auf maximalem und konstantem Niveau zu halten. Für Passagen mit schnellen Richtungswechseln wie Les Combes oder der Bus-Stop-Schikane ist eine harte Federung für hohe Agilität der Schlüssel zu guten Rundenzeiten. All dies widerspricht den technischen Wünschen, die für eine perfekte Fahrt durch die Eau Rouge auf der Liste stehen.

"Es geht", so Golz, "immer um den besten Kompromiss. Ich nehme in Kauf, dass das Auto in Eau Rouge etwas aufsetzt, weil ich an anderen Stellen der Strecke mein Fahrzeug möglichst tief haben möchte. Nie vergessen: Die Rundenzeit wird nicht allein in Eau Rouge gemacht, sondern über die gesamten sieben Kilometer. Wenn ich für die knifflige Passage in der Senke zu viel optimiere, verliere ich an anderen Stellen wie Blanchimont zu viel Zeit."

Und mit einem Lachen fügt der erfahrene Porsche-Ingenieur hinzu: "Es ist und bleibt eine großartige Herausforderung. Wer als Fahrer dort voll auf dem Gas bleibt, der hat Mut. Im Gegensatz zum Formelsport hat sich dies im GT3-Bereich über die Jahre überhaupt nicht verändert."

Neben dem fahrerischen Talent sind an der Schlüsselstelle in Spa-Francorchamps enormes Selbstbewusstsein, viel Erfahrung und eine große Portion Mut gefragt. "Es mag vielleicht seltsam klingen, aber Tatsache ist, dass Eau Rouge meistens mit Vollgas einfacher zu meistern ist als mit einem kurzen Lupfen", überrascht Vanthoor mit seiner Einschätzung aus dem Cockpit.

Laurens Vanthoor

Fahrer Laurens Vanthoor: Leuchtende Augen beim Gedanken an Eau Rouge

Foto: Porsche AG

"An dieser Stelle muss sich der Fahrer auf ein absolut berechenbares Fahrzeug verlassen können", sagt der Belgier über Eau Rouge und beschreibt: "Sobald ich vor der Senke etwas vom Gas gehe, gibt es im Fahrzeug eine Lastverschiebung nach vorn - den sogenannten Pitch. Das sorgt für ein giftigeres Lenkverhalten und kann in dieser Passage dazu führen, dass das Auto zu stark auf einen Randstein trifft. Wenn das passiert, dann wird es wirklich knifflig."

"Ein Pilot muss Eau Rouge im wahrsten Sinne erfahren haben. Jeder weiß, dass die Aerodynamik mit höherem Tempo auch höheren Abtrieb bietet. Das ist natürlich endlich, aber es reicht beim Porsche 911 GT3 R, um voll auf dem Gas bleiben zu können - meistens jedenfalls. Klappt nicht immer, denn manchmal sagt das Gefühl, dass ein kurzes Lupfen vielleicht doch angebracht wäre", grinst Vanthoor.

"Wir Techniker sehen diesen Wettbewerb der Piloten um Vollgas in Eau Rouge einerseits gern, weil wir alle leidenschaftliche Motorsportfans sind", schildert Golz seine Perspektive. "Auf der anderen Seite ist klar, dass Reifen und Fahrzeug diese besonderen Belastungen niemals dauerhaft aushalten würden. Da sind wir ganz dankbar, dass die Anstrengung und Anspannung der Fahrer an dieser Stelle so hoch sind, sodass auch der Mensch am Steuer es im Rennen eher selten mit Vollgas schafft."

"Das schont das Material wenigstens ein bisschen", meint der Leiter des Projekts 911 GT3 R und nimmt den Piloten damit auch die Last, womöglich an zu hohen Ansprüchen zu scheitern. In der schwierigen Passage hat es schon unzählige Unfälle gegeben. Nur wenn alle Faktoren zusammenspielen, geht Eau Rouge wirklich voll. Die Reifen müssen perfekte Temperatur und Druck haben. Die Strecke darf nicht nass oder verschmutzt sein. Die Anfahrt auf die Senke muss optimal gelingen.

Eau Rouge in Spa-Francorchamps bei Nacht

Die Faszination Eau Rouge bei Nacht gibt es am Wochenende bei den 24h Spa

Foto: Porsche AG

"Eigentlich ist es so, dass das erste Einlenken in Richtung Senke alles bestimmt", meint Vanthoor. "Wenn es da nicht passt, muss man korrigieren. Das ist bei Tempo 240 und den hohen anliegenden Kräften alles andere als einfach. Eau Rouge verzeiht keine Fehler. Die Auslaufzonen sind nicht groß und viele Fahrer haben schon Bekanntschaft mit den harten Leitplanken gemacht."

"Dennoch", so der Belgier weiter, "gibt es für uns Piloten kaum ein besseres Gefühl, als diese Streckenpassage mit Vollgas zu nehmen. Darauf freut man sich in jeder Runde, natürlich nur solange nichts schief geht."

Die berühmte Kurvenkombination von Spa-Francorchamps ist wie eine Trophäe, die es im maximal schnellen Vorbeifahren zu gewinnen gibt. Ein ehemaliger Formel-1-Weltmeister ließ sich sogar einmal den Text "I survived Eau Rouge" ("Ich habe Eau Rouge überlebt") auf seine Autogrammkarten drucken. Und das, nachdem zuvor zwei Versuche, die Passage mit Vollgas zu nehmen, mit viel Kleinholz jäh in den Barrieren geendet hatten ...

Mit Bildmaterial von Porsche AG.

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