F1-Analyse Bahrain 2017: Die Details, die Mercedes im Weg standen
Eine ganze Reihe kleiner Probleme kam Mercedes beim Grand Prix von Bahrain im Kampf gegen Sebastian Vettel und Ferrari teuer zu stehen.
Foto: Charles Coates / Motorsport Images
Die Gesichter unterhalb des Siegerpodests am Bahrain International Circuit in Sakhir sagten alles: Toto Wolff und der Rest des Mercedes-Teams sah mit versteinerter Miene zu, wie Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ihre Pokale für Platz 2 und 3 in Empfang nahmen. Gleichzeitig stimmte die Ferrari-Crew zu Jubelgesängen an. Teamchef Maurizio Arrivabene grinste über beide Ohren und sang sogar die italienische Nationalhymne mit.
2 Podestplätze sind für Mercedes alles andere als ein Desaster, jedenfalls im Vergleich zum Grand Prix von Spanien 2016, als sich beide Fahrer in der 1. Runde gegenseitig aus dem Rennen kickten. In Bahrain wurde es dennoch offensichtlich, dass das amtierende Weltmeisterteam jetzt wirklich gefordert ist.
Obwohl Mercedes das Qualifying dominiert und beide Autos in die 1. Startreihe gestellt hatte, wurde man im Rennen von Sebastian Vettel und Ferrari geschlagen. "Leider fühlt sich Verlieren viel schlimmer an als sich Siegen gut anfühlt", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff unmittelbar nach der Siegerehrung.
Unterm Strich hatten viele Faktoren ihren Anteil am Ergebnis. Einige waren dabei schwerwiegender als andere. Der Punkt ist: Bei nahezu allen Rennen der vergangenen 3 Jahre hätten diese Faktoren allenfalls darüber entschieden, ob Lewis Hamilton oder Nico Rosberg am jeweiligen Wochenende das bessere Ende für sich haben.
In der Saison 2017 aber muss Mercedes alles auf den Punkt genau richtig machen, um sich den starken Gegner, der da heißt Ferrari und Sebastian Vettel, vom Leib zu halten.
Die falsche Spur
Im Qualifying am Samstag hakte Mercedes das Ziel, beide Autos in die 1. Startreihe zu stellen, erfolgreich ab. Die Pole-Position für Valtteri Bottas war sowohl für den Finnen selbst als auch für seine Seite der Mercedes-Box ein nicht zu unterschätzender Aufschwung.
Hamilton war mit Startplatz 2 zufrieden und schien sich ehrlich für seinen Teamkollegen zu freuen. Im großen Ganzen betrachtet, war der Verlust der Pole-Position um 0,023 Sekunden für Hamilton aber größer als er zu diesem Zeitpunkt ahnte. Wäre er am Sonntag von der Pole losgefahren, wäre das Rennen für den Briten wohl anders ausgegangen.
So aber wurde Hamiltons Leben im Rennen noch schwerer gemacht, als Vettel unmittelbar nach dem Start vorbeizog und den von der schmutzigen rechten Spur losgefahrenen dreimaligen Weltmeister auf Rang 3 zurückfallen ließ.
Nachdem es zunächst den Anschein hatte, dass Hamilton seine Reifen schonen wollte, um Probleme à la Melbourne zu vermeiden, hatte er schon bald den Red Bull von Max Verstappen im Genick sitzen. Damit hatte der Mercedes-Pilot nicht gerechnet. Ein paar Runden lang durften die Fans das Bild genießen, wie die Autos der 3 Topteams im knappen Abstand die Strecke umrundeten. Darauf hatten sie schließlich jahrelang gewartet.
Bottas schien das Rennen komfortabel anführen zu können, doch nach rund 9 Runden meldete er über Funk, dass die Hinterreifen seines Mercedes "immer mehr Grip verlieren". Dem Finnen wurde gesagt, dass es ein Problem mit dem Luftdruck der Reifen gebe. Aufgrund eines defekten Generators war das Team nicht in der Lage, den Reifendruck an Bottas' Auto vor dem Start auf den optimalen Wert herabzusetzen.
Es folgte der Punkt, an dem Ferrari das Rennen auf den Kopf stellte, und zwar mit einer aggressiven Boxenstoppstrategie für Vettel. Der Deutsche wurde schon in der 10. Runde zum Wechsel auf einen neuen Satz Supersoft-Reifen an die Box gerufen.
Red Bull reagierte mit Verstappen sofort. Die Anweisung kam dabei vom Fahrer selbst. "Ich glaube, wir sollten etwas ähnliches machen wie Ferrari", sagte Verstappen. Doch aufgrund eines plötzlichen Verlusts des Bremsdrucks hinten rutschte der Niederländer unmittelbar nach seinem Boxenstopp in die Reifenstapel von Kurve 4. Der Spannung im Rennen war dieser Ausfall nicht zuträglich.
Mercedes in der Boxengasse unter Druck
Mercedes hatte auf den Boxenstopp von Vettel nicht reagiert, aber die Safety-Car-Phase, die es aufgrund der Kollision zwischen Carlos Sainz Jr. und Lance Stroll gab, bot eine Chance. Bottas führte Hamilton, Daniel Ricciardo und die anderen Fahrer in die Boxengasse. Doch in diesem Moment wurde für Mercedes aus einer Chance ein Problem.
Im Wissen, dass er beim Boxenstopp hinter seinem Teamkollegen Bottas würde warten müssen, nahm Hamilton mehr Tempo als normal heraus und blockierte damit Ricciardo. Die Regeln besagen, dass es für derartige Taktiken eine Grenze gibt.
Derweil lief der Boxenstopp von Bottas nicht optimal, weil es nach Angaben von Mercedes aufgrund eines Stromausfalls in der Box ein Problem mit einem der Schlagschrauber gab. Beim Herausfahren musste Bottas auf den von Hamilton aufgehaltenen Ricciardo warten, bevor er selbst beschleunigen konnte. Bei Hamiltons Stopp gab es abermals ein Problem mit dem Schlagschrauber und so kam es, dass der Red Bull vor beiden Mercedes wieder ins Rennen ging.
Es wäre faszinierend gewesen zu sein, wie es ohne Safety-Car-Phase gelaufen wäre: Wann hätten die Mercedes ihren Boxenstopp eingelegt und wo wären sie im Verhältnis zum Ferrari von Vettel auf die Strecke zurückgekommen? Aufgrund der unterschiedlichen Reifenwahl war das Rennen aber auch so noch nicht entschieden.
Die Reihenfolge wurde angeführt von Vettel (Supersoft), Bottas (Supersoft), Ricciardo (Soft) und Hamilton (Soft). Mercedes hatte die Reifenstrategien seiner beiden Fahrer gesplittet und Ferrari damit Anlass zum Nachdenken gegeben. Grundsätzlich ging man davon aus, dass Hamilton länger würde fahren können und den Zeitpunkt seines 2. Stopps flexibler würde gestalten können.
Rein theoretisch hätte Hamilton sogar durchfahren können, weil er beide Reifenmischungen verwendet hatte. 44 Runden mit einem Reifensatz waren aber eine unmögliche Hürde. Somit war dieser Plan kein ernsthafter.
Hamilton kassiert Zeitstrafe
Gerade, als sich das Feld zum Restart formierte, gab es eine weitere Wendung. Die Rennkommissare der FIA untersuchten die Art und Weise, wie Ricciardo bei der Anfahrt zum Boxenstopp von Hamilton aufgehalten wurde. Eine Strafe gegen den Mercedes-Piloten schien unausweichlich. Und tatsächlich: Kurz nach dem Restart tauchte die Meldung einer 5-Sekunden-Strafe auf dem Monitor auf.
Kurz bevor die Bestätigung der Strafe kam, gab es sehenswerte Action. Bottas versuchte sich aggressiv an Vettel vorbeizuschieben, schaffte es aber nicht ganz. Der Mercedes-Pilot verpasste in Kurve 4 die Linie und verlor Schwung.
Hamilton machte es sich derweil etwas einfacher, indem er sofort an Ricciardo vorbeiging. Beide waren auf Soft-Reifen unterwegs, aber der Australier tat sich schwerer, diese ins richtige Arbeitsfenster zu kriegen. In China hatte sich Red Bull noch für Supersoft und gegen Soft entschieden, weil man dachte, dass der Abtrieb nicht ausreichen würde, um die härtere Mischung zum Arbeiten zu kriegen. Das Ende vom Lied: Ricciardo wurde von mehreren Autos überholt und war aus dem Kampf um die Podestplätze in Bahrain draußen.
An der Spitze setzte sich Vettel sukzessive von Bottas ab, während der unter Druck seines Teamkollegen Hamilton geriet. Es gab Funkverkehr bei Mercedes, ob die Positionen getauscht werden sollten. Im Zuge dessen funkte Hamilton sogar, dass er die Position an Bottas zurückgeben würde, sollte er nicht in der Lage sein, Vettel zu überholen. Derweil wurde der Spitzenreiter vom Ferrari-Kommandostand von den Mercedes-Plänen unterrichtet.
Es dauerte ein paar Runden, aber zu Beginn der 27. Runde ließ Bottas Hamilton vor Kurve 1 passieren. Mercedes wollte sich so früh in der Saison eigentlich nicht mit derartigen Dingen beschäftigten, aber der von Ferrari ausgehende Druck machte es unausweichlich.
Bottas teilte dem Team mit, dass seine Supersoft-Reifen überhitzten und dass die Soft-Reifen die schnelleren seien. In der 30. Runde nahm er den entsprechenden Reifenwechsel vor. 3 Runden später folgte Spitzenreiter Vettel diesem Beispiel und wechselte ebenfalls von Supersoft auf Soft. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 24 Runden zu fahren.
Hamilton wurde in Führung gespült und nutzte die Lebensdauer seiner Soft-Reifen voll aus, um später als seine Rivalen an die Box zu kommen. Doch über ihm schwebte die 5-Sekunden-Strafe, die in diesem Fall beim Boxenstopp abgesessen werden musste. Hamilton blieb schließlich bis zur 41. Runde draußen, doch die Zeit, bis die Mechaniker mit dem Reifenwechsel beginnen durften, muss dem Mercedes-Piloten wie eine Ewigkeit vorgekommen sein.
Mit einem neuen Satz Soft-Reifen nahm Hamilton die letzten 16 Runden unter die Räder. Dabei hatte er eigentlich gedacht, er würde Supersoft bekommen. Die weicheren Reifen schienen ihm für den Sprint bis ins Ziel die logischere Wahl zu sein. Der dreimalige Weltmeister hinterfragte die Entscheidung, bekam als Antwort vom Kommandostand aber: "Das basiert alles auf den Daten". Die Daten wiederum bestätigten die Aussagen von Teamkollege Bottas.
Spannung bis zur Zielflagge
Die letzten Runden des Rennens waren toller Motorsport. Hamilton kam mit einem Rückstand von 19 Sekunden auf Vettel aus der Box und hatte 16 Runden Zeit, diesen Rückstand aufzuholen. Der Mercedes-Pilot hatte Soft-Reifen auf seinem Auto, Vettel war seinerseits mit Soft-Reifen unterwegs, aber die hatten bereits 8 Runden auf dem Buckel.
Es war eine riesige Hürde, aber wenn sie jemand würde überspringen können, dann Hamilton. Der Abstand wurde kleiner. In der 47. Runde ließ Bottas seinen Teamkollegen ein 2. Mal passieren. In diesem Fall wirkte es aber ein wenig angespannt, weil er Hamilton an einer Stelle vorbeiließ, an der der Brite nicht damit gerechnet hatte: in Kurve 13.
Unterm Strich reichte es für Hamilton nicht. Vettel verlor zwar beim Überrunden etwas Zeit, aber er teilte sich seine Reifen so ein, dass er in den Schlussrunden immer noch genug Grip hatte. Hamilton hatte sich 3 Runden vor Schluss bis auf 5,8 Sekunden herangefahren, doch bis die beiden die Ziellinie überquerten war der Abstand wieder eine Sekunde größer geworden. Vielleicht war es passend, dass der finale Rückstand Hamiltons größer war als die 5 Sekunden, die er als Strafe kassiert hatte.
Für Mercedes jedenfalls gab es im Anschluss an das Rennen jede Menge Dinge, über die es nachzudenken gilt. Damit wurde direkt unterhalb des Podiums begonnen, als Niki Lauda mit einigen Ingenieuren diskutierte. Wie schon eingangs erwähnt, kam die Niederlage aufgrund einer Kombination von Faktoren zusammen, die das Pendel zu Gunsten von Vettel ausschwenken ließen.
"Es waren viele winzig kleine Verluste", sagt Toto Wolff, um ins Detail zu gehen: "Der kaputte Generator am Start, wodurch wir die Reifen nicht richtig entlüften konnten. Valtteris Tempo war somit beeinträchtigt. Hinzu kam, dass Vettel direkt nach dem Start an Lewis vorbeiging. Dann der clevere Undercut von Ferrari. Nicht der perfekte Boxenstopp bei uns aufgrund eines Stromausfalls in der Box. An Tempo hat es uns meiner Meinung nach nicht gefehlt."
Das vielleicht größte Problem für Mercedes ist aber, dass es die Umstände schon beim 3. Saisonrennen erforderten, zu einer Stallorder zu greifen – und das nicht nur einmal, sondern gleich 2 Mal. Keine Frage: Ferrari macht Druck.
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