Valentino Rossi und Ferrari in der Formel 1: Was wäre, wenn…
Mercedes-Sportchef Toto Wolff hat Valentino Rossi kürzlich einen Formel-1-Test angeboten. Doch Rossi war schon einmal sehr nahe dran, in die Formel 1 zu wechseln. Charles Bradley blickt zurück.
Es war vor über 10 Jahren, dass Rossi an einem offiziellen Gruppentest der Formel 1 teilnahm. Er fuhr für Ferrari – und nur 0,7 Sekunden langsamer als Michael Schumacher. Damit hätte er den Schritt in den Automobilsport wagen und die Motorsport-Welt auf den Kopf stellen können. Doch so weit kam es bekanntlich nicht.
Rossi hatte sich bei diesem Test in Valencia erstmals gemeinsam mit Schumacher, Fernando Alonso, Jenson Button, Felipe Massa, Nico Rosberg, Juan Pablo Montoya, Ralf Schumacher, Robert Kubica, Mark Webber und vielen anderen auf der Strecke gemessen. Heute hört sich das schier unglaublich an, nicht wahr?
"Ich habe ihm keine Ratschläge gegeben, denn die braucht er nicht", sagte Schumacher damals über den Rossi-Einsatz. Schumacher hatte in 1:11,640 Minuten vorgelegt, Rossi schaffte 1:12,362 Minuten – in einer älteren Ausbaustufe des Ferrari-Fahrzeugs. Er war konkurrenzfähig. Und wahrscheinlich können nur die Ingenieure Auskunft über Rossis wahres Potenzial geben.
Rossi hat regelmäßig mit der Formel 1 geflirtet. Zwischen 2004 und 2010 testete er diverse Male für Ferrari. Meistens hieß es, diese Probefahrten wären einfach nur "Spaß" – die beiden großen italienischen Motorsport-Legenden Hand in Hand, es passte einfach gut.
Aber Rossi war schon immer ein Wettkampftyp. Alles nur ein Spaß? Ich glaube kaum, dass er das unterschreiben würde, wenn er erst einmal das Visier an seinem Helm geschlossen hat…
Und wie wäre es wohl gewesen, wäre der sensationelle Wechsel in die Formel 1 zustande gekommen? Wie nahe waren Rossi und Ferrari dran an diesem Deal, der Rossi in die Formel 1 gebracht hätte?
Wie immer wieder zu hören ist, wäre es beinahe passiert. Rossis Vater etwa hat einmal gesagt, sein Sohn sei in den Jahren 2006 und 2007 "sehr, sehr kurz" davor gewesen, in die Formel 1 einzusteigen.
Es war eine Zeit, in der man mit viel Testarbeit eine Menge bewegen konnte. Damals war das überhaupt kein Problem. McLaren und Lewis Hamilton haben es eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Der erste Formel-1-Test
Rossi hatte schon 2004 in Fiorano erstmals einen F1-Ferrari ausprobiert. Damals trug er sogar einen Ersatzhelm von Schumacher, weil er noch keinen eigenen besaß.
"Es war ein sehr aufregender Tag für mich", sagte Rossi damals. "Ein Formel-1-Auto zu fahren, ist eine erstaunliche Erfahrung. Es war klasse, dass ich einen Tag lang in die Fußstapfen von Schumacher treten konnte."
Schumacher verfolgte den Test vor Ort und meinte: "Natürlich dauerte es eine Weile, bis er sich daran gewöhnt hatte. Doch am Ende fuhr er sehr beeindruckend."
"Ich weiß, er hat bereits Erfahrung im Kartsport gesammelt. Aber unterm Strich weißt du einfach, was du zu tun hast, wenn du den Rennsport im Blut hast."
2005 kam Rossi erneut in Fiorano zum Zuge, bei Testfahrten während der Formel-1-Saison. Dieses Mal stand ihm Marc Gene als Ratgeber zur Seite. Und Rossi fand allmählich Gefallen an der Sache: "Ich wollte ein besseres Verständnis von einem Formel-1-Auto entwickeln. Es war anstrengend und spannend zugleich."
"Ich habe viele Kilometer zurückgelegt. Ich begann, das Handling des Fahrzeugs zu verstehen." Und diesen Worten ist zu entnehmen: Rossi wollte mehr.
Der Gruppentest in Valencia
Am Jahresende absolvierte Rossi einen weiteren Privattest mit Ferrari. Dann schlug seine bis dato größte Stunde als Formel-1-Testfahrer: Bei den Wintertests zur Vorbereitung auf die Formel-1-Saison 2006 in Valencia ging er mit den Formel-1-Assen auf die Strecke.
Rossi steuerte einen V10-Ferrari, also ein anderes Auto als die Ferrari-Stammpiloten Schumacher und Massa. Ein direkter Vergleich war somit von Anfang an ausgeschlossen.
"Ich muss sagen, ich fühlte mich wohl im Auto. Es gab keine besonderen Probleme", berichtete Rossi und fügte hinzu: "Vielleicht aber muss ich noch ein wenig im Nassen trainieren." Er hatte sich gleich am 1. Tag auf feuchter Strecke gedreht, in seiner 1. Runde.
Dennoch schienen seine Chancen auf einen Formel-1-Einstieg zu dieser Zeit so groß wie nie zu sein. 2006 verpasste er einen weiteren WM-Titel in der MotoGP, weil er Nicky Hayden unterlag. Doch Rossi beteuert bis heute, dass ihn die mehr als 1.000 Testkilometer im Formel-1-Auto nicht von seiner eigentlichen Aufgabe abgelenkt hätten.
Was damals noch niemand ahnte: Schumacher stand vor seinem Abschied aus der Formel 1. Kimi Räikkönen ersetzte ihn zur Formel-1-Saison 2007 und wurde auf Anhieb Weltmeister mit Ferrari.
Auch Rossis MotoGP-Vertrag lief aus. Doch im Juni 2006 entschloss er sich zur Vertragsverlängerung mit Yamaha und fuhr später noch 2 weitere MotoGP-Titel ein.
Man stelle sich vor, zu dieser Zeit wären ganz andere Entscheidungen getroffen worden. Ein Erdbeben wäre durch den Automobil- und Motorradsport gegangen!
Ein paar Jahre später kehrte Rossi ins Ferrari-Cockpit zurück. Im Rahmen der Corse Clienti fuhr er ein Formel-1-Auto der Generation 2008 und testete in Mugello und in Barcelona. Aber das schienen reine Spaßveranstaltungen zu sein, ganz im Gegensatz zum Test in Valencia 2006.
War das die letzte Chance?
Stefano Domenicali formulierte es nach den Probefahrten 2010 so: "Vale hätte einen ganz hervorragenden Formel-1-Fahrer abgegeben. Aber er hat sich für einen anderen Weg entschieden. Er ist ein Teil unserer Familie. Deshalb wollten wir ihm diese Gelegenheit geben."
"Wir freuen uns sehr, wieder gemeinsam aktiv zu sein – als 2 italienische Ikonen, Ferrari und Valentino Rossi."
Die wahrscheinlich letzte Formel-1-Chance für Rossi gab es 2009: Massa hatte sich in Ungarn schwer verletzt. Luca Badoer kam als Ersatzmann bei seinen 2 Einsätzen an seine Grenzen. Ferrari hatte wenig zu verlieren. Und auf einmal dachte man in Maranello darüber nach, Rossi für das Ferrari-Heimrennen in Monza zu nominieren…
"Ferrari und ich haben darüber gesprochen, dass ich in Monza fahren könnte", sagte Rossi später einmal. "Aber ohne Tests wäre es nicht sinnvoll gewesen."
"Ohne Probefahrten in die Formel 1 einzusteigen, wäre eher riskant. Das war uns klar. Du kannst dich nicht einfach hineinsetzen und ein solches Auto binnen 3 Tagen verstehen."
Verständlich. Zumal der Ferrari des Jahres 2009 auch kein einfaches Auto war.
Aber wie hätte sich die Situation 2007 dargestellt? Der Formel-1-Ferrari damals war eine echte Schönheit – und schnell noch dazu. Räikkönen siegte bei 6 Rennen, Massa holte 3 Siege. Zusammen waren dies mehr als die Hälfte aller Formel-1-Triumphe des Jahres.
Man darf sich daher schon fragen: Was hätte Rossi erreicht, hätte er es gemacht wie John Surtees?
Schlussfolgerung
Stellt Euch mal eine Formel-1-Saison 2007 mit Hamilton und Rossi als Neulingen vor. Das wäre etwas richtig Großes gewesen!
Hätten beide vor Saisonbeginn ähnlich viel testen können, wäre der weitere Verlauf ihrer Karrieren sicherlich höchst spannend gewesen.
Wäre Rossi dazu in der Lage gewesen, seine hervorragenden Fähigkeiten aus dem Zweiradsport auf ein Auto zu übertragen? Alleine die Kombination aus Rossi und Ferrari hätte der Formel 1 gewiss viele neue Zuschauer eingebracht. Und die MotoGP hätte ihren größten Superstar verloren.
Wie viel Wahrheit steckte in den 0,7 Sekunden, die Rossi in Valencia auf Schumacher fehlten? Hielt er diesen Abstand für zu groß? Erkannte er in den Daten von Schumacher vielleicht etwas, was er nicht ebenfalls würde umsetzen können?
Unterm Strich wollte er es nicht versuchen. Rossi war und ist ein Motorrad-Crack, und Zweiräder sind sein Leben.
Und wenn man sieht, wie der aktuelle Formel-1-Weltmeister im Alter von 31 Jahren zurücktritt, dann wirft das ein ganz anderes Licht auf die Karriere von Rossi in der MotoGP: Er ist bald 40 Jahre alt, fährt aber immer noch in der Weltspitze. Und das ist einfach beeindruckend.
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