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Monza mit viel Gefühl: So wird richtig gebremst

Vollgas geben kann jeder, gut bremsen ist viel schwieriger: Interessante Fakten zu den Bremsen im Grand Prix von Italien 2018 in Monza

Carlos Sainz Jr., Renault Sport F1 Team R.S. 18 locks up

Carlos Sainz Jr., Renault Sport F1 Team R.S. 18 locks up

Jerry Andre / Motorsport Images

Beim kommenden Grand Prix von Italien 2018 stehen die Piloten und Teams wieder vor einer ganz besonderen Herausforderung. Monza erfordert nicht nur eine effiziente Aerodynamik und viel Power für die Beschleunigung, sondern auch eine gute, verlässliche und konstante Bremse. Die Strecke ist für bekannt für hohe Geschwindigkeiten, lange Geraden und nur eine begrenzte Anzahl von Kurven. Dadurch wird jede Kurve und jeder Bremsvorgang umso wichtiger.

Bevor ein Formel 1-Auto in eine Kurve einlenkt, muss es verzögert werden. Der Bremsvorgang ist somit die erste Phase jeder Kurvenfahrt. Wenn ein Fahrer also den Bremsvorgang nicht richtig hinbekommt, vermasselt ihm dies normalerweise die gesamte Kurve, wodurch er wertvolle Zeit verliert. Aus der Sicht eines Ingenieurs stellt eine Kurve eine Art Widerspruch dar.

Sebastian Vettel, Ferrari walks the track

Sebastian Vettel, Ferrari walks the track

Foto: Jerry Andre / Sutton Images

Beim Anbremsen sollte das Auto so stabil wie möglich sein und die wenigsten Lenkkorrekturen durch den Fahrer benötigen. Sobald man aber den Einlenkpunkt einer Kurve erreicht hat, möchte man ein agiles Auto, das sehr schnell auf Lenkbewegungen reagiert. Im Idealfall verlangt Bremsstabilität nach einer ruhigen Vorderachse mit viel Abtrieb. Dadurch würde das Einlenken in der Kurve jedoch sehr schwierig. Deshalb müssen die Ingenieure Feintuning am Auto vornehmen und die richtige Balance herausfinden. Die beiden Hauptbereiche, die sie sich für diesen Kompromiss ansehen, sind die Aerodynamik - hauptsächlich der Frontflügel - und die Aufhängungsabstimmung.

Anker werfen vor den beiden engen Schikanen

Monza ist eine relativ schnelle Strecke, weshalb die Fahrer ihre Autos aus sehr hohen Geschwindigkeiten abbremsen müssen. Gleichzeitig treten sie mit dem niedrigsten Abtrieb des Jahres an, wodurch das Bremsen auf dem Autodromo Nazionale Monza noch kniffliger wird. Der Großteil der Strecke wird mit Vollgas gefahren und nur durch den Luftwiderstand des Autos und die Performance des Antriebs eingeschränkt. Dadurch sind die elf Kurven der Strecke besonders wichtig, da der Fahrer dort gegenüber seinen Konkurrenten einfach Zeit gutmachen oder verlieren kann.

Das gilt besonders für die beiden größten Bremszonen des Autodromo: die Variante del Rettifilo (Kurven 1 und 2) und die Variante della Roggia (Kurven 4 und 5). Lewis Hamilton fuhr auf seiner schnellsten Rennrunde im Vorjahr mehr als 330 km/h. Für die erste Kurve verzögerte er um 260 km/h auf unter 70 km/h. Auf der Geraden vor Kurve 4 fuhr er 310 km/h und bremste auf unter 110 km/h herunter. Beide Male muss der Fahrer Kräfte von rund 4G aushalten.

Zum Vergleich: ein High-Performance-Straßenfahrzeug kann mit Spezialreifen etwas mehr als 1G erreichen. Die starken Bremszonen fordern aber nicht nur die Fahrer, sondern auch die Bremsen: Auf den langen Geraden kühlen die Bremsscheiben auf rund 200 Grad Celsius ab. Wenn der Fahrer dann auf das Bremspedal tritt, steigen die Temperaturen binnen einer Sekunde auf über 1.000 Grad. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe für jeden Piloten, die Bremstemperaturen im Griff zu haben. Denn wenn die Bremsen zu heiß werden, lassen sie nach und sorgen vielleicht sogar für Zuverlässigkeitsprobleme.

Formel 1-Autos haben sehr viel Abtrieb - und der Abtrieb wird größer je schneller sie fahren. Je mehr Abtrieb ein Auto produziert, desto höher ist das Gripniveau. Dadurch besitzen die Autos bei hohen Geschwindigkeit mehr Bremskraft als bei niedrigen. Da sich das Gripniveau verändert, ist es eine Herausforderung, ein Formel-1-Auto abzubremsen.

Wer schnell fährt, kann härter in die Bremse steigen

So ist es zum Beispiel ziemlich schwierig, die Räder bei Geschwindigkeiten von mehr als 300 km/h zu blockieren, bei 60 km/h ist es jedoch relativ einfach. Deshalb müssen die Fahrer zu Beginn des Bremsvorgangs sehr hart auf die Bremse steigen, wenn sie den höchsten Abtrieb haben. Danach lassen sie immer mehr nach, je weiter sie an den Einlenkpunkt herankommen. So verhindern sie mögliche Verbremser. Das ist aber nicht der einzige Unterschied zwischen einem Formel-1-Auto und einem Straßenauto.

Grand-Prix-Boliden verwenden eine Migrationsbremse. Sie beinhaltet eine dynamische Veränderung der Bremsbalance als Funktion des Bremsdrucks. Das funktioniert so: Beim Bremsen findet eine Gewichtsverlagerung im Auto statt. Das ist genauso als ob man ein Fahrzeug abrupt stoppt - in einem Straßenauto wird man dann in den Sicherheitsgurt gepresst, in der Londoner U-Bahn landet man vielleicht auf dem Schoß des Nachbarn.

Lewis Hamilton, Mercedes-AMG F1 W09 locks up

Lewis Hamilton, Mercedes-AMG F1 W09 locks up

Foto: Sutton Images

Formel-1-Autos verwenden diese Art der Gewichtsverlagerung zu ihrem Vorteil und verschieben die Bremsbalance nach vorne, sobald der Fahrer auf das Bremspedal tritt. Wenn er dann langsam von der Bremse geht, um das Stehenbleiben der Räder zu verhindern, wird die Gewichtsverlagerung nach vorne reduziert. In diesem Moment wird die Bremsleistung nach hinten verschoben - wie sehr, das hängt von der Strecke und der jeweiligen Kurve ab.

Die Fahrer können die Bremsbalance von Kurve zu Kurve auch manuell über einen Schalter an ihrem Lenkrad verstellen. Kurz vor dem Einlenkpunkt können sie die Bremsbalance beinahe ganz nach hinten verstellen, damit das Auto etwas übersteuert und so besser einlenkt - ähnlich wie man in einem Straßenauto die Handbremse ziehen kann.

Vieles steuern die Formel-1-Autos von ganz allein

Hybrid-Motoren geben den Ingenieuren die Möglichkeit, kinetische Energie beim Bremsen zu sammeln und diese dann dazu verwenden, um das Auto beim Beschleunigen anzutreiben. Es wird aber nicht nur Energie gesammelt. Die Einführung von Hybrid-Motoren und dem Brake-By-Wire-System gab den Ingenieuren auch die Chance, Feintuning am Auto zu betreiben und weitere Bremsvorteile durch die Verbesserung der Bremsmigration zu erreichen.

Vor der Hybrid-Ära verwendeten die Teams mechanische Systeme, um die Bremsbalance in einer Kurve oder für einen Bremspunkt zu verstellen. Um die Bremsbalance zwischen zwei Kurven schnell verstellen zu können, verwendeten sie Hydrauliksysteme. Heute können beide Funktionen über einen Schalter am Lenkrad verändert werden. Genau genommen sind es sogar fünf Knöpfe und ein Drehschalter. Dadurch können die Fahrer diese Funktionen viel schneller erreichen.

Ferrari SF71H front brake and wheel hub detail

Ferrari SF71H front brake and wheel hub detail

Foto: Mark Sutton / Sutton Images

Ein weiterer Vorteil des Systems ist, dass die Ingenieure das Verhalten der Power Units beim Bremsen und Herunterschalten ausgleichen können. Jedes Mal, wenn der Fahrer die Kupplung zieht, verliert er die Motorbremse. Vor der Hybrid-Ära brachte dies bei jeder Betätigung der Kupplung plötzliche Veränderungen in der Bremsbalance und bei der Bremskraft mit sich. Heutzutage können die Autos dies mit etwas mehr Bremsdruck ausgleichen, sobald das Auto die Motorbremse verliert. Dadurch ist das Drehmoment an der Hinterradbremse kontinuierlicher, wodurch der Fahrer näher am perfekten Reifenschlupf agieren kann.

Allgemein gesagt erzeugen Formel-1-Fahrer sehr viel Bremsdruck. Wenn sie auf die Bremse steigen, dann stehen sie praktisch auf dem Bremspedal. Wenn sie bei 4G bremsen, belasten sie das Pedal mit dem Vierfachen ihres Körpergewichts. Gleichzeitig sind die Bremsen - wie auch fast alles andere in einem Formel-1-Auto - stark individualisiert und hängen von den Vorlieben des Fahrers ab.

Formel-1-Piloten müssen auf die Beinpresse

Das Bremspedal kann daran angepasst werden, wie stark ein Fahrer normalerweise auf die Bremse tritt, da es als Hebel für den Hauptbremszylinder funktioniert. Wenn ein Fahrer das Gefühl hat, dass er nicht genug Kraft in den Beinen hat, kann das Bremspedal entsprechend angepasst werden, sodass er einfacher mehr Druck ausüben kann. Das bedeutet aber auch, dass das Pedal mehr Spiel hat. Aus diesem Grund gehört es zum Fitnessprogramm der Fahrer, ihre Beine zu trainieren.

Der ideale Bremspunkt verändert sich im Laufe eines Rennens. Er ist abhängig von der Benzinmenge, der Reifenmischung, dem Reifenabbau und wie sehr die Fahrer auf die Reifen achten müssen. Deshalb müssen die Piloten auch beim Bremsen variieren und dabei an alle Parameter denken, die es beeinflussen. Im Qualifying bleiben die Bremspunkte mehr oder weniger gleich, da das Auto mit ähnlichen Spritmengen und frischen Reifen herausgeschickt wird.

Wenn man sich die Telemetriedaten aus dem Qualifying ansieht, erkennt man, dass die Fahrer wiederholt ungefähr am genau gleichen Punkt bremsen. Normalerweise bremsen sie innerhalb von wenigen Metern oder weniger. Fünf oder sechs Meter stellen einen großen Unterschied dar. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass ein Auto bei 330 km/h innerhalb einer Sekunde beinahe 92 Meter zurücklegt. Den richtigen Bremspunkt perfekt zu erwischen ist also eine Angelegenheit von Sekundenbruchteilen.

Bremspunkt finden: Ein vorsichtiges Herantasten ist gefragt

Die Fahrer legen den idealen Bremspunkt im Verlauf des Wochenendes fest. Sie fangen konservativ an, bremsen früh und geben sich so einen kleinen Spielraum für Fehler. Wenn die Strecke mehr Grip hat, bremsen sie immer später vor der Kurve und verändern ihren Bremspunkt um einige Meter bis zum Limit. Aber es gibt immer einen Bremspunkt, der extrem schwierig zu treffen ist: das Anbremsen der ersten Kurve nach dem Start des Rennens.

Fernando Alonso, McLaren MCL33 crashes and gets airborne at the start of the race

Fernando Alonso, McLaren MCL33 crashes and gets airborne at the start of the race

Foto: Mark Sutton / Sutton Images

Am Sonntag gibt es keine Freien Trainings und die Fahrer müssen das Gripniveau nach ihren wenigen Runden in die Startaufstellung bestmöglich schätzen. Das wird noch erschwert, weil die Bremsen kalt sind - dadurch ist es noch schwieriger, den Bremspunkt zu schätzen. Zudem gehen andere Fahrer vielleicht ein größeres Risiko vor der ersten Kurve ein, da das Feld noch eng zusammen liegt und sie so einfach eine Position gewinnen können.

Deshalb möchte niemand zu früh bremsen, denn die Gefahr, in jener Situation überholt zu werden, ist sehr groß. All diese Umstände machen es sehr schwierig, den richtigen Bremspunkt für die erste Kurve festzulegen. Die Fahrer erhalten jedoch etwas Hilfe von ihren Ingenieuren, die auf Basis früherer Erfahrungswerte Einstellungen für die Bremsbalance und die Bremsmigration vorschlagen.

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