Formel Langeweile: Ist das der beste Mercedes aller Zeiten?
Laut Sebastian Vettel fährt Mercedes 2020 "in einem anderen Universum", doch Lewis Hamilton und Toto Wolff haben nicht vor, sich auf die faule Haut zu legen
Es sind erst drei Rennen der Formel-1-Saison 2020 gefahren, und Stand heute kann niemand mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, wie viele Grands Prix letztendlich in die Wertung kommen. Aber in einem sind sich die Experten jetzt schon einig: Es wird ganz, ganz schwierig, den siebten Mercedes-Titel hintereinander zu verhindern.
Lewis Hamilton hat am Hungaroring erstmals die WM-Spitze erobert, führt jetzt fünf Punkte vor Valtteri Bottas und 30 vor Max Verstappen. Bei den Konstrukteuren hat Mercedes (121) mehr als doppelt so viele Punkte auf dem Konto wie der erste Verfolger Red Bull (55). Die Dominanz der neuerdings schwarz eingefärbten Silberpfeile scheint größer zu sein als je zuvor.
"Die sind nicht nur auf einem anderen Planeten - die fahren in einem ganz anderen Universum", seufzte Sebastian Vettel am Samstag nach dem Qualifying. Der Ferrari-Pilot hatte als bester Nicht-Mercedes-Fahrer 1,327 Sekunden auf Hamiltons Pole-Zeit verloren, und das auf einer kurvenreichen Strecke, auf der zumindest die Hoffnung bestand, dass Mercedes verwundbar sein könnte.
Aber der F1 W11 EQ Performance ist nicht nur auf den Geraden und in den schnellen Kurven Klassenprimus, wie Mercedes am Red-Bull-Ring bewiesen hat; sondern geht auch in langsameren Ecken richtig gut. Wer auf dem Red-Bull- und dem Hungaroring, auf zwei so unterschiedlichen Strecken, derart dominiert, der ist in der WM kaum zu stoppen, befürchtet die Konkurrenz.
Steiner: Größte Dominanz seit Jahren
Der W11 sei "ein phänomenales Auto", gratuliert Red-Bull-Teamchef Christian Horner, und Günther Steiner vom amerikanischen Nachzügler Haas staunt: "Die stehen in der ersten Reihe, ja - aber in der zweiten Reihe steht ja gleich der letztjährige Mercedes! Das ist erstaunlich. So eine Dominanz hat es in der Formel 1 schon lange nicht mehr gegeben."
Zumal viele das Gefühl haben, dass Mercedes in den ersten drei Rennen noch nicht einmal ans Limit gehen musste, um zu gewinnen. In Spielberg 1 bummelten Valtteri Bottas und Hamilton durch die Steiermark, um nur ja keinen Ausfall zu riskieren. Und nach Spielberg 2 und Mogyorod (Budapest) wirkte Hamilton nicht so, als habe er sich besonders anstrengen müssen.
Das Potenzial des W11 blitzte bisher nur in einigen wenigen Momenten durch, etwa in der 68. und 70. Runde des Grand Prix von Ungarn, als Hamilton auf die Idee kam, mit frischen Softs auf den Bonuspunkt für die schnellste Runde loszugehen. Er fuhr zuerst 1:17.497 und dann 1:16.627 Minuten. Verstappens schnellste Rennrunde war um zweieinhalb Sekunden langsamer.
Das muss man in den richtigen Kontext setzen, denn Verstappen hatte im Finish, als die Tanks leer wurden, keine frischen Softs. Aber wie "locker-flockig" Hamilton die Zeiten aus dem Ärmel schüttelte, obwohl er sich mit Überrundungsverkehr auseinandersetzen musste, war beeindruckend, findet 'Sky'-Experte Ralf Schumacher: "Da kann man sich ungefähr vorstellen, was der Mercedes kann, wenn Lewis will."
Bei manchen werden schon Erinnerungen an die Saison 1988 wach, als nur Ayrton Sennas Kollision mit dem Williams von Mansell-Ersatzfahrer Jean-Louis Schlesser in Monza verhindert hat, dass McLaren alle Rennen gewinnt. Letztendlich schafften Senna und Alain Prost 15 Siege in 16 Rennen. In Monza triumphierte, kurz nach Enzo Ferraris Tod, ausgerechnet "Lokalmatador" Gerhard Berger.
Ayrton Senna und Alain Prost haben 1988 15 von 16 Saisonrennen gewonnen
Foto: LAT
Erinnerungen an 1988 werden wach
Dass die WM 2020 genau wie 1988 ein Solo für Zwei wird, bezweifelt kaum noch jemand. Der einzige potenzielle Herausforderer, Verstappen, ist zu schlecht in die Saison gestartet. Frage in der Ferrari-Pressekonferenz: Seht ihr irgendein Szenario, in dem Hamilton dieses Jahr nicht Weltmeister wird? Vettel antwortet kurz und knapp: "Nur wenn Valtteri gewinnt."
Doch Toto Wolff steigt wie immer auf die Bremse: "Der Vorsprung ist nichts. Mit Lewis haben wir nach drei Rennen 30 Punkte auf Max. Ein Ausfall und das ist weg", rechnet der Mercedes-Teamchef vor - räumt aber ein: "Das Auto und der Motor sind eine Waffe, genau was wir gebraucht haben. Die Fahrer mögen den W11. Er ist fahrbar, hat viel Power und jede Menge Anpressdruck."
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Mercedes besonders im Motorenbereich so stark zugelegt und die Führung in der PS-Rangliste wieder manifestiert hat. Ironie deswegen, weil man 2018 und 2019 glaubte, gegen Ferrari ins Hintertreffen geraten zu sein. Die Ingenieure in Brixworth haben sich daraufhin mehr angestrengt als je zuvor.
Jetzt, wo Ferrari wegen des geheimen Deals mit der FIA angeblich bis zu 50 Prozent an Leistung verloren hat, ist Mercedes wieder einsamer Spitzenreiter. "Wir haben in der Vergangenheit mit schwierigeren Autos Weltmeisterschaften gewonnen", weiß Wolff. "Dieses Auto scheint sehr ausgeglichen zu sein. Aber wenn wir die WM gewinnen wollen, muss das auch so bleiben."
"Dieses Jahr", schwärmt Hamilton, "haben wir echt den Nagel auf den Kopf getroffen. All die Schwächen, über die wir in den vergangenen Jahren immer gesprochen haben, haben wir mit diesem Auto aussortiert. Die Balance ist einfach fantastisch." Die Onboard-Kameras zeigen: Während der Red Bull und der Ferrari ziemlich bockig daherkommen, liegt der Mercedes wie auf Schienen.
Teamchef Toto Wolff warnt davor, sich jetzt schon zu sicher zu fühlen
Foto: Motorsport Images
Hamilton: "Muss nur das Tempo kontrollieren"
"Ich muss eigentlich nur noch das Tempo kontrollieren", strahlt Hamilton. "Und wir arbeiten dauernd daran, besser mit den Reifen hauszuhalten. Damit setze ich mich permanent auseinander, denn nur so ist es möglich, am Ende die schnellste Runde zu fahren und den Punkt auch noch zu holen. Dieses Team schafft es einfach immer wieder, mich zu überraschen."
Und das liegt letztendlich an den Menschen, erklärt Wolff. Obwohl in den vergangenen Jahren immer wieder Personal zur Konkurrenz abgewandert ist, hat die Struktur des Teams nie an Schlagkraft verloren: "Wir haben immer wieder gesehen, wie eine Generation von der nächsten abgelöst wird. Da wird Verantwortung übernommen, und das sieht man an der Performance."
"Ich rede da gar nicht nur von der technischen Seite", sagt Wolff. "Ich meine damit jeden einzelnen Bereich: Marketing, Kommunikation, Social Media, Sponsoring. Das Zusammenspiel aller einzelnen Bereiche macht dieses Team so erfolgreich. Aber wir dürfen jetzt nicht glauben, dass wir die Größten sind. Denn dann geht es ganz schnell und du beginnst zu verlieren."
Hamilton nickt: "Nach einem Sieg wie diesem lächeln sich alle ein paar Minuten lang gegenseitig an. Aber dann werden sie sofort todernst. Manchmal komme ich ins Meeting und frage die Jungs: 'Freut ihr euch überhaupt, dass wir gewonnen haben?' Und es heißt nur: 'Ja, ja, sicher.' Dann setzen wir die Headsets auf, machen uns an die Arbeit und reden übers Auto."
"Valtteri", lobt er auch seinen Teamkollegen, "ist mit seinem Input ganz fantastisch. Wir treiben das Team nach vorn, und alle überlegen sich, wie wir noch besser werden können. Ganz egal, wie groß unser Vorsprung ist: Wir pushen immer weiter und streben nach der nächsten Stufe. Das ist das, was mich an diesem Team am meisten beeindruckt."
Weitere Co-Autoren: Oleg Karpow. Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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