Hinter den Kulissen: Wie das Haas-Debüt für Ollie Bearman in Baku genau ablief
Oliver Bearman durfte sein erstes Formel-1-Rennen mit Haas absolvieren: Wir haben den Engländer beim Vorgeschmack auf die Saison 2025 in Aserbaidschan begleitet
Oliver Bearman zeigt in Baku eine gute Leistung
Foto: LAT Images
Es ist Donnerstag in Baku, als Oliver Bearman seine Mechaniker begrüßt. Der junge Brite, der in Saudi-Arabien für Carlos Sainz bei Ferrari eingesprungen war, darf in Aserbaidschan sein erstes Formel-1-Rennen für Haas bestreiten - und wir haben uns in die Box geschlichen!
Auch für das amerikanische Team, das sich in den vergangenen zwei Jahren an die Gelassenheit von Kevin Magnussen und Nico Hülkenberg gewöhnt hat, ist die Arbeit mit dem jungen, ehrgeizigen Energiebündel eine neue Situation. Nachdem Bearman am Donnerstag seinen medialen Verpflichtungen nachgekommen war, geht es am nächsten Tag endlich los.
Am Freitag, nachdem er dank des späteren Formel-1-Termins im Vergleich zum frühen Formel-2-Training, das er sonst für Prema absolviert hätte, relativ lange ausschlafen konnte, ist Bearman bereit, den VF-24 von Magnussen zu pilotieren.
Ruhiger Bearman mit wenig Funkverkehr
Wir beobachten, wie sich Bearman für das erste Training fertig macht, den Helm aufsetzt und sich von seinem persönlichen Betreuerteam - in Gestalt von Enzo Mucci und Jamie Smith - letzte Anweisungen geben lässt. Dann steigt er ins Cockpit. Der erfahrene F1-Renningenieur Mark Slade weist ihn in die Schalter- und Systemeinstellungen am Lenkrad ein, bevor es für den ersten von drei Runs - zwei Medium-Stints und ein Soft-Run - auf die Strecke geht.
In dieser Session wird er Elfter, noch vor Hülkenberg, der allerdings durch ein DRS-Problem gebremst wird. Wir hören, wie Magnussens Ingenieure den Piloten anschließend ein wenig coachen, während Hülkenberg die Daten nach seiner Rückkehr in die Garage selbst auswertet.
Oliver Bearman redet am Funk (noch) nicht sehr viel
Foto: Motorsport Images
Der Deutsche warnt sein Team vor einem möglichen Schaden am Unterboden, während Slade bei Bearman eine Anomalie in den Daten eines Sensors entdeckt, die die Mechaniker dazu veranlasst, den rechten Heckdiffusor zu überprüfen.
Das Wichtigste, was man von Bearmans Funkverkehr während der ersten Session mitnehmen kann, ist die Tatsache, wie ruhig er im Großen und Ganzen am Funk war. Nur eine Beschwerde über "ziemlich viel Graining" während eines längeren Runs verrät einen Hauch von Ärger. "Das ist typisch für Rookies - sie nehmen einfach so viel auf", erklärt Ed Brand, der als Performance Engineer für beide Fahrer und die Teamstrategie verantwortlich ist.
Bearman im dritten Training zu übermütig
Wir ziehen uns für das zweite Training in das mit Kronleuchtern geschmückte Medienzentrum des Hotels in Baku zurück, aber Haas-Insider berichten später, dass Bearman auch im zweiten Training am Freitag wie "ein stiller Schwamm" unterwegs war. Dort wird er Zehnter - diesmal zwei Plätze, aber nur 0,072 Sekunden hinter Hülkenberg.
Am Samstag erwacht das Fahrerlager zu einem überraschend trüben Himmel - und wir schauen uns das dritte Training von der Strecke aus an. Bearmans Herangehensweise an die knifflige Rechtskurve in Kurve 4, seinem größten Schwachpunkt an diesem Wochenende, können wir allerdings kaum beurteilen.
Nachdem er "in Kurve 1 so spät gebremst hatte, selbst im Vergleich zu viel konkurrenzfähigeren Autos wie [Charles] Leclerc", wie Haas-Teamchef Ayao Komatsu verrät, war Bearman schon in seiner ersten Runde viel zu schnell. Obwohl ihn das Team gewarnt hatte, dass der Zustand der Strecke "wirklich schlecht" sei, landete der junge Brite in den Reifenstapeln.
Oliver Bearman saß in Baku im Haas von Kevin Magnussen
Foto: Motorsport Images
Das vorzeitige Aus für Bearman, sehr zum Leidwesen von Motorsport Images und dem engagierten Fotografen des Haas-Teams, Simon Galloway. Und die Haas-Mechaniker standen vor dem Qualifying vor einem schnellen Neuaufbau. Aber nachdem er sich bei der gesamten Crew bedankt hatte, die sein Auto für diese Session wieder in Schuss gebracht hatte, belohnte er sie auch mit einem guten Startplatz.
Hülkenberg & Bearman als gute Teamkollegen
Er schlägt Hülkenberg - auf einer Strecke, die der Deutsche nicht mag - und kommt bis auf 0,128 Sekunden an den Einzug ins Q3 heran. "Er war drei Zehntel zu langsam - ein klarer Fehler [in Kurve 11 zu weit gegangen und in Kurve 12 auch noch gerutscht]", sagt Teamchef Komatsu.
Bearmans Ärger wird deutlich, als das TV-Bild bei seiner Rückkehr in die Box zeigt, wie er frustriert auf sein Lenkrad schlägt. Aber Haas war beeindruckt, wie er nach den gelben Flaggen in Q1 wieder auf die richtige Spur kam und wie "die Zeit, die er auf dem gebrauchten Soft [im ersten Durchgang von Q2] fuhr, der Zeit entsprach, die Nico auf dem neuen Soft fahren konnte", so Komatsu.
Nach dem Training klatschten sich Bearman und Hülkenberg in der Mixed Zone ab. Obwohl sie nur vorübergehend Teamkollegen sind und der Deutsche für 2025 zu Sauber/Audi wechselt, soll sich zumindest ein kleines Band zwischen den beiden gebildet haben.
Nico Hülkenberg und Oliver Bearman verstehen sich gut
Foto: Motorsport Images
Bearman scherzt mit Hülkenberg, dass sein spätes Aufstehen für Formel-1-Piloten normal sei. Motorsport.com weiß auch zu berichten, dass die beiden am Samstag bei einem Besuch in der Fanzone von Baku viele Witze austauschten.
Bearman mit guter Hamilton-Verteidigung
Das Rennen am Sonntag war für Bearman eine wilde Angelegenheit: Der Haas-Pilot startete als Zehnter, nachdem Lewis Hamilton aus der Boxengasse ins Rennen gegangen war. In der zehnten Runde musste der Brite seinen Teamkollegen passieren lassen, weil seine Pace auf den Medium-Reifen zu langsam war.
Das Problem hatte zwei Gründe. Später sagt er: "Ich habe im ersten Stint einfach viel Zeit verloren, weil ich nicht sehr schnell gefahren bin - ich habe die Reifen zu sehr geschont, und das war eigentlich gar nicht nötig." Frustriert ist Komatsu auch darüber, dass das Team nicht "gut genug kommuniziert hat, um zu sagen, dass die Pace nicht gut genug ist und wir etwas anderes machen müssen". "Aber das liegt an uns", fügt er hinzu.
Im zweiten Stint kämpft sich Bearman zurück in Reichweite der Top 10, wo Hülkenberg mit dem Williams-Duo kämpft, während Bearman den heranstürmenden Hamilton 23 Runden lang eindrucksvoll in Schach hält. Der Abstand zwischen den beiden war "wie ein Jo-Jo", so Bearman, als sie sich allmählich an Hülkenbergs Position zwischen Alex Albon und Franco Colapinto heranpirschten.
Dann, zehn Runden vor Schluss, "schlug Hamilton zu", meint Bearman. Mit Hilfe des DRS kämpfte sich der Mercedes-Pilot innen vorbei. Vielleicht hätte Bearman dafür sorgen können, dass auch er auf diese Seite wechselt, aber es ist ihm hoch anzurechnen, dass er den Druck auf den Mercedes richtig einschätzte und versuchte, sich außen herum zu halten.
Im Vertrauen darauf, dass der siebenfache Weltmeister "mich nicht in die Mauer drücken würde", gab er alles, was er konnte, bis das Unvermeidliche geschah und Hamilton tatsächlich am Ausgang von Kurve 1 vorbeizog. Bearmans Rennen schien mit einem soliden 13. Platz zu enden, doch dann kamen mehrere Dinge zusammen, die den Haas-Piloten wieder nach vorne brachten.
Bearman-Ergebnis ist "definitiv cool"
Zunächst verlor Hülkenberg seine drei Sekunden Vorsprung auf Williams-Rookie Franco Colapinto, als er drei Runden vor Schluss in Kurve 15 die Mauer touchierte. Die Angst vor einem Reifenschaden kostete den Deutschen so viel Zeit, dass er eine Runde später in Kurve 3 von Colapinto überholt wurde.
Nach der unglücklichen Kollision zwischen Sergio Perez und Carlos Sainz fuhr Hülkenberg zudem mit der rechten Front über ein Trümmerteil, was ihm zusätzliche Sorgen bereitete. Weil er laut Komatsu "völlig durcheinander" war, reagierte er nicht schnell genug auf die grüne Flagge, die Sekunden später vor Kurve 3 angezeigt wurde. Dort zog Hamilton vorbei und Bearman war so klug, ihm direkt zu folgen.
Es war ein entscheidender Schachzug, der ihm den zehnten Platz und damit wieder WM-Punkte für die Saison 2024 sicherte, nachdem er in Jeddah für Sainz im Ferrari eingesprungen war. "Definitiv cool", kommentiert Bearman seine Leistung.
Ein wichtiger Baustein im Haas-Team
Wir kehren ins Fahrerlager zurück, das sich schnell lichtet, und besuchen Haas ein letztes Mal am Sonntagabend, als die Sonne über dem Kaspischen Meer untergeht. Hier treffen wir Komatsu, der sagt, er habe das Gefühl, dass Bearmans Wochenende insgesamt "ziemlich beeindruckend" gewesen sei.
Oliver Bearman ist auch bei den Mechanikern sehr beliebt
Foto: Motorsport Images
"Nicht perfekt, aber ziemlich beeindruckend", fasst der Japaner zusammen. Aus Gesprächen mit anderen Haas-Teammitgliedern während des Wochenendes geht hervor, dass Bearman abseits der Rennstrecke einen noch größeren Eindruck hinterlassen hat.
Seine schnelle Auffassungsgabe und seine ruhige, selbstironische Art sind genau das Richtige für ein Team, das nicht die Berühmtheit genießt wie Ferrari, wo Bearman noch Junior ist. Wahrscheinlich wird die Scuderia dem Briten im nächsten Jahr das Gehalt zahlen, während Haas auch von seiner Medienkompetenz profitiert, die er sich an der Ferrari-Akademie angeeignet hat.
Doch es ist vor allem seine Art, die bei Haas so gut anzukommen scheint - auch und vor allem bei seinen Mechanikern. "Er ist schon einer von uns", so der allgemeine Tenor, der allerdings vorerst gebremst wird - denn Bearman wird wohl erst 2025 wieder ins Haas-Cockpit zurückkehren.
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