Warum die F1-Konkurrenz den "kleinen" Red-Bull-Budget-Verstoß so ernst nimmt
Der Verstoß von Red Bull gegen die Budgetobergrenze der Formel 1 in der Saison 2021 ist offiziell, doch ist die fehlende Transparenz der FIA Grund zur Sorge?
Die Bekanntgabe der FIA, dass Red Bull im vergangenen Jahr gegen die Kostenobergrenze der Formel 1 verstoßen hat, hat die schlimmsten Befürchtungen der Hauptkonkurrenten bestätigt. Klar ist jedoch, dass Red Bulls Mehrausgaben zwar offiziell als "geringfügiger" Verstoß eingestuft wurden, die Kontrahenten dies jedoch als alles andere als eine Kleinigkeit betrachten.
Um als "geringfügiger" und nicht als "wesentlicher" Verstoß eingestuft zu werden, müssen die Teams ihre Ausgaben um weniger als fünf Prozent des erlaubten Betrags überschritten haben. Bei einer Kostenobergrenze von rund 145 Millionen Dollar im letzten Jahr könnten das immer noch 7,25 Millionen Dollar sein.
Weder die FIA noch Red Bull haben das Ausmaß des Verstoßes bestätigt, aber es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass es sich um einen Betrag zwischen ein und zwei Millionen Dollar handelt. Das mag im Großen und Ganzen ein recht kleiner Betrag sein. Aber wenn es um Entwicklungsbudgets geht, machen solche zusätzlichen Ausgaben letztendlich einen großen Unterschied.
Mercedes: Selbst 500.000 Dollar machen einen riesigen Unterschied
Lewis Hamilton hat während des Japan-Wochenendes darauf hingewiesen, dass nur 500.000 Dollar mehr Entwicklungsgelder für Mercedes im letzten Jahr ausgereicht hätten, um ein neues Unterbodendesign zu entwickeln, das die Geschwindigkeit des W12 erhöht und damit möglicherweise den Ausgang der Weltmeisterschaft zugunsten des Briten verändert hätte.Sein Teamchef Toto Wolff sagte eine Woche vorher beim Singapur-Grand-Prix: "Wenn es sich um einen so genannten geringfügigen Verstoß handelt, dann ist das Wort wahrscheinlich nicht korrekt. Wenn du fünf Millionen mehr ausgibst und dich immer noch in der geringfügigen Verletzung befindest, hat das immer noch einen großen Einfluss auf die Meisterschaft."
"Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, beobachten wir natürlich genau, welche Teile von den Top-Teams bei jedem einzelnen Rennen an die Strecke gebracht werden - in der Saison 2021 und in der Saison 2022."
"Wir können sehen, dass es zwei Top-Teams gibt, die in etwa gleich viel ausgeben, und ein anderes Team, das mehr ausgibt. Wir wissen also genau, dass wir dreieinhalb Millionen pro Jahr für Teile ausgeben, die wir ans Auto bringen. Und dann kann man sehen, welchen Unterschied es macht, wenn man weitere 500.000 ausgibt - es wäre ein Unterschied", betont Wolff.
Was ist aus Red Bulls Leichtbauchassis geworden?
"Wir haben keine Leichtbauteile für das aktuelle Auto hergestellt, und konnten unser zweistelliges Übergewicht nicht reduzieren, weil wir einfach nicht das Geld dafür haben. Also müssen wir das für das nächstjährige Auto nachholen."
"Wir können auch kein Leichtbauchassis homologieren und einführen, weil wir mit nur zwei Millionen Dollar über der Obergrenze liegen würden. Man kann also sehen, dass jede größere Ausgabe einen Leistungsvorteil bringt", so der Mercedes-Teamchef.
Es wurde zu Saisonmitte spekuliert, dass Red Bull für Singapur ein solches Leichtbauchassis einführen wollte, was man letztendlich doch nicht getan hat. Eine Möglichkeit wäre, dass man darauf verzichten konnte, weil der Vorsprung in beiden WM-Wertungen bereits groß genug war und ein so großes Update damit nicht zwingend notwendig ist.
Andererseits könnte es auch sein, dass Red Bull kein Budget mehr zur Verfügung hatte oder das Team ein Leichtbauchassis zwar entwickelt, jedoch nicht produziert hat, was Vorteile für die nächstjährige Budgetgrenze hätte. Die Entwicklungskosten würden der Saison 2022 zugerechnet werden, während diese mit einer möglichen Einführung des Chassis in der kommenden Saison nicht erneut anfallen würden, sondern nur die Produktionskosten.
Ferrari fordert harte Strafen wie bei Technikverstößen
Es ist dieser Zielkonflikt zwischen Ausgaben und Leistung, mit dem die Spitzenteams in der Ära der Kostendeckelung jonglieren mussten. Deshalb sind die überhöhten Ausgaben eines Konkurrenten für sie ein so großes Problem.
Vor allem Ferrari hat mehrfach die Verhängung von Höchststrafen gefordert. Das italienische Team ist der Meinung, dass nur so sichergestellt werden kann, dass sich die Teams in Zukunft strikt an den Kostendeckel halten und nicht dazu ermutigt werden, das System zu manipulieren, indem sie sich durch überhöhte Ausgaben höhere Performanceschritte sichern, als sie durch eine Strafe kosten würden.Ferrari hat sich seit der Erklärung der FIA zum Verstoß von Red Bull nicht öffentlich geäußert, aber es wird davon ausgegangen, dass die Haltung des Teams unverändert bleibt - und dass man möchte, dass finanzielle Verstöße genauso streng behandelt werden wie technische Verstöße, bei denen Autos disqualifiziert werden, wenn Teile um ein paar Millimeter abweichen.
Einen solchen Fall gab es vergangenes Jahr beim Rennwochenende in Brasilien als Mercedes-Pilot Lewis Hamilton nach seiner wichtigen Poleposition im Qualifying mitten im Titelkampf disqualifiziert wurde, weil die DRS-Öffnung seines Hecklügels um 0,2 Millimeter zu groß war.
Fehlende Transparenz der FIA führt zu Spekulationen
Für die Hauptkonkurrenten von Red Bull ist es vielleicht noch wichtiger als jede mögliche Sanktion, dass der Fall völlig transparent gehandhabt wird. Bislang hat die FIA nur wenig Einblick in das Ausmaß und die Motive des Red Bull-Verstoßes gewährt - und dieser Mangel an Informationen bei einem so wichtigen Thema hat unweigerlich zu wilden Spekulationen geführt.
Waren die verfahrensbedingten und geringfügigen Mehrausgaben von Red Bull das Ergebnis einer kleinen Verzögerung beim Papierkram und unschuldiger Ausgaben - wie eine subventionierte Kantine in Milton Keynes, Krankengeld und Zahlungen für abgeworbene Mitarbeiter im "gardening leave" -, die durch die Interpretation der FIA unerwartet zum Budget des Teams hinzugerechnet wurden und es über die Grenze trieben?
Oder wurde absichtlich versucht, Papierkram zu fälschen, Untersuchungen zu blockieren und absichtlich Wege zu finden, die Kostenobergrenze zu umgehen, um sicherzustellen, dass Red Bull mehr für die Autoentwicklung ausgeben kann als seine Rivalen?
Red Bulls "Überraschung und Enttäuschung" darüber, dass man dem Team vorwirft, gegen den Kostendeckel verstoßen zu haben, deutet darauf hin, dass es sich eher um den ersten Fall handelt. Ohne eindeutige Antworten der FIA wird der Verdacht der Rivalen jedoch unweigerlich auf den zweiten Fall fallen.
Warum ein Kuhhandel mit der FIA wie 2019 bei Ferrari unwahrscheinlich ist
Deshalb ist es sowohl für Red Bull als auch für den Rest des Feldes wichtig, dass die FIA die Dinge im Detail erklärt und nicht den Weg geheimer Hinterzimmerabsprachen geht, wie es im Motoren-Skandal um Ferrari in der Saison 2019 der Fall war.
Das Finanzreglement der Formel 1 ist insofern eindeutig, als es die FIA dazu verpflichtet, Einzelheiten zu den Entscheidungen zu veröffentlichen, die im Zusammenhang mit Regelverstößen getroffen werden. Wenn sich die Teams für eine Vereinbarung über einen akzeptierten Regelverstoß (ABA) entscheiden, bei der sie die Verantwortung für den Regelverstoß übernehmen, dann wird die Angelegenheit veröffentlicht.
Artikel 6.32 des Finanzreglements der Formel 1 besagt: "Die Cost-Cap-Administration wird eine Zusammenfassung der Bedingungen des ABAs veröffentlichen, in der der Verstoß, etwaige Sanktionen und verstärkte Überwachungsverfahren aufgeführt sind, wobei vertrauliche Informationen ausgelassen werden."
Formel-1-Teams erwarten "volle Transparenz" der FIA
Selbst wenn sich das Team dafür entscheidet, die Angelegenheit weiterzuverfolgen und vor Gericht zu gehen, um seinen Fall vorzutragen, wird auch das endgültige Urteil veröffentlicht werden. In Artikel 7.27 der Regeln heißt es: "Das Gremium für die Festsetzung der Kostendeckelung veröffentlicht die Entscheidung des Gremiums und die Gründe, auf denen sie beruht, mit Ausnahme vertraulicher Informationen."
Doch auch wenn dies den Rivalen von Red Bull Hoffnung auf Antworten über das Ausmaß und die Tragweite der Vorfälle und die Reaktionen der FIA gibt, öffnet es dem Dachverband immer noch die Tür, um die Angelegenheit herunterzuspielen.
Vorerst halten sich Red Bulls Konkurrenten bedeckt und warten die nächsten Schritte ab. Wie Ferrari-Teamchef Mattia Binotto am Wochenende in Japan sagte: "Ich denke, was wir brauchen und was ich erwarte, ist volle Transparenz und Klarheit über die Diskussionen, die möglicherweise stattgefunden haben."
Existenz des Finanzreglements steht auf dem Spiel
Wenn dies nicht geschieht, riskiert die FIA eine noch größere Kontroverse in der Zukunft. Wenn eine Sanktion zu schwach ausfällt oder andere Teams über die Details des Verstoßes gegen den Kostendeckel im Unklaren gelassen werden, weil die Dinge zu sehr geheim gehalten werden, wird das Vertrauen in das ganze System sehr schnell zusammenbrechen.
Das würde dann die Existenz des Kostendeckels bedrohen, der als ein Kernelement für die langfristige Gesundheit der Formel 1 angesehen wird. Die anderen Top-Teams könnten somit versucht sein, ebenfalls den Kostendeckel bewusst zu brechen, um mehr Ressourcen in die Entwicklung stecken zu können, da sie keine große Strafe zu befürchten haben oder von der fehlenden Transparenz der FIA profitieren.
Obwohl in den Medien Mercedes und Ferrari am vehementesten polterten nach den Spekulationen in Singapur, sind die größten Leidtragenden am Ende die kleinen Teams, die mit ihren kleinen Budgets ohnehin nicht an das Kostenlimit herankommen. Ein Zerfall der Budgetgrenze würde die zukünftige Konkurrenzfähigkeit dieser Teams stark einschränken.
Mit Bildmaterial von Red Bull Content Pool.
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