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Formel 1 Le Castellet

Verstappen-"Undercut": Mercedes sucht noch "zwei bis zweieinhalb Sekunden"

"Wir können zwei bis zweieinhalb Sekunden nicht belegen": Warum Mercedes noch immer rätselt, wie Max Verstappen an Lewis Hamilton vorbeigegangen ist

Andrew Shovlin bezeichnet den Ausgang des Frankreich-Grand-Prix 2021 in Le Castellet als "nervig". Denn er glaubt: "Wir hätten das Rennen gewinnen können. Wir hätten mit beiden Autos auf dem Podium sein können." Doch es kam anders: Red-Bull-Fahrer Max Verstappen siegte im siebten Lauf zur Formel-1-Saison 2021 und einzig Lewis Hamilton fuhr für Mercedes unter die Top 3.

Entsprechend groß ist der Frust bei Shovlin, dem Leitenden Ingenieur an der Rennstrecke im Team von Mercedes. Er sagt: "Wir fahren in einer Meisterschaft, in der man es sich wirklich nicht erlauben kann, solche Gelegenheiten ungenutzt zu lassen. Aber: Solche Entscheidungen sind im jeweiligen Moment nicht einfach zu treffen."

Zumal sich Mercedes im Rennen auf der sicheren Seite wähnte: Als Verstappen in Runde 18 zum Boxenstopp abbog, sah sich Mercedes weit genug vorne mit Hamilton. "Wir dachten, wir hätten etwas mehr als drei Sekunden auf Max und hielten das für ausreichend, um gegen einen 'Undercut' gewappnet zu sein", sagt Shovlin. "Das war aber nicht der Fall."

Wie aus 3,1 Sekunden Vorsprung ein Rückstand wurde

Tatsächlich hatte der Abstand zwischen Hamilton und Verstappen am Ende von Runde 17 exakt 3,104 Sekunden betragen. Doch Mercedes unterschätzte dann, wie groß der Vorteil von frischen harten Reifen direkt nach dem Boxenstopp sein würde.

"Hier müssen wir noch einmal in die Nachbereitung gehen, weil wir noch immer nicht verstehen, warum die Position verloren ging", meint Shovlin. Er erklärt: "Wir können zwei bis zweieinhalb Sekunden nicht belegen. Da müssen wir in die feinen Details reinschauen, um zu erkennen, wie genau der 'Undercut' geklappt hat von so weit hinten."

Am Boxenstopp selbst lag es nicht, oder zumindest nicht nur: Die reine Standzeit von Verstappen und Hamilton war sehr ähnlich, aber Verstappen brachte vier Zehntel weniger in der Boxengasse zu. Ergebnis: Die "zwei bis zweieinhalb Sekunden", die sich Shovlin und seine Kollegen bisher nicht erklären können.

Strategie-Wechsel hätte dann nichts mehr genützt

Mercedes habe anhand seiner Berechnungen schlicht "nicht erwartet", dass Verstappen mit seinem früheren Stopp an Hamilton vorbeigehen könnte. "Jetzt müssen wir in Erfahrung bringen, weshalb unsere Simulationen uns gesagt haben, dass es für uns passen würde", so Shovlin.

Die Einstopp-Taktik sei in jedem Fall die richtige Variante für sein Team gewesen, auch nach dem Verstappen-Stopp. "Lewis [ebenfalls] auf eine Zweistopp-Strategie zu setzen, das hätte nicht ebenso gut funktioniert", meint Shovlin. "Denn Max hat uns geradeso gekriegt und wir hätten auch Sergio [Perez] noch überholen müssen. Das wäre für Lewis schwieriger gewesen als für Max."

Hamilton könne man an dieser Stelle keinen Vorwurf machen: Der Weltmeister habe sein Möglichstes getan, um Verstappen auf Distanz zu halten. "Wir hätten nicht weiter vorne sein können", sagt Shovlin mit Blick auf den Abstand vor den Boxenstopps. "Lewis hatte Vollgas gegeben im ersten Stint."

Mercedes hat die Boxenstopp-Sequenz eingeleitet

Vielleicht aber hätte Mercedes mit dem Hamilton-Stopp nicht bis Runde 19 warten sollen. Ein Gedankenspiel, das Shovlin auch anstellt. Er fragt sich: "Hätten wir Lewis [in Runde 18] reingeholt, wäre Max dann ebenfalls reingekommen? Das weiß ich nicht. Hätten wir es so gemacht, hätten wir aber eine ordentliche Ausgangsposition gehabt."

Valtteri Bottas im Mercedes W12 beim Formel-1-Boxenstopp in Le Castellet 2021

Valtteri Bottas im Mercedes W12 beim Formel-1-Boxenstopp in Le Castellet 2021

Foto: Motorsport Images

Doch Red Bull kam Mercedes an dieser Stelle zuvor: Valtteri Bottas hatte seinen Reifenwechsel bereits in Runde 17 abgeleistet, worauf Verstappen in Runde 18 reagierte. Damit hatte Hamilton an der Spitze praktisch keinen Handlungsspielraum mehr.

Dabei hat Mercedes die frühen Boxenstopps nach dem ersten Stint selbst eingeleitet, indem es Bottas als ersten Fahrer aus der Spitzengruppe abbiegen ließ. Aus gutem Grund, wie Shovlin erklärt: "Valtteri hatte Vibrationen, die zunehmend schlimmer wurden, Runde für Runde. Das ging so weit, dass wir überlegt haben, das Auto aus Zuverlässigkeitsgründen an die Box zu holen."

Man habe keinen (Reifen-) Schaden auf der Strecke riskieren wollen. "Deshalb haben wir es so gemacht", sagt Shovlin. "Und damit sind wir praktisch auch zu dem sehr, sehr langen Stint [auf Hard] mit Lewis gekommen."

"Brutal ehrliche" Analyse soll helfen

Genau das hatte Mercedes eigentlich vermeiden wollen: "Es war noch unangenehm früh im Rennen, um dann durchzufahren", meint Shovlin. "Ich denke, das hat man im weiteren Rennverlauf auch gesehen." Am Ende reichte Hamiltons Vorsprung nicht aus: Verstappen fing ihn mit der Zweistopp-Strategie in der vorletzten Runde noch ab.

Und so verlässt Mercedes Le Castellet mit einigen Hausaufgaben. Man werde jetzt intensiv "darüber nachdenken, wo wir nicht gut genug gewesen sind", sagt Shovlin. "Wir sind ziemlich gut darin, brutal ehrlich mit uns selbst zu sein und alles zu analysieren. Das machen wir in den nächsten Tagen, und dann gehen wir gestärkt weiter nach Österreich."

Mit Gewissheit sagen lasse sich nur, dass der Speed im Rennen überzeugend gewesen sei. "Es fehlt nur ein bisschen im Qualifying", sagt Shovlin. "Beim Rennspeed, auf einer normalen Strecke, da können wir Red Bull unter Druck setzen. Wir wissen aber: Wenn wir das tun wollen, wenn wir Rennen gewinnen wollen, dann müssen wir praktisch perfekt agieren."

Mit Bildmaterial von Motorsport Images.

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