Kommentar: Ferrari - vom krassen Außenseiter zum heißen WM-Anwärter?
Vieles dreht sich in der Formel-1-Saison 2024 um Red Bull und McLaren, aber Ferrari könnte als Außenseiter noch in den WM-Titelkampf eingreifen
Ferrari SF-24 im Schatten einer Formel-1-Rennstrecke 2024
Foto: LAT Images
Red Bull und McLaren bestimmen derzeit die Schlagzeilen in der Formel 1. Nun aber erweist sich Ferrari als Außenseiter im WM-Titelkampf - und steht vor zwei Rennstrecken, die dem SF-24 potenziell gut liegen dürften. Das könnte die WM-Ambitionen der Scuderia untermauern. Aber wirklich wissen wir das erst, sobald die Formel 1 in Amerika antritt.
Durch das aufregende Duell zwischen Red Bull und McLaren ist Ferrari beinahe "unter dem Radar" geflogen, ist aber durchaus dabei im Geschehen. Denn die Aufmerksamkeit konzentriert sich zwar auf den nur acht Punkte messenden Abstand zwischen den beiden Topteams, doch nur wenige Beobachter außerhalb von Maranello haben bemerkt, dass sich Ferrari eben auch in Schlagdistanz befindet, lediglich weitere 31 Punkte zurück.
Das springende Pferd hatte vor der Sommerpause einige Probleme gehabt. Denn der in Spanien eingeführte Unterboden ließ Ferrari praktisch aus dem Titelkampf ausscheiden. Fortan richteten sich die Blicke darauf, was Lando Norris und Oscar Piastri gegen Max Verstappen ausrichten konnten.
Bei Ferrari wiederum trat in schnellen Passagen verstärktes Bouncing auf. So kamen Charles Leclerc und Carlos Sainz über die vier Rennen in Spanien, Österreich, Großbritannien und Ungarn hinweg nur auf einen einzigen Podestplatz. Und der dritte Platz von Sainz am Red-Bull-Ring wurde nur möglich, nachdem Verstappen und Norris im Kampf um den Sieg miteinander kollidiert waren.
Beim Kanada-Grand-Prix erlebte Ferrari eines seiner schlechtesten Wochenenden seit Jahren: Im Qualifying waren die Reifen zu kalt, im Rennen fielen beide Autos aus. Danach schien Ferrari komplett vom Radar zu verschwinden.
Das Team arbeitete jedoch fortwährend an Lösungen für seine Unterboden-Probleme und brachte mehrere Ausbaustufen an den Start, die jüngste davon am vergangenen Wochenende in Monza. Und das große Ass im Ärmel von Ferrari über die Durststrecke hinweg waren die Punkte, die es dank starker Form schon zu Beginn der Rennsaison eingefahren hatte.
Natürlich: McLaren hat ordentlich nachgelegt und im gleichen Zeitraum ein Defizit von 92 Punkten fast wettgemacht. Aber jetzt kommt es einzig und allein darauf an, was in den restlichen acht Grands Prix passiert. Und klar ist: Ausgehend von der Ferrari-Leistung in Monza, die McLaren bis ins Mark erschüttert hat, scheint Ferrari sein Auto jetzt besser im Griff zu haben. Das ist ein gutes Vorzeichen für die nun folgenden Strecken im Kalender.
Charles Leclerc im Ferrari SF-24 nach seinem Sieg in Monza 2024
Foto: Motorsport Images
Wie Sainz schon sagte: Ferrari hat in Monza die Trendwende eingeleitet. "Das war auch entscheidend für die Konstrukteurswertung, denn wir waren das Team mit den meisten Punkten. Das bedeutet, wir haben in diesem Jahr eine große Chance, nicht nur weitere Siege zu erzielen, sondern auch, um den Titel in der Konstrukteurswertung zu kämpfen. Ich schätze, es wird eng mit McLaren und Red Bull, wenn es uns gelingt, auch auf anderen Strecken schnell zu sein."
Eine Wahrheit der aktuellen Formel 1 ist: Die Topautos haben alle unterschiedliche Stärken und Schwächen. Deshalb gibt es vermutlich niemanden, der sich bis zum Jahresende entscheidend absetzen kann.
Und bei allem Kopfzerbrechen über die Balance-Probleme: Der Red Bull RB20 bleibt ein superstarkes Auto, was die aerodynamische Effizienz und die Leistung in schnellen Kurven anbelangt. Basierend darauf, was wir in Zandvoort gesehen haben, ist McLaren besser bei Austragungsorten, die hohen Abtrieb verlangen, wo es lange mittelschnelle Kurven gibt. Ferrari indes scheint bei kurzen, langsameren Kurven am besten zu sein, und es fehlt dem Team sicherlich nicht an Topspeed auf den Geraden.
Unterm Strich heißt das: Ferrari zählt bei den nächsten beiden Rennen in Baku und in Singapur zu den Favoriten.
Der September könnte also zu einem echten Ferrari-Monat werden. Doch bevor wir uns ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigen können, dass Ferrari zurück ist im WM-Kampf, müssen wir uns dem Aber widmen: Wir wissen nicht mit Sicherheit, dass Ferrari seine Bouncing-Probleme, die seine Ergebnisse seit dem Spanien-Grand-Prix ruiniert haben, wirklich komplett gelöst hat. Falls nicht, dann hat Ferrari nur geringe Hoffnungen gegen McLaren.
Monza und dessen Konfiguration für wenig Abtrieb sowie dessen Kurventypen bedeuteten: Ferrari hat nicht den gewünschten Beweis gekriegt, dass das Bouncing weg ist. In Baku und in Singapur (wo es mehrheitlich kurze, langsame Kurven gibt) wird es das ebenfalls nicht herausfinden. Die Antwort auf die Frage, sagt Sainz, kann also erst im Oktober gegeben werden, wenn die Formel 1 den USA-Grand-Prix fährt.
"Wir brauchen weitere Referenzwerte mit dem neuen Unterboden und wir müssen auf normale Strecken gehen", sagt er. "Ich schätze, die nächste normale Strecke ist Austin, denn die jetzt folgenden Kurse sind allesamt außergewöhnlich: Baku und Singapur. Austin ist dann wieder eine eher normale Rennstrecke. Und die wird uns sagen, wie gut wir dastehen mit diesem neuen Unterboden."
Ferrari hat am Sonntagabend intensiv gefeiert. Und die betretenen Mienen beim McLaren-Duo Norris und Piastri haben nach dem Rennen ebenfalls Bände darüber gesprochen, was sie glauben, an diesem Nachmittag verloren zu haben. Aber Ferrari-Teamchef Fred Vasseur sagt, Jubel ist jetzt nichts wert, weil es ab jetzt auf die Details ankommt.
"Es sind noch 450 Punkte oder so zu holen", sagte er Sonntagabend zu den Aussichten bis Saisonende. "Dieser Kampf ist so eng, ehrlich. Ich habe schon ein paar Jahre am Kommandostand verbracht, aber ich glaube, es ist das erste Mal, dass wir in der Formel 1 die Situation haben, dass acht Fahrer das Rennen gewinnen können - ohne, dass es einen Unfall oder einen großen Crash gibt."
"Vier Teams sind siegfähig oder können auf das Podest fahren. Und das ändert sich von Session zu Session. Am beeindruckendsten war für mich wahrscheinlich Spa, wo McLaren im ersten Training Schnellster war, Red Bull im zweiten Training, wir von der Poleposition losgefahren sind und Mercedes das Rennen gewonnen hat. Mein Gefühl sagt mir: So ist es fast überall, mit Ausnahme von Zandvoort, wo Lando dominiert hat."
"Man darf davon ausgehen: So geht es bis zum Saisonende. Es liegt ein großer Kampf vor uns. Und wahr ist auch: Bei dieser Wettbewerbsfähigkeit kann ein Team einen Doppelsieg erzielen und ein anderes auf P7 und P8 einlaufen. Und von Ausfällen will ich gar nicht sprechen. Das kann einen gewaltigen Unterschied bei den Punkten machen."
Und für mich klingt das ganz nach einer Kampfansage.Diese Story teilen oder speichern
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