Das Chaos der Qualifikation zeigt: Die Formel 1 steht sich selbst im Weg
Die Qualifikation des Großen Preises von Australien endete in einem Fiasko. Das zeigt, dass ernsthaft überdacht werden muss, wie die Formel 1 zurzeit betrieben wird, sagt Jonathan Noble.
Foto: XPB Images
Enttäuschte Zuschauer verließen bereits Minuten vor dem Ende der Qualifikation ihre Plätze auf den Tribünen. Das Chaos wurde von einem Teamchef sogar mit dem Reifen-Skandal in Indianapolis 2005 verglichen.
Fotogalerie: Der Große Preis von Australien
Die Formel 1 stand sich wieder einmal selbst im Weg, als sie ein Qualifikationsformat einführte, das weder die Zuschauer noch die Teams haben wollten. Bereits im Vorfeld wurde befürchtet, dass das Format nichts tauge.
Es war peinlich für den Sport, in dem Dinge, die funktionieren, nicht geändert werden sollten. Desweiteren muss die Art und Weise, wie die Formel 1 im Moment betrieben und geleitet wird, überdacht werden.
Die Geschehnisse vom vergangenen Wochenende zeigen, dass der Führungsprozess der Formel 1 gestört ist und deshalb das Potenzial nicht ausschöpft wird. Viele Leute im Fahrerlager teilen diese Meinung, wollen sie nur nicht publik machen.
Selbstverschuldeter Stillstand
Ein Sport, der technologisch weit fortgeschritten ist und große Ambitionen hat, kann zu bestimmten Zeiten einen konservativen Weg einschlagen.
Bei der Entscheidung von Regeländerungen mischen in der Formel 1 jedoch zu viele Leute mit. Vor allem die Macht der Teams ist zu groß. Dass sie ihre Ideen einbringen können, ist gut. Die Entscheidungen jedoch gänzlich vom Willen der Teilnehmer abhängig zu machen, führt zu Hindernissen bei Veränderungen und Innovationen.
Die Formel 1 findet sich in einem selbstverschuldeten Stillstand wieder, denn es kommt selten zu Einigkeit. Die Teams befürchten, dass ihre Positionen im Wettbewerb durch Veränderungen gefährdet werden. Deshalb wird oftmals der Weg mit dem geringsten Widerstand gewählt.
Das neue Qualifikationsformat haben die Teams nicht unterstützt, weil sie oder die Fans die Einführung wollten, sondern um Bernie Ecclestones Idee, bezüglich umgekehrter Startaufstellungen oder einem Zeit-Handicap für die Favoriten, zu umgehen.
Es wurde das geringere Übel gewählt und so sollte die Entscheidungsfindung der Formel 1 nicht erfolgen.
Eine Idee mit Potenzial
Das Konzept einer Qualifikation, bei die Fahrer der Reihe nach eliminiert werden, ist an sich keine schlechte Sache. Wenn es vernünftig durchgeführt wird, könnte es zu Abwechslung führen. Der Teufel steckt jedoch bekanntlich im Detail.
In der Tat waren Q1 und Q2 bei der Premiere in Melbourne recht spektakulär, weil, vor allem zu Beginn, einige intensive Runden gefahren wurden. Ebenso wurden die Team zu aggressiveren Reifenstrategien im Rennen gezwungen.
Das Problem in Q3 war vorauszusehen. Das schlimmste daran war jedoch, dass viele das Scheitern erwartet hatten und keiner die Verantwortung übernahm dies zu sagen und das Richtige zu tun.
Dass das Fiasko am Ende der Qualifikation nicht voraussehbar war, ist die eine Sache. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Team-Chefs und Renndirektor Charlie Whiting informell bestätigt haben, dass das Ausscheidungsformat für Q3 nicht funktioniert und man zum bisherigen System zurückkehren sollte.
Die Zweifel wurden der Formel-1-Kommission und der Strategie-Arbeitsgruppe nie weitergeben. Weshalb dies nicht geschah, wissen nur die Entscheidungsträger der Automobil-Verband (FIA) im Hauptsitz in Paris.
Das ist unentschuldbar, denn die finale Entscheidung sollte durch diese Institutionen, noch vor dem Saisonstart, ratifiziert werden.
Gewagte Experimente
Der Sport wird durch die politischen Ziele verschiedener Parteien gelähmt. So kann keine langfristige Planung enstehen. Stattdessen wird versucht, großen Problemen mit kurzfristigen Lösungen entgegenzutreten, mit der Hoffnung, dass diese helfen.
Es wäre für die Formel 1 ein Kinderspiel gewesen, bereits beim Saisonfinale in Abu Dhabi im vergangenen Jahr mit einem neuen Qualifikationsmodus zu experimentieren, da die Meisterschaft bereits entschieden war.
Wir hätten nicht nur etwas Neues gehabt, über das wir hätten sprechen können, sondern es wäre möglich gewesen, die Änderungen für das Jahr 2016 gesamtheitlich zu beurteilen.
Wir wüssten, ob es mehr Abwechslung und strategische Herausforderungen bei der Reifenwahl gebracht hätte. Vor allem aber wäre es möglich gewesen, die negativen Aspekte während der Winterpause zu eliminieren und ein Qualifikationsformat vorzulegen, mit dem alle zufrieden gewesen wären.
Jedoch hat es sich als Blitz aus heiterem Himmel herausgestellt, der als Antwort für ein Problem gelten sollte, das nicht einmal existiert.. Die Formel 1 sollte sich hingegen auf die großen Probleme konzentrieren, die in den nächsten Jahren auf sie zukommen.
Zuschauerverhalten
Die Formel 1 steht vor der großen Herausforderung, mit den Zuschauern umzugehen, die sich vom traditionellen Fernsehen abwenden und auf Möglichkeiten auf Smartphones, Tablets und dem Internet zurückgreifen.
Die Kritiker, die behaupten, die Formel 1 stecke in einer Krise, weil die Zuschaueranzahl an den Fernsehgeräten sinkt, vergessen diesen Punkt häufig. Wahrscheinlich verfolgen mehr Menschen als je zuvor den Sport.
Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat und das Internet, das rund um die Uhr zugänglich ist, hatten zu keinem Zeitpunkt mehr Zuschauer, die mit dem Sport verbunden sind. Tatsächlich zeigen die Rekorde des Datenverkehrs seit Beginn des Jahres 2016, dass nur wenig an dem Produkt auszusetzen ist.
Dass die Anzahl an Fernsehzuschauern schrumpft, sollte nicht überraschen. Erstens schauen heutzutage weniger Menschen Sport über das Fernsehprogramm und zweitens hat der Wechsel zum Pay-TV zwangsläufig zu einem Rückgang der Zuschauerzahlen geführt.
Die Probleme, denen sich Ecclestone gegenüber sieht, bestehen darin, wie er die neue Medienlandschaft für wirtschaftliche Zwecke nutzt, während er noch zu sehr von den alten Medien abhängig ist und der Großteil des Einkommens aus dieser Quelle eingenommen wird.
Es gibt keine leichte Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Es ist möglich, dass der Sport einen wirtschaftlichen Schlag während der Übergangsphase verkraften muss. Aber solange es keinen mittel- bis langfristigen Plan gibt – sowie einige kurzfristige Investitionen – wird der Sport viele Möglichkeiten verpassen.
Fotostrecke: Das Fahrerfeld der Saison 2016
Jedoch muss man sich wundern, wie die Formel 1 diese Herausforderungen meistern soll, wenn sie momentan ihr eigener größter Feind ist, wie das chaotische Qualifikationsformat beweist.
Die Teams haben zu großen Einfluss: Der politische Machtkampf zwischen Jean Todt und Ecclestone dient dieser Entwicklung nicht sonderlich. Oftmals werden die Zuschauer vom Sport, der ihnen etwas bedeutet, abgeschreckt.
Deshalb benötigt die Formel 1 gegenwärtig und zukünftig eine starke Führungsstruktur, besonders für das neue Concord-Agreement 2020. Nur neue Strukturen könnten dazu führen, dass die Formel 1 zeigen kann, wie brillant sie ist.
Eine Saison an die man sich erinnert
Wenn man das Chaos der Qualifikation in Melbourne außer Acht lässt, hat die Formel 1 viele Gründe sich auf die Saison 2016 zu freuen, denn sie hat einiges zu bieten.
Der Kampf um die Spitze zwischen Mercedes und Ferrari scheint sehr ausgeglichen zu sein. Im Mittelfeld konkurrieren vier bis fünf Teams, die niemals so eng beieinander waren.
Die neuen Reifenregeln werden für einige spannende Rennen sorgen. Die Einschränkung der Unterstützung für Fahrer durch das Team wird dazu führen, dass wir die talentiertesten Fahrer seit vielen Jahren sehen werden.
Für 2017 sind bereits beeindruckende neue Fahrzeuge angekündigt.
Jetzt muss man nur noch bedenken, wohin sich die Formel 1 entwickeln würde, würden die richtigen Schritte aufgrund richtiger Gründe, anstatt die falschen Dinge aufgrund falscher Gründe, eingeleitet werden.
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