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"Ein wenig zu komplex": Hat Red Bull den RB20 schlechter gemacht?

Red Bull wartet seit zweieinhalb Monaten auf einen Sieg und gerät inzwischen auch in der WM unter Druck - Christian Horner und Helmut Marko erklären die Probleme

"Ein wenig zu komplex": Hat Red Bull den RB20 schlechter gemacht?

Red Bull erlebte aktuell die längste Durststrecke seit der Saison 2020

Foto: Motorsport

Es sind Zahlen, an die man sich in Milton Keynes erst wieder gewöhnen muss: Erstmals seit der Saison 2020 konnte Red Bull zuletzt bei sechs Formel-1-Rennen in Serie keinen Sieg feiern, der letzte Erfolg durch Max Verstappen beim Spanien-GP in Barcelona liegt inzwischen zweieinhalb Monate zurück.

Noch führen die Bullen zwar beide Meisterschaften an, doch nachdem Max Verstappen zuletzt bereits erklärte, dass man in der aktuellen Form wohl nicht Weltmeister werden könne, schlägt nun auch Red-Bull-Teamchef Christian Horner Alarm.

"Mit der Pace, die wir [in Monza] hatten, werden beide Meisterschaften mit Sicherheit unter Druck stehen", bestätigt er Verstappens Warnung und betont: "Wir müssen das Ruder also sehr schnell herumreißen." Denn vor allem in der Konstrukteurs-WM wird es langsam eng.

Liegt Verstappen bei den Fahrern zumindest noch 62 Punkte vor seinem engsten Verfolger Lando Norris, ist McLaren zuletzt in Monza bis auf acht Zähler herangerückt. Und selbst Ferrari auf WM-Rang drei hat lediglich noch 39 Zähler Rückstand auf Red Bull.

"Ich denke, diese Strecke hat die Schwächen unseres Autos im Vergleich zum vergangenen Jahr aufgezeigt", so Horner nach P6 und P8 in Monza. Er erklärt: "Mit mehr Abtrieb kaschieren wir vielleicht einige unserer Balance-Probleme, die wir haben."

 

Das würde erklären, warum Verstappen bei seinem Heimrennen in Zandvoort, wo mit viel Abtrieb gefahren wird, immerhin noch Zweiter wurde, während er eine Woche später auf dem Low-Downforce-Kurs in Monza laut Horner nur noch "das viertschnellste Auto" hatte und auf Platz sechs landete.

Letzte Chance, die Probleme noch 2024 zu beheben?

"Ich denke, dass wir ein ganz klares Problem haben, das an diesem Wochenende [in Monza] deutlich wurde, und von dem wir wissen, dass wir es in den Griff bekommen und angehen müssen, da wir uns sonst selbst massiv unter Druck setzen", betont der Teamchef.

Denn nach Barcelona, dem bislang letzten Red-Bull-Sieg, lag McLaren in der WM noch satte 93 Punkte zurück. Dieser Vorsprung ist acht Rennen vor Schluss fast komplett aufgebraucht. Setzt sich der Trend also fort, wird McLaren als klarer WM-Favorit in die Saisonschlussphase gehen.

"Ich denke, das Wichtigste ist, das Problem zu verstehen. Und dann denke ich, dass es bestimmte Abhilfemaßnahmen gibt, die möglicherweise eingeführt werden können. Vielleicht nicht, um das ganze Problem zu lösen, aber um einen Teil davon anzugehen", erklärt Horner.

"Niemand setzt uns mehr unter Druck als wir selbst, denn ein sechster Platz [in Monza] tut weh", betont er und erklärt, dass man nun die Zeit vor Baku und die "Mini-Pause" nach Singapur nutzen wolle, um die Probleme in den Griff zu kommen. "Diese Zeit ist jetzt entscheidend", weiß Horner.

Denn nach der "Herbstpause" zwischen Singapur und Austin steht nur noch das knallharte Schlussprogramm mit sechs Überseerennen in acht Wochen an. Hat man die Probleme bis Mitte Oktober also nicht gelöst, ist es unwahrscheinlich, dass das in diesem Jahr überhaupt noch gelingen wird.

Horner verrät: Probleme deuteten sich 2023 schon an

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch Horner Geständnis, dass die Probleme mit der Balance nicht komplett neu seien. "Ich glaube, das [Problem] gibt es schon seit einiger Zeit. Ich denke, wenn man sich die Daten ansieht, gab es schon zu Beginn des Jahres Probleme", verrät er.

Und selbst 2023, als Red Bull überlegen Weltmeister wurde und 21 der 22 Saisonrennen gewann, habe es bereits "ein paar Rennen" gegeben, in denen man Probleme hatte. Doch weil der Vorsprung der Bullen damals so groß war, konnte man in der Regel trotz der Schwierigkeiten am Ende noch gewinnen.

Das funktioniert in diesem Jahr nicht mehr. "Ich denke, andere haben offensichtlich einen Schritt gemacht. Und je mehr wir das Paket vorantreiben, desto mehr wird das Problem sichtbar", erklärt Horner. Denn einerseits ist Teams wie McLaren oder auch Mercedes ein Sprung nach vorne gelungen.

Red Bull dagegen scheint das eigene Paket mit den Weiterentwicklungen eher schlechter gemacht zu haben. Auch Helmut Marko betont in seiner Kolumne für Speedweek: "Wir haben aus einem Rennwagen, der bei den ersten Rennen dominiert hat, ein mehr oder weniger unkalkulierbares, ganz schwierig zu fahrendes Auto gemacht."

Arbeitsfenster des RB20 ist aktuell zu klein

"Und das müssen wir aus der Welt schaffen", betont Marko und erklärt: "Im Zentrum steht nun also die Frage: Wie gehen wir vor, um die gute Fahrzeugbalance aus dem ersten Saisonteil wiederzufinden? Max Verstappen hat in Monza gesagt, er brauche nicht zwanzig Punkte mehr Abtrieb, wenn das Auto dadurch unfahrbar werde."

"Wir müssen also rückbauen und dabei hoffentlich den Punkt finden, an dem der Wagen in Balance war. Wenn wir das schaffen, dann wird das Verhalten des Autos wieder kalkulierbar, die Fahrer schöpfen frisches Vertrauen und können sich wieder ideal einbringen", hofft Marko.

Die aktuellen "Leistungsschwankungen" erkläre man sich so, "dass wir ein Fahrzeug geschaffen haben, das überaus sensibel auf kleinste Veränderungen reagiert - sei dies die Außentemperatur oder eine andere Reifenmischung oder weniger Kraftstoff an Bord", erklärt Marko.

Eine Einschätzung, die Horner bestätigt. "Wenn das Auto im Fenster ist, funktioniert es wie vorhergesagt oder näher an der Vorhersage. Aber dieses Fenster ist so klein, dass wir daran arbeiten müssen. Wir müssen das Betriebsfenster ausweiten", erklärt der Teamchef.

Denn grundsätzlich ist der Red Bull RB20 kein langsames Auto. Horner erinnert an das Red-Bull-Heimrennen in Österreich, wo Verstappen am Samstag den Sprint gewann und überlegen auf Pole fuhr, oder an Spa, wo der Niederländer im Qualifying ebenfalls mit Abstand der schnellste Mann war.

Horner: "Man behebt ein Problem und schafft ein weiteres"

Doch diese Pace kann man aktuell nicht über ein ganzes Wochenende halten - und teilweise nicht einmal über eine einzelne Session. "Wir haben keine Verbindung zwischen Front und Heck. Ich glaube, Max oder Checo können sich auf dem Weg in die Kurve nicht auf das Heck verlassen", erklärt Horner.

"Und ich glaube, dass man das am Ende kompensieren muss. Dann erzeugt man Untersteuern. Und das ist so ein schmaler Grat", betont der Teamchef, der als Beispiel das Monza-Qualifying nennt, wo man mit gebrauchten Reifen ganz vorne dabei gewesen sei.

"Dann ziehen wir zwei neue Reifensätze auf, die Balance ist dann komplett weg, und wir sind viereinhalb Zehntel langsamer", zuckt er die Schultern und erklärt: "Sobald man sich in dieser Situation befindet, werden die Reifen stärker beansprucht, man kompensiert es, verschiebt die Balance, behebt ein Problem und schafft ein weiteres."

"So gerät man in einen Teufelskreis", erklärt Horner und sagt über mögliche Lösungsansätze: "Ich denke, man muss sich alle Aspekte des Autos ansehen. Es gibt ein Balanceproblem mit dem Auto, das es den Fahrern nicht erlaubt, sich am Kurveneingang zu committen."

"Sobald man also das Heck beruhigt, wird die Front beeinträchtigt. Das führt dann zu Untersteuern, was wiederum den Reifen schadet", sagt er und zieht einen interessanten Vergleich: "Wenn man sich den McLaren ansieht, sieht er fast wie eine Weiterentwicklung des letztjährigen Autos aus, ein viel einfacheres Auto als unseres."

Opfert Red Bull Abtrieb für eine bessere Balance?

Seine Vermutung: "Vielleicht sind wir ein wenig zu komplex geworden und müssen ein paar Dinge vereinfachen." Denn manchmal sei es vielleicht besser, "etwas weniger Abtrieb, aber insgesamt eine bessere Balance" zu haben, die dann zu einem besseren Reifenmanagement et cetera führe.

Laut Marko muss man daher "herausfinden, wo wir technisch falsch abgebogen sind". Doch das sei "eine schwierige Aufgabe, weil wir seither sehr viele neue Teile ans Auto gebracht haben", erinnert er und ergänzt: "Darüber hinaus glauben wir: Der Abgleich von Erkenntnissen aus Windkanal und von der Rennstrecke ist ebenfalls Teil des Problems."

"Ich denke, dass der Windkanal seine Grenzen hat, und deshalb haben wir in einen neuen investiert", bestätigt Horner, der aber auch betont: "Ich denke, der Windkanal trägt vielleicht dazu bei, aber er ist nicht der Grund dafür, wo wir stehen."

Hoffnung für den Rest der Saison macht dem Teamchef derweil die Tatsache, dass Red Bull in diesem Jahr in der Hackordnung "sehr schnell" zurückgefallen sei. Denn das das Kräfteverhältnis "so schnell in die eine Richtung schwingen kann, bedeutet, es kann auch schnell in die andere Richtung zurückschwingen", so Horner.

Horner versichert: Verstappen hängt sich voll rein

Heißt: Seiner Meinung nach ist es möglich, dass Red Bull genauso schnell wieder in die Erfolgsspur zurückfindet, wie man zurückgefallen ist. Auch die öffentliche Kritik von Verstappen nimmt er dem Weltmeister daher nicht übel - im Gegenteil.

"Was mich bei Max wirklich beeindruckt hat, ist, dass er sich auf diesen Prozess einlässt. Er gerät nicht in Panik. Er arbeitet mit den Ingenieuren zusammen. Er erklärt sehr deutlich, wo die Probleme liegen. Er nimmt sich die Zeit und gibt sich Mühe", betont Horner.

Der Weltmeister sei beispielsweise in Monza bereits früh an der Strecke gewesen und sitze auch vor Baku wieder im Simulator, um bei der Problemlösung zu helfen. "Er arbeitet wirklich hart daran. Und ich denke, er hat große Reife als Weltmeister bewiesen, so wie er mit der Technikgruppe arbeitet", lobt Horner.

"Niemandem gefällt die Situation, in der wir uns im Moment befinden. Niemand ist damit glücklich. Und wir müssen wirklich hart arbeiten, um das Blatt zu wenden. Aber was dieses Team hat, ist Stärke, Tiefe und Talent. Und wir werden zurückkommen", kündigt er selbstbewusst an.

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