Der "alte" Hockenheimring: Auf Spurensuche im Hardtwald
Stefan Ehlen auf Erkundungstour im Hardtwald von Hockenheim: Wie die Natur die langen Waldgeraden zurückeroberte und was von der alten Rennstrecke übrig blieb
Unerbittlich brennt mir die Sonne in den Nacken. Es weht nicht mal ein laues Lüftchen. Und außer ein paar emsigen Bienen regt sich rein gar nichts im Hardtwald von Hockenheim. Still ist es hier an diesem Mittwochnachmittag, beinahe andächtig ruhig – sehr angemessen für den Ausgangspunkt meiner Erkundungstour. Denn ich stehe vor dem Jim-Clark-Memorial eingangs der Parabolika-Einfahrt, vor dem Gedenkstein für den 1968 in Hockenheim tödlich verunglückten Formel-1-Weltmeister.
Jim Clark starb zwischen Motodrom und Ostkurve, etwa dort, wo wenig später die nach ihm benannte Schikane (zunächst: "Bremsschikane 1") in den Kursverlauf eingebaut wurde, um die lange Waldgerade zu entschärfen. Genau die lange Waldgerade, die beim Umbau der Grand-Prix-Strecke 2002 gekappt, zurückgebaut und wieder der Natur übergeben wurde. Und ich will wissen: Was ist eigentlich aus den so markanten Wald-Passagen des Hockenheimrings geworden?
Hier beginnt sie nun also, meine Spurensuche im Hardtwald von Hockenheim. Und was sehe ich als erstes? Nichts! Denn hinter dem Memorial müsste er eigentlich liegen, der Asphalt der legendären Waldgeraden. Doch da ist nur eine grüne Wand.
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Die Renaturierung ist offenbar sehr gründlich erfolgt. Lediglich die Dimensionen der Schneise, die einst für die Rennstrecke in den Wald geschlagen wurde, lassen sich noch anhand des Pflanzenbestands erkennen: Dort, wo mal der Kurs war, sind Bäume und Büsche kleiner als im umgebenden Wald. Logisch – sofern man weiß, wonach man sucht. Eine Hilfestellung für Suchende gibt es hier draußen aber nicht: Kein Hinweis, dass hier einmal Formel-1-Boliden mit Topspeed über den badischen Asphalt gedonnert sind.
Und weil der neu gewachsene Wald undurchdringlich wirkt, muss ich gleich zu Beginn meiner Erkundung des "alten" Hockenheimrings auf bestehende Pfade ausweichen: Immerhin: Der "Ameisenweg" (heißt wirklich so!) verläuft parallel zur ehemaligen Strecke, zumindest für einige hundert Meter. Dann beginnt meine Suche erneut. Und wieder stelle ich fest: kein Durchkommen. Die Natur hat die alte Rennbahn wieder vollständig in ihren Besitz genommen.
Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, weil mir nun keine Wahl bleibt: Über den "Fuhrmannsweg" komme ich zwar weiter, entferne mich aber gleichzeitig vom eigentlichen Streckenverlauf, stoße dabei immer tiefer vor in den Hardtwald. Dabei hatten die Satelliten-Bilder vom Hockenheimring noch den Eindruck erweckt, man könnte dem früheren Kurs direkt folgen. Aber das ist leider nicht so einfach möglich.
Was die Aufnahmen aus der Vogelperspektive allerdings auch gezeigt haben, ist, wie sich der Hardtbach durch das Wäldchen schlängelt – womit er der Rennbahn hin zur Ostkurve die Form vorgegeben hat. Mit diesem Wissen im Hintergrund wechsle ich an der Brücke über den Bach vom asphaltierten Weg auf den Trampelpfad und nehme dem Bachverlauf folgend Kurs auf die Jim-Clark-Schikane, die mir auf den Satelliten-Fotos als große Lichtung erschienen war.
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Und tatsächlich: Nach kurzem Fußmarsch durch teils dichtes Gebüsch bin ich da – nur die Schikane nicht. Kein Asphalt, keine Randsteine, keine Überbleibsel. Stattdessen finde ich eine sogenannte Suhle vor, eine in diesem Fall künstlich angelegte Wasserstelle für die Wildtiere im Hardtwald. Ihre Einrichtung war Teil der Renaturierung der Rennstrecke. Und der feine Sand unter meinen Füßen erinnert nicht mal ansatzweise an die Kiesbetten in der einstigen Auslaufzone.
Dafür macht mich eine kleine Eidechse durch ihre blitzartige Flucht darauf aufmerksam, dass ich hier nur zu Gast bin. Also setze ich meine Erkundung in weitem Bogen um die Wasserstelle am Rand der Lichtung fort, Richtung Ostkurve, wieder am Hardtbach entlang.
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Schön schattig ist's hier im Wald, die Hitze drückt nicht mehr so sehr. Wohl auch deshalb wird dieser Teil der ehemaligen Rennstrecke noch immer gern genutzt. Doch wo einst die 1.000-PS-Monster der 1980er-Jahre um Qualifying-Bestzeiten wetteiferten, sind heute nur vereinzelt Spuren von 1-PS-Gefährten zu sehen. Allerdings begegnen mir auf meiner Tour weder Ross noch Reiter, auch keine sonstigen Spaziergänger, dafür viele bunte Schmetterlinge. Zu meiner Rechten immer nur die grüne Wand, vollständig renaturiert.
Mein Weg führt mich aber schließlich schräg nach rechts. Das Zeichen, dass ich mich der Ostkurve nähere! Und tatsächlich: Über einen weiteren Trampelpfad stoße ich auf eine kleine Anhöhe vor, mir eröffnet sich ein Panorama. Aber auch hier: keine Spur von einer Rennstrecke. Doch hier ist das Areal immerhin nicht zugewachsen, sondern ähnelt mit nur einzelnen Sträuchern eher einer Heidelandschaft als einem Dschungel. Ein Schild gibt das Areal als "Biotop" und Brutstätte der Heidelerche aus. An die Vergangenheit dieses Orts erinnert – nichts.
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Das ändert sich schlagartig, als ich durch einen kleinen Pfad vom Abhang hinunter und hinein in den Wald trete. Denn auf einmal habe ich die Sonne wieder im Gesicht – und Asphalt unter meinen Schuhen! Aber nein, das ist (noch) nicht der alte Hockenheimring, nur dessen "Ausläufer" – der "Speyerer Weg" als Verlängerung der ehemaligen Waldgeraden zwischen Motodrom und Ostkurve. Und auch hier suche ich vergebens nach einem Hinweis auf die große Historie, die nur wenige Schritte hinter einer Baumreihe liegt.
Dafür entdecke ich den ersten handfesten Beweis, dass sich hier einmal eine Rennstrecke befunden haben muss: Markierungen auf dem Asphalt! Die weiße Linie ausgangs der Ostkurve ist erhalten geblieben, zumindest überwiegend. Sie war einmal die kurvenäußere Streckenbegrenzung – und verschwindet inzwischen einfach nur im Wald.
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An ihrem anderen Ende verliert sich die Linie auf dem Asphaltband und weist mir den Weg zurück zum Motodrom. Die Fahrbahn unter mir, sie ist noch original: Es ist der Untergrund, auf dem Ralf Schumacher 2001 den letzten Deutschland-Grand-Prix auf dem 6,8 Kilometer langen Hockenheimring gewann. Denn dieser Teil der Strecke wurde nicht der Natur überlassen, sondern bewahrt – auch wenn er inzwischen einfach wie ein breiter Waldweg anmutet. Würde in der Ferne nicht der Stern auf der Mercedes-Arena in der Sommersonne blitzen, man käme kaum auf die Idee, dass hier einmal Windschatten-Duelle zwischen Senna und Prost oder Schumacher und Häkkinen ausgefochten wurden.
Ein bisschen erinnert mich die Szenerie an den Parco di Monza. Mit der Ausnahme, dass dort der alte Kurs größtenteils erhalten geblieben ist: Die berühmten Steilkurven stehen noch immer – als Denkmal an eine längst vergangene Epoche, dessen Anblick bis heute Ehrfurcht einflößt und Erstaunen hervorruft. Und ich finde: In Hockenheim fehlt ein solches Stück Erinnerungskultur. Denn fast alles ist weg. Und meine Erkundung allmählich abgeschlossen.
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Inzwischen glühen meine Sohlen auf dem heißen, historischen Asphalt. Es ist ein gutes Stück bis zu der Stelle, wo ein Zaun den neuen Hockenheimring von seinem Erbe abtrennt. Dort, wo die Auslaufzone der Spitzkehre auf die alte Waldgerade trifft, befand sich früher einmal die "Bremsschikane 2" (später: Ayrton-Senna-Schikane). Heute steht dort ein "Tempo-30-Schild".
Hier, am Ende meiner Tour, riskiere ich einen letzten Blick zurück: Die einstige Rennbahn, kerzengerade zwischen den Bäumen des Hardtwalds. Weit hinten ein Luftflimmern über dem Asphalt. Es ist immer noch brütend heiß, fast windstill. Und ich ertappe mich selbst dabei, wie ich angestrengt nach einem Motorengeräusch lausche, das ich auf dieser Waldgeraden nicht mehr hören werde. Schade!
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