Mercedes deutet an: Haben für 2022 auf das falsche Pferd gesetzt
Die Formel-1-Saison 2022 könnte für Mercedes die erste ohne Sieg seit über 10 Jahren werden: Warum das Team in den letzten Rennen Experimente durchführen will
Für Mercedes lief die Formel-1-Saison 2022 alles andere als nach Plan. Nach der Regeländerung hinzu Ground-Effect-Autos riss die einstige Dominanz der Silberpfeile, während sich Red Bull zur neuen treibenden Kraft der Formel 1 entwickelte. Es droht die erste Saison seit 2011 ohne Saisonsieg für Mercedes.
Für das kommende Rennen Austin will Mercedes mit einem Update noch einmal zurückschlagen, um vielleicht doch noch den ersten Saisonsieg zu erringen, doch der Fokus des Teams liegt zweifelsohne auf das Auto des nächsten Jahres.
"Es gibt noch mehr Teile, die an die Strecke kommen werden", sagt Mercedes-Technikdirektor Mike Elliott. "Die Dinge, die wir mitbringen werden, sind eine Mischung zur der Verbesserung der Leistung des diesjährigen Autos und der Sicherstellung, dass unser Verständnis korrekt ist und dass wir uns in die richtige Richtung bewegen."
Mercedes: Durchbruch kommt nicht von heute auf morgen
Mercedes schien jedoch insbesondere am Anfang der Saison Probleme mit der Korrelation zu haben. Während die Simulationen vorhersagten, dass das Auto ziemlich gut funktionieren sollte, traf dies in Wahrheit jedoch nicht ein, was zum größten Teil an den Problemen mit dem "Porpoising" lag.
"Es ist ein wirklich interessantes Gespräch darüber, wie Korrelation funktioniert", sagt Elliott angesprochen auf die geplanten Schritte von Mercedes über den Winter. "Es gibt diese Annahme, dass man etwas aus dem Windkanal nimmt und es auf der Strecke laufen lässt, und wenn es funktioniert, bedeutet das, dass man eine Korrelation hat. Wenn es nicht funktioniert, dann gibt es keine Korrelation."
"Ich glaube aber, dass beides, sowohl die Strömungsmechanik als auch der Windkanal, nicht perfekt mit der Strecke übereinstimmen, sodass die Kunst des Ingenieurs darin besteht, aus den CFD-Daten, den Windkanaldaten und den Streckendaten herauszufinden, was zu tun ist."
"Ich denke, wenn man die Richtung ändert, kann man das nicht in einem Schritt tun, man muss sich schrittweise von einem Ort zum anderen bewegen, und das ist es, was wir zu tun versuchen", erklärt der Mercedes-Technikdirektor.
Mercedes: Im Winter 2021 auf das falsche Pferd gesetzt?
Auf die Frage, ob Mercedes klar ist, welche Fehler man mit dem aktuellen W13 gemacht habe und wisse, wo man den Hebel im kommenden Jahr ansetzen muss, sagt Elliott: "Ich denke, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, wurden wir nicht selbstzufrieden, aber wir hatten eine gewisse Erwartungshaltung, wenn man zuvor acht Meisterschaften in Folge gewinnt."
"Wir müssen auf unsere Gegner schauen und sie respektieren. Sie haben einen besseren Job gemacht als wir. Man schaut natürlich immer auf sich selbst und auch in den Jahren, in denen wir ein dominantes Auto hatten, muss man sich fragen, wie man sich verbessern kann, denn wenn man das nicht tut, wird man irgendwann geschlagen."
Elliott gibt aber zu, dass man im vergangenen Winter eine Fehlentscheidung mit dem Auto traf, die Mercedes ins Hintertreffen gebracht hat: "Wir waren recht vorsichtig damit, zu erklären, was wir herausgefunden haben, aber wenn ich zurückblicke und mir eine Entscheidung anschaue, die wir im letzten Winter getroffen haben, dann haben wir einen Fehler gemacht."
"Wenn wir den Weg, den wir zuvor eingeschlagen hatten, fortgesetzt hätten, wären wir wahrscheinlich in einer viel besseren Position gewesen. Wenn man die Saison als eine Art Kalender betrachtet, dann haben wir einen Fehler vor Beginn des Jahres gemacht", erklärt er.
Mercedes: Probleme blieben durch "Bouncing" lange verborgen
Ob es sich dabei um das extrem schmale Seitenkastendesign handelt, lässt der Mercedes-Technikdirektor jedoch offen. Fakt ist aber auch, dass die Konkurrenz in dieser Saison eher den Red Bull oder den Ferrari kopiert hat als den W13, woraus man schließen könnte, dass die anderen Teams nicht vom schmalen Seitenkastendesign überzeugt sind.
"Ich glaube, die 'Bouncing'-Thematik, die wir zu Beginn des Jahres gesehen haben, hat keines der Teams in der Form vorhergesehen und ich glaube, alle hatten im Winter Probleme mit dem 'Bouncing'", fügt Elliott hinzu.
"Einige haben es schneller in den Griff bekommen als andere. Und ich glaube, die Probleme, die wir in das Auto eingebaut haben, konnten wir wegen des 'Bouncings' nicht sehen. Das hat einfach alles dominiert."
Wie die "Bouncing"-Probleme die Weiterentwicklung behinderten
"Und als wir das in Barcelona in den Griff bekommen hatten, bekamen wir ein Paket, das einen erheblichen Unterschied machte, und wir dachten: 'Wir sind jetzt dabei, wir gehen in die richtige Richtung', aber dann bekamen wir in den nächsten beiden Rennen einen richtigen Tritt in den Hintern."
"Man schält die nächste Schicht von der Zwiebel und schon hat man ein anderes Problem. Das war das Problem, das wir im Winter in das Auto eingebrannt hatten. Seitdem haben wir verschiedene Schritte unternommen, um uns in die richtige Richtung zu bewegen, aber um das wirklich rückgängig zu machen, werden wir den Winter brauchen", sagt Elliott.
"Nehmen wir ein normales Jahr, in dem man kein Auto mit massiven Problemen hat", fügt er hinzu. "Wenn man das Auto im Winter auf die Strecke bringt und herausfindet, wo man bei der Abstimmung steht, findet man manchmal die Leistung des Autos schon in der ersten Woche, manchmal braucht man ein paar Wochen, um es richtig einzustellen und herauszufinden, wo man sein muss."
"Man hat auch sehr wenig Zeit zum Testen, aber ich denke, dass man dann einige Zeit braucht, um das zu lernen. Wenn man sich die Herangehensweise des Werks anschaut, dann haben wir, wahrscheinlich nach der Zeit in Baku, festgestellt, dass es noch ein anderes Problem gibt, das ein aerodynamisches ist, und es braucht einfach Zeit, um es in den Griff zu bekommen."
Warum Mercedes im Saisonendspurt experimentieren will
Mit dem Update in den USA und noch vier verbleibenden Saisonrennen bietet sich für Mercedes eine gute Möglichkeit, das Verständnis weiter zu erhöhen und die nächste Schicht der Zwiebel zu schälen. Mit zuletzt zwei dürftigen Rennen in Singapur in Japan haben sich die Chancen auf den zweiten Platz von Ferrari in der Konstrukteurswertung ohnehin verschlechtert. 67 Punkte fehlen den Silberpfeilen auf das Team aus Maranello.
Zudem drängt sich von den nächsten vier Rennen auch keine Strecke auf, die Mercedes besonders liegen sollte. In Austin, Mexiko, Brasilien und Abu Dhabi gibt es jeweils lange Geraden, die Gift für den großen Luftwiderstand des W13 sind.
Einzig Mexiko, mit der dünneren Luft wegen der Höhenlage, könnte eine Gelegenheit für Mercedes sein, doch in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Red Bull mit dem Honda-Aggregat bei diesen Bedingungen immer einen leichten Vorteil hatte.
Lediglich die Reifentests von Pirelli für das kommende Jahr in den ersten Freien Trainings der USA und Mexiko könnten Mercedes somit etwas stören, Tests für die kommende Saison durchzuführen, wie auch Elliott betont.
"Man kann das auf zwei Arten betrachten", sagt er. "Auf der einen Seite behindert es die Experimente, die wir machen wollen, aber auf der anderen Seite ist es sehr wichtig, die Reifen für das nächste Jahr zu verstehen. Ich denke, die Vorteile der Reifen überwiegen die Nachteile."
Elliott rechnet nicht mit Leistungsexplosion zu Saisonende
Aber auch er rechnet nicht damit, dass Mercedes trotz Update in den letzten Rennen groß auftrumpfen wird: "Ich denke, wenn man sich die Strecken ansieht, auf denen wir in letzter Zeit wirklich zu kämpfen hatten, Monza und Spa, dann glaube ich nicht, dass wir noch einmal so eine Strecke haben."
"Ich denke, auf dem Papier hätte Singapur sehr gut für uns sein sollen. Wenn man sich die Pace anschaut, die wir zeitweise gezeigt haben, war sie gut, aber in einem nassen Rennen, in dem es nur eine Strategie gibt, ist es sehr schwierig, sein Können zu zeigen", sagt Elliott.
"Die kommenden Strecken sollten also alle ziemlich nah beieinanderliegen. Was die Wettbewerbsfähigkeit angeht, erwarte ich, dass sie irgendwo zwischen dem liegen, wo wir [in Japan] waren, aber hoffentlich noch ein bisschen besser."
Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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