Um diesen Formfehler der FIA ging's beim Ferrari-Protest in Monaco
Beim Ferrari-Protest gegen Max Verstappen in Monte Carlo spielte eine Schlamperei des FIA-Rennleiters eine ganz entscheidende Rolle
Bei der Aufarbeitung des Ferrari-Protests gegen Max Verstappen nach dem Grand Prix von Monaco sind auf Seiten der FIA erneut Ungenauigkeiten aufgetaucht. Dabei geht es um jenen Paragrafen in den Reglements der FIA, der regelt, wie weit ein Formel-1-Pilot an der Boxenausfahrt über die dort aufgezeichnete Linie fahren darf.
Ferrari hatte laut Dokument 59 der FIA in Monaco bei den FIA-Rennkommissaren eingereicht, dass Teile des linken Vorder- und Hinterreifens von Verstappen den Asphalt links neben der Linie an der Boxenausfahrt nach Sainte Devote berührten. Und stützte sich dabei auf die Argumentation, das verstoße gegen die sogenannten "Eventnotes" (Notizen) des Rennleiters.
In denen stand nämlich für Monaco wörtlich: "Except in the cases of force majeure (accepted as such by the Stewards), the crossing by any part of the car, in any direction, of the blue painted area, between the pit entry and the track, by a driver who, in the opinion of the Stewards, had committed to entering the pit lane is prohibited."
Sportgesetzbuch wurde im Winter 2021/22 geändert
Diese "Eventnotes" bezogen sich auf Artikel 5.c von Anhang L des Internationalen Sportgesetzbuchs. Dort stand nämlich bis 15. Dezember 2021 wörtlich: "Except in cases of force majeure (accepted as such by the Stewards), any line painted on the track at the pit exit for the purpose of separating cars leaving the pits from those on the track must not be crossed by any part of a car leaving the pits."
Dieser Artikel 5.c wurde jedoch am Ende der Saison 2021 geändert, und zwar auf: "Except in cases of force majeure (accepted as such by the Stewards), any tyre of a car exiting the pit lane must not cross any line painted on the track at the pit exit for the purpose of separating cars leaving the pit lane from those on the track."
Es geht also um die Feinheiten von Sprache und Formulierung. Hieß es bis 2021, dass die Linie an der Boxenausfahrt von, wörtlich, "keinem Teil" des Autos überschritten werden darf, so gilt ab 2022, dass "kein Reifen eines Autos" die Linie "überqueren" ("cross") darf. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Warum Verstappen anders beurteilt wurde als Perez
Bei Sergio Perez räumte selbst Ferrari nach genauer Betrachtung ein, dass er rechts neben der Linie blieb. Verstappens Reifen hingegen war auf und in Teilen sogar über der Linie; der größere Teil des Reifens befand sich aber auf der Linie. Somit konnte streng genommen kein "Überqueren" ("cross any line") der Linie festgestellt werden.
Verstappen wurde beim Rausfahren aus der Box gefunkt, er fahre gegen Charles Leclerc. Auf rutschiger Fahrbahn gab der 24-Jährige also Gas, kam auf der Boxenlinie innen in Sainte Devote leicht ins Rutschen, wie man auf Onboardaufnahmen gut erkennen kann. Dadurch driftete er am Ende der gelben Linie etwas weiter nach links als sonst üblich.
Doch die FIA hatte in dem ganzen Prozess einen Formalfehler begangen. Denn die "Eventnotes", auf die sich Ferrari in seiner Argumentation bezog, hatte der zuständige Rennleiter einfach von der 2021er-Vorlage kopiert - und dabei ganz übersehen, dass sich im Internationalen Sportgesetzbuch der Paragraf zum Thema Boxenausfahrt geändert hatte.
Hat Wittich beim Saisonauftakt den Fehler gemacht?
Sprich: Seit Saisonbeginn 2022 stimmten "Eventnotes" und Sportgesetzbuch nicht mehr überein. Dazu hielt die FIA in Monaco fest: "Die Notizen, die vom Rennleiter veröffentlicht werden, dürfen nicht im Widerspruch zum Sportgesetzbuch oder dem Sportlichen Reglement der Formel 1 stehen." Ein Schuldeingeständnis.
Auf wessen Konto der Fehler geht, ist unklar. Rennleiter war in Barcelona und Monte Carlo erstmals Eduardo Freitas. Der hätte seine Notizen natürlich selbst prüfen müssen. Andererseits kopierte er seine Vorlage mutmaßlich reinen Gewissens von Niels Wittich, in der Annahme, dieser hätte seine Vorlage vor dem ersten Saisonrennen an etwaige neue Regularien angepasst. Was nicht der Fall war.
Mattia Binotto betonte von Anfang an, es gehe Ferrari um eine Präzisierung: "Wir haben den Protest eingelegt, weil wir glauben, dass es richtig ist, um eine Klarstellung zu bitten. Das Ziel unseres Protests ist also nicht wirklich der Protest gegen Red Bull. Sondern es geht uns um eine Angelegenheit, in der wir nicht ganz durchblicken."
Sonntagabend: Binotto forderte Klarheit
Der Ferrari-Teamchef erklärt: "Wir glauben, dass beide Red Bulls auf der gelben Linie an der Boxenausfahrt waren. In der Vergangenheit wurde das immer mit fünf Sekunden bestraft. Das steht so auch ganz eindeutig in den 'Eventnotes' des Rennleiters. Und zwar, soweit ich mich erinnere, seit der Türkei 2020. Man muss auf der rechten Seite der Linie bleiben."
"Uns geht es darum, Konfusion beim Wort 'Überqueren' zu vermeiden: Unseres Erachtens nach musst du rechts neben der Linie bleiben und darfst nicht auf der Linie sein, aber das war eindeutig nicht der Fall. Daher geht es uns um eine Klarstellung, denn für uns wäre das eine klare Entscheidung, aber für die Kommissare war es das offensichtlich nicht."
In der Beurteilung folgte die FIA der Einschätzung Binottos am Sonntagabend zwar nicht, immerhin gab's aber durch das Abweisen des Protests von Ferrari die erhoffte Klarstellung und einen Präzedenzfall, an dem man sich in Zukunft orientieren kann. Jetzt können auch die Ferrari-Piloten sorgenfrei die Limits an der Boxenausfahrt etwas weiter ausloten ...
Mit Bildmaterial von circuitpics.de.
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