Ist Singapur noch das härteste Rennen im Formel-1-Kalender?
Vor dem Grand Prix von Singapur 2024 diskutieren Formel-1-Fahrer die physische Herausforderung und erklären, warum Katar mittlerweile ein härterer Test ist
Singapur galt lange als der härteste Grand Prix im Formel-1-Rennkalender
Foto: LAT Images
Bisher galt der Grand Prix von Singapur als das härteste Rennen im Kalender. Aber es gibt ein Argument dafür, dass eines der neueren Nachtrennen der Meisterschaft Singapurs Titel als schwierigste körperliche Herausforderung im Formel-1-Rennsport übernommen hat: der Grand Prix von Katar.
Es sind die Fahrer selbst, die dieses Argument vorbringen. "Katar hat es in gewisser Weise überholt, was die körperlichen Anforderungen angeht - zumindest meiner Meinung nach", sagt etwa Williams-Pilot Alex Albon, angesprochen auf die besondere Herausforderung, die Singapur für die Fahrer darstellt.
Albon hat eine ziemlich einzigartige Perspektive auf körperliche Belastungen in der Formel 1, da er in Singapur 2022 nur drei Wochen nach einer Blinddarmoperation antrat.
"Wenn ich es noch einmal machen müsste, bin ich mir nicht sicher, ob ich es tun würde!", sagt er rückblickend. "Aber es war eine gute Herausforderung für mich. Ich habe bewiesen, dass ich es noch kann. Ich bin in diesem Rennen zwar auch gecrasht, aber ja, es war eine gute Herausforderung. Hart."
Albon weist auch darauf hin, dass das Rennen in Singapur dieses Jahr zum ersten Mal seit seiner Aufnahme in den Kalender 2008 im Rahmen eines Doubleheaders unmittelbar auf ein anderes Rennen folgt, nämlich Aserbaidschan.
"Wir bewegen uns in Bezug auf die Entfernungen ziemlich weit, von Baku nach Singapur", sagt Albon. "Das wird ziemlich herausfordernd sein, sowohl für den Körper als auch für die Erholung und den Geist, und alles in dieser Richtung."
Dennoch stimmt George Russell stimmt zu, dass Katar nun möglicherweise härter für das Formel-1-Feld sei als Singapur. "Ja, ich würde sagen, Katar ist wahrscheinlich die physisch anspruchsvollste Strecke des Jahres", antwortet der Mercedes-Fahrer.
In jedem Fall handelt es sich bei Katar und Singapur um zwei der sechs Nachtrennen, die mittlerweile ein Viertel des Kalenders ausmachen. Doch es gibt einen Unterschied.
Katar liegt, was die Zeitzonen betrifft, nur zwei Stunden vor Großbritannien, wo die Mehrheit der Formel-1-Teams ansässig ist - im Vergleich zu sieben Stunden gegenüber Singapur. Das macht es viel schwieriger, den Schlafrhythmus anzupassen, anstatt in der vorherigen Zeitzone zu bleiben wie an diesem Wochenende.
Die Anpassung des Schlafs ist für die Fahrer immer besonders wichtig. Wie Martin Poole, der Trainer von Nico Hülkenberg, erklärt, entscheidet der Schlaf eines Rennfahrers darüber, "wie gut er seine Energie aufladen kann, nachdem er bei den heißesten Rennen auf der Strecke so viele zusätzliche Kalorien verbrennt".
Wie sich die Fahrer gegen die Hitze wappnen
Um die Temperaturen der beiden Rennen zu vergleichen, gibt es allerdings nur begrenzte Daten, da Katar bisher nur zweimal im Kalender vertreten war - und das auch zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr (dazu später mehr).
Aber das Rennen im vergangenen Jahr in Katar (32,4 °C durchschnittliche Umgebungstemperatur) machte Schlagzeilen, weil die Fahrer genau die "Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Muskelkrämpfe und offensichtlich erhöhte Körpertemperatur" bekamen, die Poole versucht, mit Hülkenberg zu vermeiden.
Sie tun dies mit einem Hitze-Akklimatisierungsplan, der Sommertraining in der Mittagshitze umfasst, was sie normalerweise vermeiden würden. Außerdem stehen zusätzliche kognitive Tests auf dem Programm, um die geistige Erschöpfung unter dem zusätzlichen Stress durch die Hitze zu simulieren.
Albon gehört zu den jenen Fahrern im Feld, die regelmäßige Hitzekammer-Sitzungen zu ihren Hitze-Akklimatisierungsroutinen hinzufügen, um sich vorzubereiten.
Zum Vergleich: Das Rennen in Singapur fand 2023 bei einer durchschnittlichen Umgebungstemperatur von 31,1 °C statt. Allerdings hat es auch einen viel höheren Luftfeuchtigkeitsfaktor, den die Fahrer berücksichtigen müssen. Die Luftfeuchtigkeit in Singapur ist etwa 20 Prozent höher als in Katar.
"Das Problem mit der Kombination aus Luftfeuchtigkeit und Hitze ist, dass Ihr Körper schwitzt, aber es ist viel schwieriger, dass dieser Schweiß verdunstet, sodass das natürliche Kühlsystem Ihres Körpers beeinträchtigt wird", erklärt Faith Atack-Martin, die Physiotherapeutin des Formel-1-Teams von Haas.
"Man wird also stärker schwitzen, was dann zu einem Ungleichgewicht im Salzgehalt im Blutkreislauf führt. Das Gleichgewicht zwischen bestimmten Salzen ermöglicht es, sich zu bewegen und eine gute Konzentrationsfähigkeit zu haben."
Um dies zu bekämpfen, konsumieren die Fahrer bei solch heißen Events mehr gekühlte Getränke - normalerweise mit einer höheren Konzentration an Glukose und Elektrolyten.
Kühlwesten und reichlich Getränke sind in Singapur für die Fahrer ein Muss
Foto: Motorsport Images
Sie müssen auch mehr essen, um die Auswirkungen des durch die Hitze verursachten Appetitsverlusts zu bekämpfen, tragen vor den Trainingssessions oft Eiswesten und nehmen ein Bad in den mittlerweile berühmten Eiswannen.
Welche Rolle Renndauer und Layout spielen
Auch in der Renndauer gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Singapur und Katar, den man nicht vergessen darf. Von den 14 Rennen in Singapur, die seit 2008 ausgetragen wurden (2020/21 fiel das Event wegen Covid aus) gingen alle bis auf eines innerhalb von zehn Minuten an die Zwei-Stunden-Rennzeitgrenze.
Fünf Singapur-Rennen überschritten sogar diese Schwelle, während die beiden bisherigen Katar-Rennen in weniger als 90 Minuten beendet waren. Aber die kritischsten Unterschiede zwischen Katar und Singapur in Bezug auf die Belastungsgrenzen der Fahrer ergeben sich aus den Streckenlayouts.
Katar hat mit 1,068 Kilometern die längere Gerade der beiden Strecken, aber Singapur hat fünf lange Beschleunigungszonen, die den Fahrern etwas Erholung ermöglichen.
Dem steht gegenüber, dass jeder Stadtkurs eine erhebliche Konzentrationsbelastung darstellt, da die Fahrer die Mauern meiden müssen - obwohl das strikte Vermeiden von Tracklimits in Katar als ein gewisser Vergleich betrachtet werden könnte.
In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass das Rennen in Katar 2023 unfreiwillige Berühmtheit erlangte, weil Pflichtboxenstopps eingeführt wurden, da die Reifen den wiederholten Belastungen durch neue, große Randsteine bei hoher Geschwindigkeit nicht standhalten konnten.
Vor diesem Hintergrund spielt auch das Reifenmanagement eine wichtige Rolle bei der körperlichen Herausforderung. Denn die Reifen über einen langen Stint nicht zu stark beanspruchen zu müssen, ist nicht nur entscheidend, um zu gewinnen.
Es ermöglicht den Fahrern, länger konkurrenzfähig zu sein, als wenn sie gezwungen sind, die Reifen über die gesamte Distanz bis ans Limit zu treiben - wie in Katar 2023.
Singapur stellt jedes Jahr eine solche Herausforderung im Reifenmanagement dar, wobei die Fahrer viel langsamer als das Maximum fahren, bei einer deutlich geringeren Überholgefahr aufgrund der engeren Begrenzungen eines Stadtkurses.
"Auf sehr langen Strecken, wo nicht so viele Gravitationskräfte wirken, da es weniger Runden in einer Renndistanz gibt, ist die Konzentration viel wichtiger als die körperlichen Fähigkeiten und die Kraft", sagt Pierluigi Della Bona, der Trainer von Carlos Sainz. Der Ferrari-Pilot gewann das letzte Singapur-Rennen.
"Auf kürzeren Strecken, wo der Fahrer mehr Runden und damit mehr Kurven bewältigen muss, sind die Gravitationskräfte auf den Rumpf und den Bauch höher. Abgesehen von der Konzentration spielt dann auch die Muskelkraft eine Rolle."
Das ist der entscheidende Unterschied, den die Fahrer zwischen Katar und Singapur wahrnehmen. Die Strecke in Losail hat 16 Kurven im Vergleich zu 19 in Singapur.
Höhere Höchstgeschwindigkeit, höhere G-Kräfte
Aber die Runde in Katar ist fast einen halben Kilometer länger und wird mit einer viel höheren Durchschnittsgeschwindigkeit gefahren. Im Qualifying in Katar sind es 330 im Vergleich zu 287 km/h in Singapur, im Rennen 237 gegenüber 146 km/h.
"Und es sind die Hochgeschwindigkeitskurven, die am anspruchsvollsten sind", sagt Russell. "In einer Hochgeschwindigkeitskurve wirken 5G-Kräfte seitlich auf den Körper."
"In Katar gibt es die erste Kurve, die wirklich lang ist. Dann hast du die dreifache Rechtskurve am Ende, die Links danach, und in der vorletzten Kurve, denke ich, wirken vier bis fünf g. Dein Körper ist also völlig unter dieser Belastung."
In dem Zusammenhang erinnert sich Russell an sein erstes Formel-1-Rennen in Melbourne 2019: "Mein Körper war nicht an die G-Kräfte gewöhnt, und ich hatte so starke Schmerzen im Bauch. Weil dein Magen und deine inneren Organe ständig herumgeschleudert werden", erklärt der Brite, der damals Williams fuhr.
"In Katar, bei dieser schnellen Geschwindigkeit, dem hohen Abtrieb, ohne Reifenabbau, bei extremer Hitze - das ist schon ziemlich hart", zieht Russell den Vergleich.
So forderte das Rennen im vergangenen seinen Tribut: Logan Sargeant musste sich aufgrund eines Hitzeschlags vorzeitig zurückziehen, während sich Esteban Ocon in seinen Helm erbrach und Lance Stroll sogar kurzzeitig das Bewusstsein verlor.
Als Folge dessen aktualisierte die FIA die Regeln für 2024, um einen zweiten Kühl-Lufteinlass auf der Oberseite der Fahrzeugnasen zu ermöglichen und damit den Luftstrom in Richtung Fahrer zu verbessern. Allerings müssen die Teams müssen diesen nicht verwenden, sodass einige ihn nicht auf ihren Fahrzeugen für 2024 haben.
Die FIA versprach zudem, weitere Maßnahmen zu ergreifen. So wird an der Einführung eines vereinfachten Klimaanlagensystems gearbeitet, um die Fahrer bei Rennen zu kühlen.
Was die Situation in Katar 2024 entschärfen dürfte, ist die Tatsache, dass das Rennen um zwei Monate in den milden Winter des Landes verschoben wurde. Das sollte im Vergleich zum Termin 2023 zu niedrigen Temperaturen beitragen. Wahrscheinlich wird die Umgebungstemperatur auf etwa 27 °C zurückgehen.
Dass Formel-1-Ausrüster Pirelli weichere Reifen mitbringt, würde den Bedarf verringern, das ganze Rennen hindurch am Limit zu fahren. Aber das ist noch nicht bestätigt.
Bei all den Vergleichen und Unterschieden, so schließt Albon, sind Katar und Singapur "die Rennen, für die wir im Januar, Februar trainieren. Wir trainieren eigentlich für diese zwei oder drei Rennen im Kalender, die uns wirklich alles abverlangen."
Diese Story teilen oder speichern
Registrieren und Motorsport.com mit Adblocker genießen!
Von Formel 1 bis MotoGP berichten wir direkt aus dem Fahrerlager, denn wir lieben unseren Sport genau wie Du. Damit wir dir unseren Fachjournalismus weiterhin bieten können, verwendet unsere Website Cookies. Dadurch wird Dein Nutzererlebnis optimiert und die Werbung auf Deine Interessen zugeschnitten. Wir wollen dir aber natürlich trotzdem die Möglichkeit geben, eine werbefreie Website zu genießen.