Analyse: Was lief bei Mercedes nach dem Barcelona-Durchbruch schief?
Spanien schien für Mercedes ein Wendepunkt in der WM zu sein, doch Monaco und Baku waren ein Rückfall in alte Zeiten: Die Analyse der Silberpfeil-Probleme
Wie schnell sich das Blatt schon wieder wenden kann: Nach dem Rennen in Spanien war sich Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff noch sicher, dass Lewis Hamilton ohne den Zwischenfall in der ersten Runde hätte gewinnen können. Nach dem Rennen in Baku hingegen quälte sich der Brite aus seinem Auto und empfing die Entschuldigung von Wolff, der das Auto eine "Shitbox" nannte.
Vor drei Rennen schienen die Updates dem W13 neuen Auftrieb zu verleihen, doch jegliche Hoffnungen auf eine Trendwende wurden schnell wieder zunichte gemacht. Monaco und Baku waren unglaublich schwierig für die Fahrer. Vor allem das Porpoising war stärker da denn je und tat den Fahrern körperlich und performancetechnisch weh.
War Barcelona etwa eine falsche Hoffnung für Mercedes, wo die Umstände dem Auto entgegenkamen? Oder spielten die letzten beiden Rennen dem Team nicht gerade in die Karten? Die Antwort ist ein bisschen von beidem.
Mercedes mit Kompromissen
Mercedes kämpft in dieser Saison darum, mit der Aufhängung und der Fahrzeughöhe so nah wie möglich am Boden zu sein, ohne jedoch das Porpoising auszulösen, das die Fahrer nervt und der Form nicht gerade hilft.
Fährt man das Auto hoch und weich genug, um das Bouncing zu verhindern, dann ist man nicht schnell genug, fährt man allerdings zu niedrig und zu steif, dann kommt das Porpoising mit aller Macht.
Hamilton quälte sich mit Rückenschmerzen aus seinem Mercedes
Foto: Motorsport Images
Und dieser Konflikt zwischen diesen beiden Anforderungen sorgt bei den Silberpfeilen für enorme Kopfschmerzen: "Wir haben erkannt, dass es sich um ein sehr, sehr kompliziertes Problem handelt", sagte der leitende Renningenieur Andrew Shovlin. "Es ist nicht etwas, das man einfach lösen kann und dann ist es weg und man kann es vergessen. Es wird immer da sein: Man muss es technisch umgehen."
"Vielleicht dauert es länger, als wir dachten, aber ich denke, das Problem ist wie bei einer Zwiebel: Je mehr Schichten du abblätterst, desto mehr Schichten kommen zum Vorschein. Je mehr du lernst, desto mehr merkst du, dass du nichts weißt."
Faktoren in Monaco & Baku
Die Krux von Mercedes' Problemen ist, dass der W13 den besten Abtrieb produziert, wenn er nah am Boden ist. Dabei hilft, wenn die Straße selbst eben und konstant ist - wie in Barcelona. Ist die Strecke jedoch uneben und wellig, dann ist der W13 nicht mehr in seiner Komfortzone.
Was Mercedes jedoch noch nicht weiß: Wie viel von dem Porpoising an aerodynamischen Gründen liegt und wie viel von seinem mechanischen Set-up kommt. "Das war eine Herausforderung", gibt Shovlin zu. "Und was wir hier [in Baku] hatten, war im Grunde eine Fortsetzung von Monaco."
"Wir haben in Barcelona Fortschritte gemacht, weil auf den Geraden alles sehr schön und ruhig und bequem für die Fahrer war. Aber es scheint, dass das Fahrverhalten auf den holprigen Strecken zum Problem wird", so der Ingenieur.
"Man kann nicht genau herausdestillieren, was aerodynamisch und was mechanisch ist und was mit der Nachgiebigkeit der Federung und der Dämpfung zu tun hat. Aber kurz und gut, wir haben noch mehr Arbeit vor uns", sagt Shovlin.
Die Lektionen aus Barcelona
Monaco und Baku waren zwar schwierig, aber die Lehren, die aus diesem Wochenende gezogen wurden, haben gezeigt, warum das Wochenende in Spanien so gut war. Und das geht über den Fakt hinaus, dass Barcelona einfach deutlich glatter war als die beiden Strecken danach.
GPS-Daten aus Barcelona haben gezeigt, dass der W13 sogar Dinge anstellen kann, die Red Bull und Ferrari nicht können, wenn er im richtigen Fenster funktioniert und nicht durch das Porpoising zurückgehalten wird.
Vergleicht man die Qualifying-Runden von George Russell, Charles Leclerc und Max Verstappen aus Spanien, dann ist der Mercedes in einigen Bereichen der Strecke das schnellste Auto. Er war am Ende der Start-Ziel-Geraden und vor Kurve 10 ganz oben in der Topspeed-Liste und war interessanterweise auch durch die schnelle Kurve 3 am besten - ein Ort, der die moderne Aerodynamik-Stärke zeigt.
Das deutet darauf hin, dass Mercedes in Highspeed-Kurven besser performt als in den ganzen langsamen Kurven, die in Monaco und Baku vorherrschen.
"Wenn man sich anschaut, wo wir in Spanien aufgeholt haben, waren wir mit geringem Abstand die Schnellsten auf der Geraden", sagt Shovlin. "Mit geringem Abstand waren wir die Schnellsten in den beiden schnellen Kurven. Bei langsamen Geschwindigkeiten waren wir nicht gut genug."
"Was wir daraus mitgenommen haben, ist, dass wir noch am langsamen Geschwindigkeitsbereich arbeiten müssen. Und dann kommst du nach Monaco und Baku, wo das Thema dominiert. Und dann kommen noch die Probleme mit dem Fahrverhalten dazu."
"Es wird Strecken geben, die uns mehr liegen als diese. Aber für uns geht es nicht darum, uns auf diese Strecken zu freuen und uns über die anderen Sorgen zu machen, sondern darum, das Problem zu verstehen und herauszufinden, wie wir es verbessern können", so Shovlin weiter, "denn es ist klar, dass andere Teams einen besseren Job gemacht haben."
Achterbahn-Fahrt
Was die Lektionen aus Barcelona, Monaco und Baku hervorheben, ist, dass Mercedes vorerst wohl kein Level an Konstanz finden wird. Unebene Strecken wie Montreal am kommenden Wochenende werden weiterhin Kopfschmerzen bereiten, bis man eine Antwort findet. Dafür sollte man optimistisch an ebenere Highspeed-Strecken wie Silverstone und Le Castellet kommen.
Doch laut Shovlin wäre es falsch, wenn Mercedes einfach darauf hoffen würde, dass der Kalender passende Rennen ausspuckt. Er weiß, dass das Team ein Auto braucht, das überall performt.
"Nach Monaco und Baku würde man sagen, dass der Abstand, den wir haben, größer zu werden scheint, wenn wir auf eine unebene Strecke gehen", sagt er. "Wenn man sich anschaut, womit wir es zu tun haben, was die Daten angeht, oder wenn man sich die Onboard-Aufnahmen anschaut und womit die Fahrer zu kämpfen haben, kann man sehen, warum das so ist."
"Das Auto ist nicht stabil. Es schluckt die Bodenwellen nicht so gut. Auf den Geraden sitzt es nicht still, es bewegt sich viel", sagt er. "Montreal ist keine glatte Strecke, aber vielleicht würde das Auto an Orten wie Paul Ricard und Silverstone besser funktionieren."
"Aber selbst wenn wir auf eine ebene Strecke kommen, sind wir uns bewusst, dass die Basis-Performance im Moment auch nicht vorhanden ist. Wir müssen die Leistung steigern", so der Ingenieur.
Verändertes Konzept
Das Ausmaß der Probleme von Monaco und Baku hat auch die Debatte über das neue Konzept von Mercedes wieder neu entfacht - und ob man für 2023 vielleicht alles wieder über Bord werfen muss. Nach Baku sagte Motorsportchef Toto Wolff, dass es am Auto keine "heiligen Kühe" geben würde, die nicht fallengelassen werden könnten.
Doch im Moment, so Shovlin, konzentriere man sich darauf, technische Antworten zu finden. Er spielt die Kommentare herunter, dass beispielsweise eine Änderung der Form der Seitenkästen ein Allheilmittel zur Lösung der Probleme sein könnte.
"Es ist unwahrscheinlich, dass die Probleme mit dem Fahrverhalten auf die Form des Chassis des Autos zurückzuführen sind, denn ein Teil davon ist definitiv mechanisch bedingt", sagt er. "Wenn man ein Auto hat, das mehr Abtrieb erzeugt, je näher es an der Straße liegt, dann hat man weniger Spielraum. Und man muss es von Natur aus steifer fahren."
"Es gibt viele Bereiche, die wir uns ansehen. Ich denke, es ist wahrscheinlich zu einfach zu sagen: Machen wir plötzlich ein Auto, das radikal anders aussieht, und schlagen eine andere Richtung ein?", so Shovlin.
"Als Ingenieure sehen wir das so, dass wir feststellen, welche Bereiche gut genug sind und welche nicht. Und an diesen arbeiten wir", meint er weiter. "Im Moment ist die Liste der Bereiche, die nicht gut genug sind, größer als uns lieb ist. Wir müssen also daran arbeiten, das in den Griff zu bekommen."
Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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