F1-Analyse Australien 2017: Warum Hamiltons Stopp den Sieg kostete
Ferrari hat Mercedes beim Formel-1-Auftakt in Melbourne unter solch einen Druck gesetzt wie das Topteam ihn lange nicht mehr gespürt hat. Zudem hat ein falscher Schachzug von Mercedes Sebastian Vettel den Weg zum Sieg geebnet.
Lewis Hamilton, Mercedes AMG F1, W08; Sebastian Vettel, Ferrari, SF70H; Valtteri Bottas, Mercedes AM
LAT Images
Die Art und Weise wie Mercedes die Freien Trainings am Freitag dominiert hat, hat viele Menschen schockiert. Wo war die Geschwindigkeit von Ferrari geblieben, die das Team beim Test in Barcelona zeigte? Immerhin dachten vielen, dass es in der Meisterschaft in diesem Jahr enger zugehen könnte.
Am Samstag war Ferrari etwas näher an Mercedes heran gekommen, aber Hamilton war noch immer signifikant schneller als Vettel. Beim Start ging Hamiltons Glückssträhne weiter.
Als das Fahrzeug mit der Startnummer 44 sicher durch die 1. Kurve kam und sich in Führung setzte, wirkte es so, als hätte Vettel seine einzige Chance nicht nutzen können.
57 Runden später war es aber der Ferrari-Pilot, der auf Platz 1 die Ziellinie überquerte. Die Entscheidung seitens Mercedes, Hamilton früh an die Box zu holen, hatte sich als Fehler herausgestellt.
Der Meisterschaftskampf ist eröffnet
Unsere Gebete wurden in Melbourne erhört. Auch laut Mercedes-Teamchef Toto Wolff wird es in diesem Jahr zwischen Ferrari und Mercedes einen "höllischen" Kampf um die Meisterschaft geben.
Red Bull Racing kann aktuell nicht mit der Spitze mithalten, aber das Paket des Teams hat großes Potenzial, wenn Renault die geplanten Verbesserungen entwickelt.
Im Moment dreht sich aber alles um das italienische Team und die Silberpfeile. Es scheint, als würde es ein Kampf auf Messers Schneide werden. Aufgrund der verschiedenen Streckencharakteristiken, Setups und Reifenwahlen, werden wir jedes Wochenende ein anderes Kräfteverhältnis sehen.
In Melbourne war der Start signifikant wichtig und der ging, anders als im vergangenen Jahr, an Hamilton. Obwohl der Brite in der Anfangsphase alles gab, schaffte er es nicht, vorne wegzuziehen.
Ganze 5 Runden brauchte es, bisher er seinen Vorteil in einen 1-Sekunden-Vorsprung umwandelte. In Runde 11 wuchs der Abstand auf Rang 2 auf 1,8 Sekunden an. Anschließen lag nicht nur Vettel auf der Lauer, sondern Hamilton hatte Probleme mit seinem Mercedes W08.
Aufgrund der Außentemperatur hatte der ehemalige F1-Weltmeister mit überhitzenden superweichen Reifen zu kämpfen. Früher ging die Leistung der Reifen dann sofort in den Keller und die Fahrer hatten kaum Möglichkeiten, wieder Grip zu erhalten.
Der Automobil-Weltverband (FIA) hat zusammen mit Pirelli so an der Beschaffenheit der Reifen gearbeitet, dass das nicht mehr passiert. Im Rennen fühlte es sich an, als ob sie das geschafft hätten. In der Boxengasse beschwerte sich kaum ein Team über überhitzende Reifen, außer Mercedes.
Irgendetwas an den Fahrzeugeinstellung und am Fahrstil von Hamilton führten dazu, dass das Limit der Gummis überschritten wurde. Die anderen Teams hatten diese Probleme nicht. Weil Hamilton direkt von Beginn an Vollgas gegeben hatte, geriet er später in Schwierigkeiten.
Der Brite war jedoch nicht der einzige, der Probleme hatte. Auch sein Teamkollege Valtteri Bottas hatte mit zu heißen Reifen zu kämpfen.
"Ich glaube, dass die Reifen einen sehr schmalen Arbeitsbereich haben, was die Temperaturen angeht", sagte Wolff. "Man muss in diesem Fenster bleiben, wenn man gute Leistungen abliefern möchte."
"Agiert man unter oder über diesem Fenster, verliert man an Geschwindigkeit. Das ist ein elementarer Unterschied zum vergangenen Jahr und daher müssen wir nun unser Verständnis der Reifen neu kalibrieren."
Vettel hält den Druck hoch
Als das Boxenstoppfenster sich öffnete, war Vettel am Heck von Hamilton heran gekommen. Der Führende lief Gefahr, Platz 1 zu verlieren.
Mercedes befürchtete, dass Vettel vor Hamilton an die Box gehen und auf der Outlap schneller sein würde als Hamilton auf alten Reifen. Daher entschied sich das Team dazu, den Briten früher als geplant zum Service zu holen.
Deshalb kam Hamilton in Runde 17, zum Erstaunen von Ferrari und allen Strategen in der Boxengasse, an die Box.
Wolff kommentierte das Vorgehen: "Der Ferrari war einfach schneller. Vettel hing genau an Lewis Getriebe."
"Wir haben Vollgas gegeben und konnte trotzdem nicht davonziehen. Es bestand das Risiko, in der Box von Vettel überholt zu werden. Auch die Reifen waren in keiner guten Verfassung. Deshalb haben wir uns für den frühen Stopp entschieden."
"Dann hinter Max [Verstappen] raus zu kommen, der sein eigenes Rennen fuhr, hat uns den Sieg gekostet."
Dass Hamilton hinter dem wohl am schwierigsten zu überholenden Formel-1-Fahrer im Feld herauskommen würde, wusste das Team. Trotzdem haben sie diese Entscheidung getroffen.
Das zeigt, wie der Druck von Ferrari zu einer Fehlentscheidung seitens Mercedes geführt hat. In den vergangenen Jahren musste sich Mercedes aufgrund seiner Dominanz nur um das Rennen zwischen seiner eigenen Piloten kümmern.
Trotzdem war die Strategieänderung zu diesem Zeitpunkt keine schlechte Idee. Sie hat aber letztendlich einfach nicht funktioniert.
"Man nutzt natürlich alle Informationen, die einem zur Verfügung stehen", sagte Wolff. "Der Zustand sowie die Temperaturen der Reifen und auch das Fahrverhalten flossen in die Entscheidung ein."
"Es war auch wichtig, wie der Fahrer die Situation wahrnahm. All das hat uns zu dieser Entscheidung verleitet. In diesem Fall, kamen wir wohl einige Runden zu früh an die Box."
"Unsere Hoffnung war, dass Max [Verstappen] früher an Box gehen würde und wir freie Fahrt hätten. Verschiedene Variablen haben sich gegen uns gestellt."
Aber selbst wenn Hamilton vor Verstappen auf die Strecke gekommen wäre oder der Niederländer den Briten vorbeigelassen hätte, wäre noch Kimi Räikkönen da gewesen, um Hamilton aufzuhalten. Vettel hätte auch dann den nötigen Vorsprung herausfahren können.
Verstappen ein wichtiger Faktor
Hamilton war gar nicht glücklich, direkt hinter dem jungen Niederländer auf die Strecke zurückzukehren. Er sagte: "Wir müssen an Verstappen vorbei." Er sagte aber auch: "Noch sind wir vor Vettel."
Zu diesem Zeitpunkt war es sogar wahr. Hamilton hatte jedoch mit der Entscheidung zu kämpfen, ob er ein riskantes Überholmanöver durchführen oder auf Nummer sicher gehen sollte.
"In diesem Moment hatte wir rund 1,7 Sekunden Vorsprung auf Vettel", sagte Wolff. "Wir wussten aber nicht, wie lange Vettel und Verstappen noch draußen bleiben würden."
Verstappen gehört zu den Fahrer, die sich niemals leicht überholen lassen. Zudem macht das neue Aeropaket diese Manöver noch deutlich schwieriger als im vergangenen Jahr. Daher sagte Hamilton im Funkt: "Es gibt keinen Weg, um an diesem Typen vorbeizukommen."
Weil der Brite 4 bis 5 Runden hinter dem Niederländer feststeckte, änderte sich die Situation und der Vorsprung auf Vettel war "nicht mehr sicher."
Der Deutsche bog in Runde 23 in die Box ab. Ganze 6 Runden konnte Vettel auf seinen alten ultrasoften Reifen ohne Verkehr aufs Gas treten. Obwohl er auf seiner Inlap kurz von Lance Stroll aufgehalten wurde und etwas Zeit verlor, kam er vor Verstappen und Räikkönen zurück auf den Kurs.
Es war als würde jemand noch Salz in die Wunde von Mercedes streuen: Hamilton musste noch 2 weitere Runden hinter Verstappen her fahren, bevor der Niederländer an die Box ging. Der Mercedes-Pilot hatte anschließend freie Fahrt, aber auch 6 Sekunden Rückstand auf die Spitze. Zu diesem Zeitpunkt war alles entschieden. Vettel war uneinholbar vorne.
Zudem zeigte der Deutsche die wahre Geschwindigkeit des SF70H, die er früher im Rennen nicht fahren konnte, weil er im Windschatten von Hamilton war.
Schadensbegrenzung bei Mercedes
Mercedes kam mit den weichen Reifen und niedrigeren Asphalttemperaturen besser klar. Trotzdem musste Hamilton ganze 6 Runden länger auf seinen alten Reifen fahren, um das Rennen zu beenden.
Der Abstand zwischen Vettel und dem Briten wuchs inzwischen auf 10 Sekunden an. Daraufhin erhielt Hamilton die Anweisung, seinen Motor zu schonen. Inzwischen holte Bottas auf seinen Teamkollegen auf.
"Ich glaube, ich war im 2. Stint schneller als die Anderen", sagte Hamilton. "Aufgrund meines sehr frühen Stopps wusste ich aber nicht, wie lange die Reifen noch halten würden."
"Ich habe nicht alles gegeben, um die Lücke auf Vettel zu schließen, weil ich wusste, dass ich sowieso nicht vorbeikommen würde. Zudem wollte ich nicht das Risiko eingehen, den 2. Platz zu verlieren. Als ich hinter einem anderen Auto aus der Box kam, ging es für mich nur noch um Schadenbegrenzung."
Schadensbegrenzung bei Mercedes an einem Tag, an dem das Team perfekt ins Rennen gestartet war? Es gab keinen Unfall oder technische Probleme. Auch das Wetter spielte keine Rolle. Das zeigt, wie hart hart der Kampf für das Weltmeisterteam in diesem Jahr werden wird. Daher werden einzelne Entscheidungen bezüglich der Strategie in dieser Saison viel wichtiger sein als im vergangenen Jahr.
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