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Kommt jetzt der Hamilton-Rücktritt? Das sagt Toto Wolff

Nach dem Formel-1-Saisonfinale sitzt der Schock bei Mercedes immer noch tief: Teamchef Toto Wolff spricht über die aktuelle Gefühlslage und Hamiltons Zukunft

"Es gibt einen Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen", sagte Toto Wolff in seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Formel-1-Saisonfinale in Abu Dhabi und erklärte damit, warum Mercedes sich nun doch gegen eine Berufung entschieden hat und das Rennergebnis nicht weiter anfechtet.

Dass man damit einverstanden ist, bedeutet der Rückzug freilich nicht. Nach dem WM-entscheidenden Rennen, in dem sich Max Verstappen infolge eines kontroversen Endes der Safety-Car-Phase gegen Lewis Hamilton durchsetzen und den Titel gewinnen konnte, habe man teamintern lange mit sich gerungen, verrät Wolff.

"Jeder Schritt auf dem Weg dorthin war eine gemeinsame Entscheidung. Wir haben gemeinsam mit Lewis beschlossen, zu protestieren, in Berufung zu gehen und die Berufung zurückzuziehen", sagt er. Es sei für alle "schrecklich" gewesen, "mit einer Entscheidung konfrontiert zu werden, die über den Ausgang der WM entscheidet".

Wolff: "Uns wurde großes Unrecht angetan"

"Aber niemand von uns, weder er noch wir, wollte eine Weltmeisterschaft im Gerichtssaal gewinnen", betont der Mercedes-Teamchef. Deshalb habe man auf eine Berufung verzichtet. Zwei Proteste waren kurz nach dem Rennen abgewiesen worden.

Trotzdem hält Wolff fest: "Uns wurde am Sonntag großes Unrecht angetan. Es handelte sich nicht nur um eine Fehlentscheidung, sondern um eine freie Auslegung der Regeln, die Lewis wie eine leichte Beute dastehen ließ." Damit spricht er die Art und Weise an, wie Rennleiter Michael Masi die letzten Runden abwickelte.

Erst durfte nur ein Teil der überrundeten Fahrzeuge das Safety-Car überholen, nämlich genau die zwischen dem führenden Hamilton und seinem Verfolger Verstappen. Dann wurde die Safety-Car-Phase genau eine Runde vor dem Rennende beendet, obwohl das laut Reglement erst eine Runde später hätte der Fall sein dürfen.

Wolff und Hamilton nach Finale "desillusioniert"

So kam es schließlich zur entscheidenden Attacke von Verstappen, der mit frischeren Reifen ohne große Mühe an Hamilton vorbeiziehen und Richtung WM-Titel fahren konnte.

Vor diesem Hintergrund sei es allen bei Mercedes, sowohl Hamilton als auch dem Team, "ungeheuer schwer" gefallen, die Berufung zurückzuziehen. "Weil uns Unrecht widerfahren ist und wir zutiefst davon überzeugt sind, dass in der Formel 1, einer der wichtigsten Sportarten der Welt, Gerechtigkeit herrschen sollte", sagt Wolff.

Umso mehr hofft der Mercedes-Teamchef, dass für die Zukunft die notwendigen Schritte gemacht werden. Für den Moment aber gesteht er: "Lewis und ich sind desillusioniert. Wir sind nicht desillusioniert vom Sport, wir lieben den Sport mit jeder Faser unseres Körpers und wir lieben ihn, weil die Stoppuhr niemals lügt."

Mercedes-Teamchef spricht von Willkür

"Aber wenn wir dieses Grundprinzip der sportlichen Fairness und der Authentizität des Sports brechen und die Stoppuhr plötzlich nicht mehr relevant ist, weil wir willkürlichen Entscheidungen ausgesetzt sind, dann ist klar, dass man die Liebe verlieren kann."

"Man beginnt, sich zu fragen, ob all die Arbeit, der Schweiß, die Tränen und das Blut, das man hineingesteckt hat, tatsächlich dazu dienen, die besten Leistungen auf die Strecke zu bringen, wenn sie dir willkürlich weggenommen werden können. Es wird lange dauern, bis wir verdaut haben, was am Sonntag passiert ist."

Dass sie jemals darüber hinwegkommen werden, bezweifelt Wolff: "Das ist nicht möglich, nicht als Fahrer." Zwar drückt er die Hoffnung aus, dass man die Situation zusammen mit der FIA und der Formel 1 nutzen könne, um den Sport in Zukunft zu verbessern.

Schlussphase in Abu Dhabi "wie ein Albtraum"

Er sagt aber auch: "Wir werden den Schmerz und das Leid, das am Sonntag verursacht wurde, nie überwinden. Ich kann auch heute noch nicht verstehen, was da passiert ist." Noch um 18:27 Uhr, "als die richtige Entscheidung getroffen wurde, dass sich keine Autos zurückrunden dürfen", schien die Welt in Ordnung.

"Dann, vier Minuten später, wie aus dem Nichts durften die fünf Autos zwischen Lewis und Max doch überholen. Und zehn Sekunden später wurde kurz vor Rennende die Entscheidung getroffen, das Safety-Car hineinzuholen. Es kam mir vor wie ein Albtraum. Deshalb war ich am Sonntag völlig fassungslos und bin es heute noch."

Hamilton selbst hat sich bisher nicht zu den Vorkommnissen geäußert. Seit seiner fairen Gratulation an Verstappen und Red Bull kurz nach der Zieldurchfahrt schweigt der Brite.

Tritt Hamilton jetzt möglicherweise zurück?

Viele fragen sich, ob er nach dieser Enttäuschung hinschmeißen und der Formel 1 womöglich den Rücken kehren könnte. Darauf angesprochen räumt sein Teamchef ein: "Auf menschlicher Ebene ist es extrem schwierig, weil es so enttäuschend ist."

"Wie ich bereits sagte, lieben wir diesen Sport. Und plötzlich fängt man an zu zweifeln. Man darf auch nie das große Ganze aus dem Blick verlieren. Das ist nur die Formel 1. Es ist nur ein Sport. Da draußen passieren viel schlimmere Dinge. Und wir sollten nicht in die Falle tappen und denken, dass dies die wichtigste Sache der Welt ist."

"Aber es ist unser kleiner Mikrokosmos", weiß Wolff. "Und es ist ein Mikrokosmos, zu dem wir gehören, in dem wir Werte und Überzeugungen geschaffen haben. Und viele von ihnen, viele dieser Werte und Überzeugungen wurden am Sonntag mit Füßen getreten."

"Deshalb hoffe ich sehr, dass Lewis weiter Rennen fährt, denn er ist der größte Fahrer aller Zeiten. Wenn man sich die letzten vier Rennen anschaut, dann hat er sie am Sonntag dominiert. Es gab nicht den geringsten Zweifel daran, wer der Sieger war. Deshalb hätte er es verdient, die Weltmeisterschaft zu gewinnen."

Wolff will Hamilton überzeugen, weiterzumachen

Der Mercedes-Teamchef kündigt an, die Ereignisse in den nächsten Wochen und Monaten aufarbeiten zu wollen - gemeinsam mit Hamilton. "Und ich denke, als Rennfahrer wird sein Herz sagen, ich muss weitermachen, denn er ist auf dem Höhepunkt seines Könnens." Mit Gewissheit könne er das aber nicht sagen.

"Wir müssen auch den Schmerz überwinden, der ihm am Sonntag zugefügt wurde, denn er ist ein Mann mit klaren Werten. Und es ist schwer zu verstehen, dass das passiert ist."

Er stehe täglich mit Hamilton im Dialog, verrät Wolff. "Ich respektiere aber auch, dass es im Moment nicht viel zu besprechen gibt. Jeder von uns geht auf seine eigene Weise mit den Gefühlen um, die uns in diesem Augenblick beschäftigen."

"Ich muss einfach alles tun, was ich kann, um ihm zu helfen, diese aktuellen Gefühle zu überwinden, damit er im nächsten Jahr gestärkt zurückkehren kann - mit der Liebe zum Sport und dem Vertrauen in die Entscheidungsfindung des Sports. Wir wünschen uns sehr, dass dies der Fall sein wird", betont der Teamchef.

Mit Bildmaterial von Motorsport Images.

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