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Interview

Formel-1-Arzt Ceccarelli: "Frauen fehlt manchmal letzte Risikobereitschaft"

Formel-1-Arzt Riccardo Ceccarelli klärt im Interview, ob Frauen im Formel-1-Boliden körperlich gegenüber Männern im Nachteil sind und welche Rolle die Gene spielen

Dr. Riccardo Ceccarelie

Dr. Riccardo Ceccarelie

BMW AG

Haben Frauen die gleichen Voraussetzungen, um im Formel-1-Cockpit erfolgreich zu sein? 'Motorsport.com' hat sich mit dieser Frage an den italienischen Arzt Riccardo Ceccarelli gewandt, der seit 1989 in der Formel 1 tätig ist und mit seiner Firma "Formula Medicine" inzwischen abgesehen von Ferrari alle Teams betreut. Zudem hat der Sportmediziner in der Toskana ein High-tech-Trainingszentrum geschaffen, in dem bereits über 1.000 Rennfahrer physisch, psychisch und medizinisch unterstützt, aber auch analysiert wurden.

Im Interview erklärt Ceccarelli, der Sophia Flörsch nach ihrem Horrorunfall in Macao betreute, warum Frauen in der Formel 1 physisch die gleichen Leistungen wie Männer bringen können, er es aber für möglich hält, dass sie genetisch im Nachteil sind.

Frage: "Herr Ceccarelli, was halten Sie von den Aussagen von Carmen Jorda, die physischen Voraussetzungen würden es Frauen unmöglich machen, in der Formel 1 und in der Formel 2 erfolgreich zu sein?"
Riccardo Ceccarelli: "Da muss ich klar widersprechen. Die Tatsache, dass es viel weniger Fahrerinnen als Fahrer gibt, ist nicht auf den Körper zurückzuführen. Um ein Rennauto zu fahren, benötigt man nicht unbedingt 100 Prozent der Muskelkraft, über die ein Mann verfügen kann. Es kommt einfach darauf an, wie fit man ist und wie viel man trainiert. Frauen fehlt das Testosteron, daher müssen Frauen etwas mehr trainieren als Männer."

Frage: "Was bedeutet das genau?"
Ceccarelli: "Der männliche Bizeps wird durch Testosteron unterstützt, der weibliche nicht. Daher muss die Frau vielleicht ein bisschen mehr trainieren, um die selbe Kraft zu haben. Aber das ist kein Problem. Aus muskulärer Sicht kann sie das ohne weiteres schaffen - und zwar auch wenn es darum geht, ein Formel-1-Auto zu fahren. Die physische Seite ist also nicht das Problem. Wenn eine Frau motiviert ist und an sich arbeiten will, kann sie diese hohe Performance absolut problemlos erreichen."

Frage: "Worauf führen Sie es dann zurück, dass seit 42 Jahren keine Frau mehr einen Grand Prix bestritten hat?"
Ceccarelli: "Der Hauptgrund ist, dass viel weniger Frauen Motorsport betreiben als Männer. Die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Frau ganz an die Spitze schafft, ist also viel geringer. Das dürfen wir nicht vergessen."

Ceccarelli: Warum Männer oft mehr riskieren

Frage: "Haben Sie noch andere Unterschiede festgestellt, die eine Rolle spielen könnten?"
Ceccarelli: "Ich glaube, es gibt schon noch einen Unterschied, aber das ist meine persönliche Meinung und keine wissenschaftliche Aussage."

Frage: "Und zwar ...?"
Ceccarelli: "Lassen Sie mich etwas ausholen: Als Kinder sind Rennfahrerinnen manchmal auf dem gleichen Niveau wie die Fahrer. Ich spreche da vom Kartsport, so mit elf oder zwölf. Manchmal sind die Mädchen sogar schneller. Aber wenn sie älter werden, verlieren sie diesen Vorsprung im Vergleich zu den Jungs."

Frage: Woran könnte das liegen?
Ceccarelli: "Man muss sich das Gehirn anschauen - und das ist immer noch meine persönliche Meinung. Als Kind hat man keine besonderen analytischen Fähigkeiten, sondern handelt nach seinen Instinkten. Man macht einfach was man will, denkt nicht viel über das Kart nach und reflektiert nicht viel. Man macht Dinge, weil sie Spaß machen. Und wenn man dann auch noch Talent hat, dann geht alles ganz leicht."

"Wenn man aber älter wird, dann wird es kompliziert. Man kommt in die Pubertät, wird erwachsen - und dann gibt es zwei unterschiedliche Arten von Hormonen, die männlichen und die weiblichen. Der Körper ändert sich, aber meiner Meinung nach ändert sich auch das Gehirn. Die Frauen entwickeln eine etwas konservativere Herangehensweise. Sie tun sich schwerer, ans absolute Limit zu gehen. Manchmal fehlt die allerletzte Risikobereitschaft, die über das Rationale hinausgeht."

"Männer sind aus genetischer Sicht durch die Evolution über tausende Jahre damit vertraut, Risiken einzugehen."Riccardo Ceccarelli
Frage: "Worauf führen Sie das zurück?"
Ceccarelli: "Das hat historische Gründe: Als wir Affen waren, haben die Männer Tiere gejagt, um Nahrung zu besorgen, während die Frauen bei den Kindern bleiben mussten. Die Herangehensweise unterscheidet sich also. Die Männer sind aus genetischer Sicht durch die Evolution über tausende Jahre damit vertraut, Risiken einzugehen, um das Überleben zu sichern."

"Das ist auf die Jagd von anderen Tieren und auf Kriege zurückzuführen. Das Risiko ist also Teil der männlichen Genetik. Frauen verteidigen hingegen eher, um Schutz zu bieten. Das könnte der Grund sein, warum Frauen auch in Rennen oft ein bisschen konservativer und rationaler agieren als Männer."

Ceccarelli: Pilotinnen haben mehr Veranlagung für GT-Rennen

Frage: "Das muss aber nicht immer ein Nachteil sein ..."
Ceccarelli: "Ja, weil sie weniger Unfälle haben und wahrscheinlich rationaler agieren. Für Frauen ist es möglicherweise einfacher, in Langstreckenrennen zur Spitze zu zählen, wo es nicht immer um absolute Top-Rundenzeiten geht, sondern vor allem um die Konstanz und darum, das Auto heil ins Ziel zu bringen. Ich glaube also, dass Frauen mehr Veranlagung für Langstreckenrennen haben als für den Formelsport. Zumindest, wenn es um den letzten Schritt im Formelsport geht."

Frage: "Kann eine Frau also in der Formel 1 ihrer Meinung nach gar nicht ganz nach vorne kommen?"
Ceccarelli: "Theoretisch könnte schon morgen eine Frau auftauchen, die eine Ausnahme darstellt und sogar in der Formel 1 an die Spitze kommt. Das würde ich absolut nicht ausschließen, ich spreche hier nur über den Durchschnitt. Und ein Vergleich ist ganz schwierig, weil sich bei der männlichen Gruppe der Schnitt aus einer so großen Anzahl an Personen ergibt und bei der weiblichen aus einer so kleinen Anzahl. Das ist natürlich die größte Einschränkung."

Frage: "Gibt es noch andere Faktoren, die Einfluss haben?"
Ceccarelli: "Was das Mentale angeht, aber auch die Herangehensweise, die Entschlossenheit und die Analysekompetenz, sehe ich überhaupt kein Problem. Manche Frauen haben sogar eine viel bessere Veranlagung, was Arbeitsmoral und Analysekompetenz, aber auch Zielstrebigkeit anbelangt. Sie sind oft entschlossener. Man sieht das auch in der Medizin. Als ich als Arzt angefangen habe, gab es wenig Frauen, heute sind es viel mehr. Und sie sind in allen Bereichen auf dem gleichen Niveau wie die Männer - und oft sogar genauer, bemühter und professioneller."

"Heute funktioniert auch der Motorsport so. Man muss sich der Sache verschreiben, viel analysieren. Ich sehe, was den Charakter angeht, keine mentalen Einschränkungen, um im Motorsport erfolgreich zu sein. Das sehe ich auch bei den Fahrerinnern, die zu mir kommen. Frauen haben diesbezüglich zumindest die gleichen Voraussetzungen."

"Ich stelle mir eben nur die Frage, ob die Gene auf Basis unserer menschlichen Evolution eine Rolle für den Instinkt spielen, das allerletzte Risiko einzugehen. Da geht es nicht um die Einstellung, sondern um das, was in uns steckt. Das könnte eine Einschränkung sein, wenn es darum geht, in der Formel 1 ganz vorne zu sein. Aber in allen anderen Serien ist es keine Einschränkung."

Wie Sophia Flörsch Arzt Ceccarelli beeindruckte

Frage: "Bei welcher Fahrerin sehen Sie derzeit das größte Potenzial für die Formel 1?"
Ceccarelli: "Derzeit gibt es nicht viele, die im Formelsport weit vorne zu finden sind. Das ist also schwer zu sagen. Tatiana Calderon bewegt sich im Umfeld von Sauber, und ich habe sie in der Formel 3 und in der GP3 gesehen. Sie kämpft gegen die Männer und liegt oft auf guten Platzierungen im Bereich der Punkteränge. Tatiana könnte also den letzten Schritt schaffen, sie fährt nicht hinterher. Sie zeigt, dass sie es verdient, da mitzufahren, hat Talent und das Potenzial."

"Eine andere Pilotin, die sehr entschlossen, sehr motiviert und mental sehr stark ist, ist Sophia Flörsch. Sie hat auch sehr viel Potenzial und ist erst 18. Ich habe sie bei einem Test gesehen, als sie erst 16 war - mit acht Jungs. Das war eine Art Talentesichtung. Und meiner Meinung nach war sie damals die Beste, was die Herangehensweise angeht, obwohl sie die Jüngste war. Damit meine ich den Fahrstil, wie sie mit dem Auto umgegangen ist, wie sie sich von Versuch zu Versuch verbessert hat. Da war ich wirklich beeindruckt."

"Es gab nur einen Fahrer, der besser war, aber der war bereits 29 Jahre alt und hatte sehr viel Erfahrung. Selbst wenn sie ein 16-jähriger Junge gewesen wäre, hätte ich 'Wow' gesagt, denn sie ist auf einer ihr unbekannten Strecke mit einem unbekannten GT-Auto so ruhig und professionell umgegangen, obwohl sie unter Druck stand. Sophia und Tatjana haben das Potenzial für die Formel 1, aber wir müssen abwarten."

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