Ferrari vs. Mercedes: Chronologie des Formel-1-Technologiekrieges 2018
Ferrari und Mercedes schenkten sich in der Formel-1-Saison 2018 an der Technikfront nichts: So wurden der Mercedes W09 und der Ferrari SF71H weiterentwickelt
Foto: Sam Bloxham / Motorsport Images
Formel-1-Technik mit Giorgio Piola
Giorgio Piola analysiert und erklärt die Technik in der Formel 1!
In einem der packendsten Entwicklungsrennen in der Formel 1 der vergangenen Jahre liegen Mercedes und Ferrari Kopf an Kopf. Keines der beiden Teams konnte sich bislang einen entscheidenden Vorteil in der Saison 2018 verschaffen. Besonders spannend ist, dass trotz völlig unterschiedlicher Fahrzeugkonzepte und Entwicklungsphilosophien die Unterschiede auf der Strecke marginal sind.
Bevor der Kampf auf dem Circuit de Spa-Francorchamps in seiner nächste Runde geht, werfen wir mit Hilfe exklusiver Illustrationen von Giorgio Piola einen Blick zurück, um den Entwicklungsprozess der beiden Teams nachzuvollziehen.
Ausgangslage: Mercedes' Diva und Ferraris Aufholjagd
Während der Formel-1-Saison 2017 legte der Mercedes W08 einige Eigenheiten an den Tag, die Toto Wolff dazu veranlassten, das Fahrzeug als "Diva" zu bezeichnen. Überraschenderweise behielt Mercedes beim W09 aber den langen Radstand bei. Nicht wenige Experten sind der Meinung, dass dieser der Grund für die Mercedes-Schwächen vor allem auf langsamen Kursen war.
Für Technikchef James Allison stellte sich die Frage aber gar nicht erst, den langen Radstand aufzugeben. Es gäbe mehr zu verlieren als zu gewinnen, wenn man alles über Bord wirft. Vor allem, da Ferrari dicht dran war, erschien ihm das Risiko wohl zu groß.
Ferrari überraschte die Fachwelt mit einem ähnlich großen Radstand beim SF71H, der gegenüber dem Vorgänger um 70 Zentimeter anwuchs. Wie Mattia Binotto damals erklärte, wollte Ferrari damit seine eigenen Schwächen ausbessern: "Auf langsamen Kursen waren wir gut unterwegs, aber auf schnelleren hatten wir im Vergleich zu Mercedes Probleme."
Der Grund für das "Diva"-Verhalten des Mercedes W08 dürfte auch schnell gefunden sein: Vor Saisonstart wusch eine Technische Direktive bei der Aufhängung einen Vorteil von Mercedes und Red Bull weg. Diese Systeme trugen die DNA einiger der zuvor verbotenen FRIC-Systeme in sich und kamen der aerodynamischen Effizienz des Autos zugute. Diese Regelung schien Mercedes einzubremsen, die damals das wohl am weitesten entwickelte System hatten. Diesen Nachteil musste man durch die ganze Saison schleppen (was weder Mercedes noch Lewis Hamilton am Titelgewinn 2017 hinderte).
Die neuen Autos 2018
Für die Formel-1-Saison 2018 unternahm Mercedes daher Anpassungen: Die Umlenkhebel des oberen Querlenkers wurden über einen passiven Mechanismus miteinander verbunden (s. Video). So gelang es, die Aufhängungsbewegungen genauer zu kontrollieren. Am Heck wurde der obere Querlenker etwas nach oben versetzt. Das hatte Mercedes bereits 2017 bei der Vorderradaufhängung getan.
Ferrari nutzte derweil den neu gewonnen Freiraum, um ein paar aerodynamische Änderungen am Heck vorzunehmen. Diese beinhalteten einen Kanal, den Ferrari schon bei früheren Modellen nutzte, (zum Beispiel beim SF16-H, Bild im Bild links). Dieser hilft, den Luftstrom im Bereich des "Flaschenhalses" zu verbessern.
Ferrari SF71H and Ferrari SF70H bargeboard comparison
Photo by: Giorgio Piola
Der größte Schritt nach vorn gelang Ferrari allerdings im Mittelteil des Fahrzeugs. Die Bargebords und der vordere Bereich des Unterbodens weisen gegenüber dem Vorgänger eine deutlich höhere Komplexität auf. Womöglich hat Ferrari hier sogar ein wenig bei seinem ärgsten Rivalen abgekupfert.
Dank des größeren Freiraums, den der längere Randstand ermöglicht, konnte Ferrari sein größtes Ass im Ärmel weiter verfeinern: Die Seitenkästen, mit denen die Italiener das Fahrerlager 2017 in Erstaunen versetzten. Mercedes blieb hingegen bei einer konventionelleren Lösung. Trotzdem schwärmte Allison in einem Teaser-Video für den Mercedes W09 von den Fortschritten, die man in diesem Bereich gemacht haben will, auch ohne die Ferrari-Revolution mitzugehen.
Ferrari startete mit einer neuen Philosophie beim Frontflügel in die Saison. Der Bogen direkt neben dem standardisierten Teil des Flügels (Roter Pfeil, Bild im Bild oben rechts) verschwand zu Gunsten eines Schlitzes (gelb hervorgehoben). Auch wurde der außenliegende Tunnel in seiner Form abgeändert. Die Designer taten dies, um die Wirbel zu verändern, die durch den Vorderreifen verursacht werden (Vergleich: Bild im Bild links oben).
Auch Mercedes modifizierte die Endplatte des Frontflügels (in grün hervorgehoben). So konnte der Luftstrom, der um den Vorderreifen herum geleitet wird, die Wirbel besser glätten, die der Reifen verursacht.
Das Entwicklungsrennen
Die folgenden Illustrationen zeigen die Updates beider Teams in chronologischer Reihenfolge. Sie geben auch Einblicke in die unterschiedlichen Philosophien.
Beide Teams brachten ihre ersten aerodynamischen Updates für die langen Geraden in Aserbaidschan. Sowohl Ferrari als auch Mercedes tauschten ihre konventionellen Heckflügel gegen löffelförmige aus, die einen geringeren Luftwiderstand haben. In Spanien rüsteten beide Teams wieder auf ihre konventionellen Lösungen zurück.
Ferrari allerdings trieb das aerodynamische Design auf die Spitze und präsentierte die kontrovers diskutierten, am Halo befestigten Rückspiegelaufhängungen. Wurde Ferrari schon in Aserbaidschan bei seiner einzigartigen, zweiteiligen Lösung zu Änderungen gezwungen, um innerhalb des Reglements zu bleiben, waren die neuen Spiegelaufhängungen ein noch größerer Aufreger. Schließlich wurden sie ab dem nächste Rennen verboten.
Mercedes fügte ein weit weniger kontroverses neues Luftleitblech auf dem oberen Querlenker der Vorderradaufhängung ein. Die Idee wurde zum ersten Mal bei Sauber beobachtet.
In Monaco hatte Ferrari wie gefordert die Winglet-ähnlichen Spiegelaufhängungen abmontiert, blieb aber bei der Lösung, die Spiegel am Halo und nicht am Chassis zu befestigen. Noch wichtiger: Ferrari brachte einen neu geformten oberen Querlenker an der Hinterradaufhängung für eine bessere mechanische und aerodynamische Performance.
Mercedes fügte auf der Oberseite der Seitenkästen eine Reihe Vortexgeneratoren hinzu, die bei den vielen langsamen Kurven im Fürstentum helfen sollten.
Ferrari zündete die nächste Stufe mit einem aggressiver gestalteten Bargeboard in Kanada. Gemeinsam mit den neu arrangierten Einschnitten im vorderen Bereich des Unterbodens sollte sich dieses Update als potenter herausstellen, als es die Scuderia selbst erwartet hätte. In Frankreich folgte ein neuer Frontflügel, bei dem sich der in Melbourne eingeführte Schlitz nun durch das ganze Flügelblatt hindurch zog. Diese Lösung ist weniger anfällig für Pitching (das abrupte Absenken der Fahrzeugfront beim Bremsen beziehungsweise Anheben beim Beschleunigen).
Mercedes brachte derweil keine großen aerodynamischen Änderungen, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf die neue Motorausbaustufe. Diese sollte ursprünglich in Kanada debütieren, aber wurde aufgrund von Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit auf Frankreich verschoben.
In Österreich präsentierte Mercedes dann sein größtes Update der Saison. Die Form der Seitenkästen wurde komplett geändert, sodass die Kühlöffnung nach hinten verschoben werden konnte. So gelang es, den Einfluss der Wirbel der Vorderreifen zu verkleinern. Auch die Spiegel und ihre Aufhängungen wurden den neuen Karosserieteilen angepasst. Dabei nahm man auch gerne ein paar sekundäre aerodynamische Effekte mit.
Daneben wurde auch ein neuer Heckflügel eingeführt, der ein neues Design an der Endplatte aufwies, wie sie bei McLaren seit 2017 zum Einsatz kommt. Das wirkt sich vor allem positiv auf Strecken aus, die viel Abtrieb erfordern.
Ferrari antwortete in Silverstone mit einem neuen Unterboden mit einem weiteren Schlitz an der Seite des Unterbodens, der mit den sogenannten "Tyre Squirts" verschmilzt, den Löchern im Unterboden vor dem Hinterreifen. Ziel dieser Maßnahme war es, den Unterboden zur Seite hin abzudichten, also eine Art "Luftschürze" zu kreieren, die verhindert, dass der Luftstrom unter dem Unterboden seitlich nach außen entkommt. Auch die hintere Bremsbelüftung wurde einer Modifikation unterzogen: Statt einfach nur dreier Einschnitte in der Außenplatte wurde das Element in drei Teile aufgeteilt.
Noch neun Rennen…
Beide Teams haben in der ersten Hälfte der Saison also sehr unterschiedliche Wege in der Entwicklung eingeschlagen. Mercedes investierte viel in ein großes Update in Österreich, während Ferrari konstant Updates am Fahrzeug brachte.
Die Frage bleibt: Wer hat noch mehr Entwicklungsreserven in der Pipeline für den zweiten Teil der Saison? Die Situation wird dadurch erschwert, dass mehr Ressourcen als im vergangenen Jahr in die Entwicklung des Fahrzeugs für die nächste Saison gesteckt werden müssen, weil sich die Regeln stärker ändern werden als von 2017 auf 2018.
Diese Story teilen oder speichern
Registrieren und Motorsport.com mit Adblocker genießen!
Von Formel 1 bis MotoGP berichten wir direkt aus dem Fahrerlager, denn wir lieben unseren Sport genau wie Du. Damit wir dir unseren Fachjournalismus weiterhin bieten können, verwendet unsere Website Cookies. Dadurch wird Dein Nutzererlebnis optimiert und die Werbung auf Deine Interessen zugeschnitten. Wir wollen dir aber natürlich trotzdem die Möglichkeit geben, eine werbefreie Website zu genießen.