Analyse: Die neuesten Formel-1-Techniktrends
Neue Aufhängungsteile, der S-Schacht und modifizierte Auspuffsysteme: Wir zeigen die neuesten Techniktrends der Formel-1-Saison 2016 mit detailreichen Zeichnungen von unserem Formel-1-Experten Giorgio Piola und mit Erklärungen von Matt Somerfield.
Foto: Giorgio Piola
Formel-1-Technik mit Giorgio Piola
Giorgio Piola analysiert und erklärt die Technik in der Formel 1!
In der ersten Formel-1-Testwoche in Barcelona haben wir zahlreiche Neuentwicklungen gesehen. Denn alle Teams bis auf Sauber haben ihre Fahrzeuge für die Rennsaison 2016 vorgestellt.
Die Regeln sind größtenteils stabil geblieben. Das bedeutet: Die Basis eines Autos wird meist nicht sehr verändert, sondern lediglich optimiert.
Bildergalerie: Formel-1-Testfahrten in Barcelona
Doch es gibt auch einige Designs, die gleich an mehreren Autos zu sehen sind, wenngleich sie sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden. Und jedes Team hat seine eigene Interpretation, wie der Rahmen, den die Regeln vorgeben, in die Tat umzusetzen ist.
Die angeblasene Vorderachse
Als der Automobil-Weltverband (FIA) 2014 den Frontflügel in der Breite von 1.800 auf 1.650 Millimeter reduzierte, dann geschah das in dem Wissen, dass sich dadurch der Luftfluss um das Auto herum verändern würde.
Es geht dabei nicht so sehr um den Abtrieb, den der Frontflügel generiert. Es geht vielmehr darum, wie der Frontflügel genutzt wird, um die Luft um die Vorderräder zu leiten.
Um diesem Problem Herr zu werden, hat sich jedes Team etwas einfallen lassen (siehe oben, der Williams FW35) – beim Design der Räder und auch bei der Ableitung der Luft aus dem Kühlungssystem der Vorderradbremsen. Denn all dies ist maßgeblich dafür, wie die Luft um das Rad und den Reifen herumgeführt wird.
Außerdem spielen die Rennställe schon seit geraumer Zeit damit herum, die Vorderachse anzublasen. Ferrari, McLaren und Red Bull (siehe Video oben in der Saison 2012, und siehe unten) haben das im vergangenen Jahr umgesetzt.
Fotostrecke: Die Formel-1-Autos 2016 als detaillierte Zeichnungen
Bei Red Bull kam eine solche Vorrichtung allerdings nur bei Strecken zum Einsatz, die ein hohes Maß an Abtrieb erforderlich machen. Denn eine angeblasene Vorderachse hat einen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Luftstroms um das Auto herum und kann auch die Leistung des Unterbodens und/oder des Diffusors verändern.
2016 experimentieren nun auch Toro Rosso und Haas F1 mit solchen aerodynamischen Hilfsmitteln.
Der Luftstrom, der vom Kühlsystem an den Vorderrädern aufgenommen wird, wird durch diese Vorrichtung in viele Richtungen gelenkt – um die Bremsscheiben oder die Bremssättel zu kühlen oder, wie in diesem Fall, um durch die hohle Vorderachse geführt zu werden.
Das Bild oben zeigt, wie das System funktioniert: Das Rad hinterlässt die Luftverwirbelung (gelb), dazu kommt der Luftstrom, der aus der Vorderachse ausgeblasen wird (blau). Und dieser Luftstrom hilft, die Verwirbelungen hinter den Vorderrädern zu minimieren.
Fotostrecke: Aerodynamik-Kuriositäten in der Formel 1
Bitte beachten: Hierbei handelt es sich um eine vereinfachte Darstellung, um die Theorie hinter der Entwicklung zu erläutern. Die Teams setzen natürlich auf individuelle und vor allem sehr komplexe Lösungen.
Die vordere Aufhängung
Mercedes hat schon 2014 mit miteinander verbundenen Querlenkern gearbeitet. Diese Lösung wurde immer wieder verfeinert. Allerdings haben die anderen Teams aufgeholt: Ferrari und Force India setzen schon seit 2015 auf ähnliche Vorrichtungen. In dieser Saison zogen Red Bull (Foto), Toro Rosso und Haas nach.
Dahinter steht folgende Idee: Normalerweise verwirbeln die Aufhängungsteile die Luft. Doch wenn diese Teile eine spezielle Form erhalten, wird der Luftstrom weniger stark gestört, was natürlich erhebliche Vorteile mit sich bringt.
McLaren wiederum geht einen anderen Weg: Sie haben die hintere Strebe des oberen Querlenkers näher an die hintere Strebe des unteren Querlenkers versetzt (gelb markiert). Damit wollen sie einen einheitlichen Luftstrom und nicht zwei unterschiedliche Luftströme generieren.
Der S-Schacht
Genau wie die angeblasene Vorderachse ist auch der sogenannte S-Schacht keine Neuentwicklung für die Formel-1-Saison 2016 (vergleiche das Foto vom Sauber C31 oben).
Foto-Vergleich aller Formel-1-Autos 2016
Weil sich die Regeln für die Frontpartie der Fahrzeuge nicht verändert haben, setzen die Teams in diesem Jahr auf optimierte Versionen ihrer 2015 erprobten Konzepte.
Red Bull, Force India und McLaren waren schon im vergangenen Jahr mit S-Schächten unterwegs. McLaren setzte dabei auf zwei voneinander getrennte Kanäle und Austrittsöffnungen (siehe Bild unten).
Force India und McLaren setzen die S-Schacht-Lösung an ihren aktuellen Autos ein, derzeit sind auch Toro Rosso und Mercedes mit solchen Vorrichtungen unterwegs. Möglicherweise haben auch bald Ferrari und Haas eigene Entwicklungen am Start. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits.
Kurios ist nur: Red Bull scheint derzeit auf den S-Schacht zu verzichten. Das ist seltsam, weil es gerade dieses Team war, das sich dieser Entwicklung in den vergangenen Jahren am meisten verschrieben hatte.
Die Variante von Toro Rosso ist besonders ausgefeilt. Die gesamte Vorrichtung befindet sich in der Nasenpartie und nicht direkt vor dem Schott, wie wir es auch schon gesehen haben. Das ist neu. Und es verändert den Punkt, ab dem der ausströmende Luftstrom einen Einfluss auf den Luftstrom über der Fahrzeugnase haben kann.
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Die Luft wird durch zwei Röhren zur Oberseite der Nase geleitet und tritt dort durch eine Öffnung, die einem Briefkastenschlitz gleicht, am hinteren Ende der Frontpartie aus. Dabei macht man sich den Coanda-Effekt zunutze, wonach der austretende Luftstrom an der Autooberfläche verbleibt und so die Aerodynamik-Leistung verbessert.
Die Schlitze im Unterboden
Schon seit einigen Saisons werden in diesem Bereich große Fortschritte gemacht (vergleiche Bild oben aus der vergangenen Saison). Immer wieder kristallisieren sich dabei gewisse Trends heraus.
Einer dieser Trends ist, dass die Teams mehr und mehr Schlitze in den Unterboden einbauen – mehr als jemals zuvor. Und inzwischen betrifft dies auch einen ziemlich großen Bereich am Unterboden vor den Hinterrädern.
Die Lösungen von Mercedes und Haas (siehe oben) ähneln dem Design, das Toro Rosso schon 2015 eingesetzt hat (siehe unten). Dabei wurden zahlreiche L-förmige Schlitze im Unterboden vorgenommen, an deren Rand der Unterboden ansteigt. So wird ein Loch simuliert.
Ein tatsächliches Loch im Unterboden, was die effektivste Lösung wäre, wurde 2012 als nicht zulässig eingestuft, als es Mercedes in Monaco erstmals einsetzte. Red Bull pochte damals auf seine eigene Interpretation der Regeln.
Seither versehen die Teams ihre Unterböden vor den Hinterrädern mit immer mehr Schlitzen, die oft kaum zu erkennen sind. Sie helfen, den Luftstrom vor den Hinterrädern zu steuern und zu glätten, damit auch der Diffusor im Heck des Fahrzeugs optimal angeströmt wird.
Die Heckflügel-Halterung
Toro Rosso hat für die Formel-1-Saison 2016 zahlreiche Ideen übernommen, die andere Teams im Starterfeld entwickelt hatten. Allerdings wird derzeit auch ein Ansatz kopiert, der im Original von Toro Rosso stammt.
Im Bild oben ist zu sehen, dass Toro Rosso 2015 eine Heckflügel-Halterung in Form einer senkrechten Strebe verwendet hat. Diese Vorrichtung wurde durch den Auspuff hindurchgelegt. Damit bewegte sich das Team in einer Grauzone der Regeln.
Denn so konnte Toro Rosso nicht nur Gewicht einsparen, sondern brauchte auch keine Strebe in Y-Form, die um den Auspuff herumgelegt werden müsste. Weil diese Y-Strebe eben nicht da ist, ist die Luft, die von der Motorhaube kommend über diese Stelle hinwegströmt, wesentlich ruhiger – sie hat ein Hindernis weniger zu überwinden.
Außerdem bedeutet diese Lösung natürlich, dass die durch das Auspuffrohr ragende Strebe das ausströmende Abgas beeinflusst. Ein willkommener Nebeneffekt, schließlich fällt es den Teams nach wie vor schwer, die Abgase kontrolliert nach hinten wegzulenken. Die Strebe könnte stabilisierend wirken und so indirekt auch die Leistung des Turbos fördern.
Toro Rosso ist bei dieser Vorrichtung geblieben, auch wenn es in diesem Jahr nur die Vorjahresmotoren von Ferrari einsetzt. Das Ferrari-Werksteam (im Bild oben), Haas (im Bild unten) und McLaren haben dieses Konzept für sich übernommen.
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