"Renault könnte verschwinden": Abiteboul reagiert auf Ausstiegsgerüchte
Die französische Regierung und der Renault-Vorstand verhandeln über das Überleben des Konzerns, dessen Formel-1-Team auf gute Nachrichten aus Paris hofft
In der Formel 1 mehren sich die Stimmen, die angesichts der Coronakrise einen Ausstieg der großen Werke befürchten. Darüber, dass der Daimler-Konzern zumindest sein Werksteam aufgeben und nur noch als Motorenhersteller weitermachen könnte, wird seit Wochen spekuliert. Doch nun verdunkeln sich die Wolken auch über Paris, dem Hauptsitz von Renault.
Der französische Automobilhersteller hat schon vor dem Ausbruch des Coronavirus turbulente Zeiten durchgemacht. Zuerst die Affäre um Ex-CEO Carlos Ghosn, der in Japan verhaftet wurde und trotz Ausreiseverbot in den Libanon geflüchtet ist; dann die Ankündigung von Interims-Konzernchefin Clotilde Delbos, ein Milliarden-Sparprogramm durchziehen zu wollen.
Die durch die Coronavirus-Pandemie ausgelöste Weltwirtschaftskrise bringt Renault nun noch mehr ins Wanken. Und in der französischen Heimat des Konzerns ist dessen Schicksal dieser Tage ein schlagzeilenträchtiges Politikum, weil der Staat Frankreich bekanntermaßen 15 Prozent der Anteile am Automobilhersteller hält.
An und für sich hat die Regierung einen fünf Milliarden Euro schweren Hilfskredit für Renault abgenickt. Doch der soll an Bedingungen geknüpft werden. Die vom Konzern angedachte Schließung dreier Werke in Frankreich etwa missfällt. Es ist kaum zu rechtfertigen, Milliarden in einen Konzern zu pumpen, der dann Arbeitsplätze wegrationalisiert und ins kostengünstigere Ausland verlegt.
Formel-1-Team in den Händen der Regierung in Paris
Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire schießt scharf, wenn er klarstellt, dass es keinen Hilfskredit gibt, solange das Management nicht detailliert dargelegt hat, wie sie den Konzern in die Zukunft zu führen gedenkt. Und er malt den Teufel an die Wand, wenn er sagt, dass Renault "in ernsten finanziellen Schwierigkeiten" steckt: "Ja, Renault könnte verschwinden."
So weit wird es in der Realität nicht kommen. Noch bevor am 1. Juli der neue CEO Luca de Meo das Kommando übernimmt, muss ein 2,2 Milliarden Euro schweres Sparpaket verabschiedet werden. Dabei gibt es, das hat Delbos wiederholt klargestellt, keine Tabus. Eine Ansage, vor der die Formel-1-Chefs Cyril Abiteboul und Alain Prost dieser Tage zittern.
Premierminister Edouard Philippe hat klargemacht, dass die Rettung französischer Arbeitsplätze im Konzern für ihn oberste Priorität hat. Ein moderat erfolgreiches Formel-1-Programm, das viel Geld kostet und bislang wenig bringt, noch dazu mit knapp 700 Arbeitsplätzen außerhalb Frankreichs (das Chassis wird im britischen Enstone gebaut), ist da schwierig zu argumentieren.
In einem Interview mit 'Motorsport-Total.com', aufgezeichnet für die Podcast-Serie #ThinkingForward, erklärt Renault-Teamchef Cyril Abiteboul, warum er trotz aller Negativmeldungen optimistisch ist, dass die französische Regierung und der Vorstand des Konzerns einer Fortsetzung des Formel-1-Programms zustimmen werden.
"Wir sind seit den 70ern in der Formel 1", sagt er. "Wir waren der Formel 1 gegenüber immer loyal, und im Hinblick auf die Zukunft ist es wichtig, sich auf die eigenen Wurzeln zu besinnen, wo man herkommt, auf die eigene Geschichte. Nicht nur aus Loyalität, sondern weil man damit auch ein Narrativ hat, das man den Kunden von heute und den Kunden von morgen erzählen kann."
Außerdem, betont Abiteboul, habe die Formel 1 mit der Senkung der Budgetobergrenze auf 145 Millionen US-Dollar pro Jahr (ab 2021) ein wichtiges Signal gesetzt, um die ausufernden Kosten für die Teams, die um den WM-Titel kämpfen möchten, unter Kontrolle zu bekommen. Ein wichtiges Argument, wenn man einen Vorstand von der Formel 1 überzeugen muss.
Abiteboul zufrieden: Formel 1 jetzt auf dem richtigen Weg
"Die ersten Notfallmaßnahmen dienen dazu, die im Sport zu halten, die schon da sind", erklärt Abiteboul. "Ich finde immer noch, dass die Einstiegsbarriere in die Formel 1 [für einen neuen Hersteller] ziemlich hoch ist. Aber für die, die schon da sind, fällt die Entscheidung, weiterhin zu bleiben, jetzt doch um einiges leichter."
Was allerdings noch lange nicht bedeuten muss, dass Renault das Formel-1-Programm nach 2020 fortsetzen wird. Tatsache ist: Der Concorde-Grundlagenvertrag mit Rechteinhaber Liberty Media läuft Ende 2020 aus und kann ohne Strafzahlung beendet werden. Und Abiteboul und Berater Alain Prost, die sich eine Fortsetzung natürlich wünschen, treffen nicht die Entscheidung.
Abiteboul redet sich die Situation im #ThinkingForward-Interview gar nicht schön: "Wir wissen, dass wir uns in einer herausfordernden Situation befinden. Ich denke, es ist ein bisschen zu früh, die Auswirkungen dieser Krise wirklich zu messen." Eins weiß er aber: "Letzten Monat haben wir in Frankreich 90 Prozent weniger Autos verkauft."
"Ist ja auch klar warum: Die Leute kommen nicht raus. Ich frage mich ehrlich gesagt, wie wir es geschafft haben, immerhin noch zehn Prozent zu verkaufen", sagt Abiteboul. "Wir müssen da ehrlich sein: Es ist eine riesengroße Krise - und es ist kaum vorherzusagen, was die Auswirkungen sein werden."
"Wenn wir die Krise aber einmal außen vor lassen, passieren gerade all die richtigen Dinge", ergänzt der Franzose und zählt auf: "Gerechtere Einnahmenverteilung, niedrigere Budgetobergrenze." Letztere sei "nahe dran" an der Summe, mit der Renault ohnehin zu operieren gedenkt. "Das ist alles gut", so Abiteboul.
"Ich bin zuversichtlich", sagt er - und spart sich den abgenutzten Spruch, dass jede Krise auch eine Chance darstellt. Aber: "Wenn der Business-Case vorher gut war, dann ist er jetzt noch besser geworden. Wir müssen nur sicherstellen, dass die Auswirkungen dieser Krise sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch hinsichtlich der Zeit begrenzt bleiben."
Weitere Co-Autoren: Jonathan Noble. Mit Bildmaterial von Renault.
Diese Story teilen oder speichern
Registrieren und Motorsport.com mit Adblocker genießen!
Von Formel 1 bis MotoGP berichten wir direkt aus dem Fahrerlager, denn wir lieben unseren Sport genau wie Du. Damit wir dir unseren Fachjournalismus weiterhin bieten können, verwendet unsere Website Cookies. Dadurch wird Dein Nutzererlebnis optimiert und die Werbung auf Deine Interessen zugeschnitten. Wir wollen dir aber natürlich trotzdem die Möglichkeit geben, eine werbefreie Website zu genießen.