Pirelli-Reifentest: 400.000 Dollar sind für Mercedes zu wenig
Die Budgetgrenze wird für Mercedes allmählich zum Problem, nun sagte das Weltmeisterteam seine Teilnahme an einem Reifentest von Pirelli ab
In der Formel-1-Saison 2021 gilt erstmals in der Geschichte der Rennserie eine Budgetobergrenze. 145 Millionen US-Dollar stehen jedem Team zur Verfügung, Fahrergehälter und Marketingaktivitäten fallen aber nicht darunter. Besonders für die großen Teams, die in den vergangenen Jahren deutlich mehr Geld ausgegeben haben, ist das eine Umstellung.
Eine gewisse Form von "Geldnot" offenbarte nun ausgerechnet Mercedes. Denn das Weltmeister-Team sagte seine Teilnahme an einem für kommende Woche geplanten Reifentest in Le Castellet wegen der Budgetgrenze ab. Selbst ein in Aussicht gestellter Bonus von 400.000 US-Dollar für das Kostenlimit konnte Mercedes nicht umstimmen. Stattdessen absolviert Ferrari den Test.
Verschärft hatte sich die Budgetsituation bei Mercedes infolge des schweren Unfalls von Valtteri Bottas in Imola. Damals war der Finne mit Williams-Pilot George Russell kollidiert. Der Mercedes-Bolide wurde völlig zerstört, das Team bezifferte den Schaden auf etwa eine Million Pfund, umgerechnet 1,15 Millionen Euro. Dieses Geld zählt gegen die Budgetgrenze und fehlt an anderer Stelle - etwa beim Reifentest.
200.000 Dollar Bonus für jeden Testtag
Während des zweitägigen Tests in der kommenden Woche werden die neuen 18-Zoll-Regenreifen von Pirelli für das kommende Jahr getestet. Im April hatte Mercedes bereits zwei Tage lang die Trockenreifen für 2022 ausprobiert, im August ist in Budapest ein weiterer Testtag für die 2022er-Slicks geplant. Diesen möchte Mercedes auch weiterhin absolvieren.
Nicht genug für Mercedes. Die Weltmeister hätten nun mitten in der Saison eigentlich eine Crew zu dem Test geschickt, die zur Entwicklung des Mule-Cars gehört. Deren Gehälter fallen normalerweise ebenfalls nicht unter die Budgetgrenze, da ihre tägliche Arbeit nichts mit dem aktuellen Rennprogramm zu tun hat.
Bis zu zehn Prozent ihrer Arbeitszeit dürfen sie für Aktivitäten des aktuellen Renngeschehens aufwenden. Geht die Zahl aber darüber hinaus, zählt ihr Gehalt doch gegen die Budgetgrenze.
Mercedes: Zusatzkosten für die Power-Unit drohten
Der zweite Grund, warum Mercedes den Test auslässt, betrifft die Power Units. Ein entsprechender Anhang des Sportlichen Reglements erklärt, dass die Kosten, die ein Team an seinen Power-Unit-Lieferanten zahlen muss, in ihrer Gesamtheit zwei Autos für eine komplette Saison plus 5000 Kilometer Testfahrten beinhalten.
Wenn ein Team mehr als diese 5000 Testkilometer vor, während oder nach der Saison absolviert, belasten die Extrakosten als ein zusätzlicher Kostenpunkt die Budgetgrenze. Mercedes ist zwar ein Werksteam, zahlt aber an die Daimler AG denselben Betrag wie die drei Kundenteams Aston Martin, Williams und McLaren.
Wolff: Bugdetgrenze "nicht einfach"
"Wir versuchen, die Budgetgrenze einzuhalten, das ist aber nicht einfach", sagt Teamchef Toto Wolff: "Wir konnten die Kosten für den Reifentest nicht tragen und wir wären nicht in der Lage gewesen, unsere Mechaniker auf solch eine lange Reise zu schicken."
Betroffen von den finanziellen Auswirkungen der Testfahrten sind in diesem Maße allerdings nur Mercedes und Ferrari, weil sich beide Teams freiwillig für jeweils fünf Testtage Pirelli zur Verfügung stellten.
Das andere Team, das vor ihrer Einführung oberhalb der Budgetgrenze arbeitete - Red Bull - entschied sich, nur drei Testtage zu absolvieren. Durch die Übernahme des Mercedes-Kontingents nächste Woche hat sich Ferrari nun allerdings für sieben Tage bekannt.
Ferrari mit Vorteilen gegenüber Mercedes
Die Scuderia befindet sich jedoch in einer anderen Situation als Mercedes. Ferrari hat in erster Linie natürlich bislang keinen derart schweren Unfall erlitten wie Mercedes mit Valtteri Bottas. Zudem schicken sie ihre normale Renncrew zu dem Test kommende Woche. Damit läuft Ferrari nicht Gefahr, dass plötzlich Extragehälter von Mitarbeitern außerhalb des täglichen Formel-1-Programms gegen die Budgetgrenze zählen.
"Wir als Ferrari haben klar betont, dass unsere Priorität deutlich mehr bei 2022 als bei 2021 liegt", sagt Teamchef Mattia Binotto: "Pirellis Reifen zu testen und Pirelli dabei zu helfen, die neuen Reifen zu entwickeln, ist wichtig für uns."
Bei Pirelli blickt man mit Sorgenfalten auf die aktuelle Situation. Denn während die Budgetgrenze 2022 auf 140 Millionen US-Dollar und ein Jahr später um weitere fünf Millionen auf 135 Millionen US-Dollar sinkt, plant der Reifenlieferant im kommenden Jahr erneut ein intensives Testprogramm, um die Reifen für 2023 zu entwickeln.
Pirelli-Sportchef sieht Problematik im Regelwerk
Schließlich sind im kommenden Jahr mit den dann brandneuen Autos präzisere Daten zu sammeln als in diesem Jahr mit den Mule-Cars. Dass die Testfahrten allerdings einen solchen Einfluss auf die Budgetgrenze haben, war für Pirellis Sportchef Mario Isola eine negative Überraschung.
"Ich kenne nicht die genauen Details, wie die Budgetgrenze funktioniert", sagt der Italiener: "Ich war mir diesem Problem auch gar nicht bewusst. Und als Mercedes auf mich zukam und sie mir sagten, dass es bei unserem Reifentest ein Problem geben könnte, war ich überrascht."
Pirelli fordert: Reifentests sollten neutral sein
Vor größere Probleme habe Pirelli der Wechsel von Mercedes zu Ferrari in der kommenden Woche aber nicht gestellt. "Dieses Jahr haben wir wie gewohnt eine Rotation durchgeführt", erklärt Isola: "Wir haben allen Teams die Tests angeboten, so machen wir es jedes Jahr. Alle außer Williams haben sich entschieden, ein Mule-Car zu bauen. Es gab also einen Plan, dem alle zugestimmt haben."
Durch den Wechsel zu Ferrari könne Pirelli den Testplan nun wie gewünscht fortsetzen. Dennoch wünscht sich Pirelli eine Lösung für das Budgetproblem bei den Reifentests. "Wir sind immer bereit und müssen immer reagieren können. Aber die Budgetgrenze ist etwas Neues. Durch die Pandemie und die Änderungen im Kalender sind wir auf solche Änderungen vorbereitet. Aber die Budgetgrenze war eine Überraschung für mich", sagt er.
Die 200.000 US-Dollar Bonus pro Testtag seien zwar schön und gut, sagt Isola. Ihm geht das aber noch nicht weit genug. "Der Reifentest sollte für die Teams neutral sein", fordert er: "Die Teams sind auf die Beschränkungen durch die Budgetgrenze fokussiert und arbeiten drumherum. Aber der Pirelli-Test sollte nicht in dieser Gleichung auftauchen."
Pirelli von Lösungsfindung überzeugt
Ihm sei bewusst, dass es keine einfache Lösung für das Problem gibt. "Aber ich bin mir sicher, wir werden eine Lösung finden, wenn wir zusammenarbeiten. Ich würde nicht sagen, dass es verrückt ist, aber es ergibt keinen Sinn, dass man einen Test absagen muss, nachdem man erst zugesagt hat", sagt Isola.
Wer die Testfahrten absolviere, spiele jedoch vor allem für die Teams selbst keine Rolle. "Wir haben ein System eingeführt, dass den Einfluss auf jene Teams, die nicht beim Test sind, reduziert aufgrund der Daten, die sie von den Tests bekommen", glaubt er.
Die Zutaten für eine Lösung seien alle da. "Das System funktioniert gut. Wir haben eine gewisse Anzahl an Testtagen, wir haben ein Rotationsprinzip. Und nun müssen wir eine Lösung für den Einfluss der Budgetgrenze finden. Es ist eine dynamische Welt. Jeden Tag gibt es etwas Neues und wir werden auch dafür sicher eine Lösung finden", ist Isola überzeugt.
Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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