Trotz Horners "Frankenstein"-Kritik: FIA hält an Motorenreglement 2026 fest
FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem exklusiv: Warum er die 2026er-Regeln nicht mehr aufmacht und was er anders machen wird als Vorgänger Jean Todt
Der Automobil-Weltverband FIA hat nicht vor, das Formel-1-Motorenreglement für 2026, das 2023 endlich final verabschiedet werden konnte, noch einmal aufzumachen und zu ändern. Und das, obwohl Red-Bull-Teamchef Christian Horner erst kürzlich davor gewarnt hat, dass die neuen Regeln so, wie sie derzeit gestaltet sind, dazu führen könnten, dass in der Formel 1 in Zukunft nur noch "Frankenstein-Autos" fahren.
Die neuen Powerunit-Regeln wurden im Jahr 2022 mehrmals verschoben, um alle Bedenkenträger ausreichend einbinden zu können. Doch seit 3. März 2023 ist auf FIA.com das Sportliche Motorenreglement für 2026 abrufbar, und seit 20. Juni auch das Technische Motorenreglement. Und das sei so, wie es da steht, "eingeloggt", stellt FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem klar.
Die FIA schalte dabei nicht grundsätzlich auf stur. Sollten zum Beispiel Vorschläge eingehen, die dazu beitragen könnten, die CO2-Emissionen der Formel-1-Powerunits noch stärker zu reduzieren, dann wäre Sulayem als FIA-Präsident grundsätzlich dazu bereit, über eine Änderung des Reglements nachzudenken. Allerdings müssten solche Vorschläge ordnungsgemäß alle Gremien durchlaufen.
Unwahrscheinlich, dass das passieren wird, zumal das Motorenreglement für 2026 ohnehin eine schwere Geburt war. Sulayem sagt in einem exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com': "Wir haben 18 Monate lang beratschlagt, aber letztendlich haben alle unterschrieben." Und das, obwohl es "große Widerstände von den Teams" gegeben habe.
"Ich verstehe ihre Position sogar. Aber sie müssen auch die Position der FIA verstehen. Wir wollen den Motorsport nachhaltig gestalten, und die einzige Möglichkeit, Motorsport nachhaltig zu gestalten, ist mit mehr OEMs als Powerunit-Hersteller und Teams", sagt Sulayem und betont: "Das neue Reglement ist der Grund, warum neue OEMs einsteigen. Zum Beispiel Audi."
Welche Kritik Horner an den 2026er-Regeln übt
Ein Argument, das Horner im Grundsätzlichen gar nicht in Abrede stellt. Er befürchtet aber, dass die Regeln im Detail nach hinten losgehen könnten. Beispiel: "Eins der großen Probleme im Hinblick auf 2026 ist das Gewicht. Wir rechnen mit nochmal 30 Kilogramm mehr für die Kühlung, und das bei Autos, die ohnehin schon das Gewicht von Sportwagen erreichen."
"Es gibt auch einige sehr positive Dinge über 2026 zu erzählen. Der nachhaltige Kraftstoff ist extrem positiv. Aber was wir uns dringend anschauen müssen, bevor es zu spät ist, ist das Verhältnis zwischen Leistung aus dem Verbrennungsmotor und elektrischer Leistung."
Der Red-Bull-Teamchef warnt vor einem "technischen Frankenstein, der das Chassis zu einem solchen Grad mit beweglicher Aerodynamik kompensieren und den Luftwiderstand auf ein solches Niveau reduzieren muss, dass das Racing beeinträchtigt wird, weil es keinen Windschatten geben wird und weil es effektiv kein DRS geben wird, weil man effektiv ohnehin immer mit offenem DRS fährt."
Statt derzeit 50:50 zwischen Verbrenner und Elektro fordert Horner daher eine Anpassung der Systemleistung auf 60 Prozent Verbrenner und 40 Prozent Elektro. "Wir haben noch zweieinhalb Jahre Zeit", sagt er. "Wenn es eine leichte Korrektur gibt, dann würde das möglicherweise eine bessere Plattform für das Chassis schaffen."
Horner: Lieber E-Fuels statt beweglicher Aeroteile
Die Chassisregeln für 2026 sind derzeit noch nicht final verabschiedet. Allerdings wird erwartet, dass die künftigen Formel-1-Autos maximal auf Effizienz getrimmt werden, zum Beispiel mit beweglichen Aero-Komponenten, sodass in den Kurven Anpressdruck generiert, aber auf den Geraden der Luftwiderstand verringert wird. Alles, um den Verbrauch fossiler Energieträger zu reduzieren.
"Die Arbeit, die mit nachhaltigem Kraftstoff geleistet wird, und die Tatsache, dass das Auto praktisch CO2-frei fahren wird, sind phänomenal", sagt Horner. "Wenn wir das Verhältnis anpassen, könnten wir sehr schnell die Abhängigkeit von der Notwendigkeit aktiver Aerodynamik und ständig beweglicher Diffusoren und Flügel sowie der damit verbundenen Komplexität beseitigen."
Sulayem: Das große Ganze ist wichtiger als ein Team
Eine Meinung, die Sulayem schätzt - die ihn aber nicht konkret zum Handeln veranlasst. Der FIA-Präsident sagt: "Letztendlich ist das seine Meinung. Ich respektiere, was Christian sagt. Aber für mich ist wichtiger: Was ist gut für die Mehrheit der Teams? Was ist gut für den Sport insgesamt?"
"Ich habe in Ungarn mit ihm gesprochen. Ich höre mir die Meinungen der Beteiligten immer an. Die prozentuale Verteilung schien ihn nicht sonderlich zu kümmern. Ob das jetzt 60:40 ist, 45:55 oder 52:48. Letztendlich geht es darum, warum wir das tun - nämlich weil wir die Emissionen um 80 Prozent reduzieren wollen."
"Vielleicht sind wir da ein bisschen zu optimistisch. Aber wir zielen auf eine 80-prozentige Redaktion ab, die von leichteren Autos kommen soll, vom Verbrennungsmotor, von der Batterie, von der Aerodynamik, von weniger Benzin. Alles zusammen macht was aus. Wenn wir nur bei einem Teilbereich nachlässig werden, werden wir das Ziel nicht erreichen."
FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem im Gespräch mit Chefredakteur Christian Nimmervoll
Foto: circuitpics.de
Thema Gewicht: FIA kämpft für Reduktion
Dabei gibt es durchaus Themen, bei denen Sulayem mit Horner übereinstimmt. Den Wunsch nach leichteren Autos, den zuletzt auch Formel-1-CEO Stefano Domenicali geäußert hat, findet Sulayem beispielsweise mehr als legitim: "Das schauen wir uns an. Es ist machbar, und es wäre für alle Beteiligten besser", unterstreicht er.
In den vergangenen 15 Jahren sind die Formel-1-Autos um 213 Kilogramm schwerer geworden. Aktuell muss ein Formel-1-Auto zu jedem Zeitpunkt des Rennwochenendes mindestens 798 Kilogramm wiegen. Das bedeutet, dass das Gewicht am Start eines Grand Prix inklusive Benzin bei rund 900 Kilogramm liegt.
Er plädiere schon lang für leichtere Autos, beteuert Sulayem: "Ich bin selbst Rallyes gefahren. Gebt mir alles, aber bitte kein schweres Auto! Das hat mich immer gestört. Leichtere Autos sind besser, und ich weiß, wovon ich spreche. Wenn das Auto schwerer ist, ist die Radaufhängung beeinträchtigt, die Bremsen funktionieren schlechter, die Reifen verschleißen schneller. Und bei einem Unfall ist mehr Gewicht gefährlicher."
"Ich habe schon mit meinem Team bei der FIA gesprochen", sagt er. "Wir wollen leichtere Autos, und wir wollen einen besseren Sound. Das ist letztendlich Sache der FIA. Wenn Stefano das auch möchte, schön, dann sind wir uns in diesem Punkt einig. Aber entscheiden muss das die FIA. Wir setzen es um. Nicht, weil die FOM oder ein Team das so wollen. Sondern weil es das Richtige für den Sport ist."
Neue Regeln: Mischt sich Liberty Media zu stark ein?
Die strenge Abgrenzung, wonach sich die FIA um das Reglement und den Sport zu kümmern hat und der Rechteinhaber Liberty Media um die kommerziellen Angelegenheiten, wird durch die Europäische Union vorgegeben. Zuletzt schienen die Grenzen aber zu verschwimmen. Das letztendlich erst 2022 eingeführte 2021er-Reglement zum Beispiel wurde maßgeblich durch die Formel 1 entwickelt.
Als Liberty Media 2017 die Formel-1-Rechte übernahm, war eine der ersten Maßnahmen, eine eigene Regelgruppe anzuheuern, der Pat Symonds als CTO (Chief Technical Officer) vorsitzt. Zwar durchliefen alle Vorschläge der Symonds-Gruppe regelkonform alle notwendigen Gremien (auch die der FIA); doch gestaltet wurden viele der Vorschläge letztendlich vom Rechteinhaber.
Ein Zustand, den Sulayem in seiner Präsidentschaft ändern möchte. Beim Thema Reglement soll in Zukunft wieder die FIA der Leitstern sein und nicht die Formel 1. Es sei ein "gemeinsames Interesse", eine starke FIA zu haben, die beim Thema Formel-1-Regeln "nicht reaktiv, sondern proaktiv" agieren kann, findet er.
"In den vergangenen Jahren haben wir uns darum zu wenig gekümmert", räumt Sulayem ein. Als die Symonds-Gruppe gegründet wurde, war noch sein Vorgänger Jean Todt FIA-Präsident. "Wir müssen uns darum kümmern, wer welche Aufgabe hat. Klarheit ist immer gut für die Zukunft. Sich in die Themen der anderen Seite einzumischen, ist nicht gut. Sie wissen das, wir wissen das, und wir können es reparieren."
Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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