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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Die Mercedes-Strategie in Singapur unter der Lupe: Wie Toto Wolffs Team fünf objektive Fehler unterlaufen sind - und eine subjektive Fehleinschätzung ...

Toto Wolff, Executive Director (Business), Mercedes AMG

Foto: Steve Etherington / Motorsport Images

Liebe Leser,

Toto Wolff hat es nach dem "Night-Race" in Singapur so aussehen lassen, als sei Sebastian Vettels erfolgreiche "Undercut"-Strategie das Ergebnis einer hochkomplexen Raketenwissenschaft gewesen. Ferrari habe sich auf einen "echt mutigen Call" eingelassen und sei wahrscheinlich sogar "selbst davon überrascht" gewesen, sagte der Mercedes-Teamchef.

Aber das ist nicht wahr. Um das "Taktik-Schach" von Singapur zu durchschauen, brauchte man keine Hochleistungsrechner, keine Ingenieurs-Armada zu Hause in Brackley und keine komplexen Simulationsmodelle. Sondern nur ein bisschen gesunden Menschenverstand und die F1-Timing-App, die im App-Store 26,99 Euro pro Saison kostet.

Mit diesen Werkzeugen zur Hand war für uns in der Redaktion schon während der 16. Runde sonnenklar: "Wenn Hamilton jetzt an die Box kommt, gewinnt er." Einer unserer Redakteure warf im Chat ein: "Ich verstehe nicht, dass er draußen bleibt." Nun sind wir wahrlich keine Meisterstrategen. Aber dass der Undercut gewinnen würde, das konnte ein Blinder sehen.

Die Übung war ganz leicht: Frische Reifen würden in der Out-Lap nach dem Boxenstopp von Haus aus mindestens eine Sekunde bringen. Da aber Charles Leclerc die ersten 15 Runden lang unerträglich gebummelt hatte, um das Feld nicht auseinanderdriften zu lassen, und danach die Reifen der Topfahrer nachzulassen begannen, wurde der Undercut potenziell immer mächtiger.

Das war nicht schwierig zu lesen. Als Nico Hülkenberg nach seiner Kollision mit Carlos Sainz an die Box kam und freie Fahrt hatte, war er prompt um zwei Sekunden pro Runde schneller als die Spitze. Ab dem Zeitpunkt war klar: Heute muss man sich nur eine Lücke suchen, die es zulässt, nach dem Boxenstopp zumindest ein paar Runden lang freie Fahrt zu haben.

 

So kompliziert war das eigentlich gar nicht ...

27,5 Sekunden verliert man bei einem Boxenstopp in Singapur: Das haben wir nicht etwa mit komplexen Rechenmodellen herausgefunden, sondern der Medieninformation, die die Formel 1 jeden Abend per E-Mail verschickt, entnommen.

Wegen Leclercs Bummelfahrt gingen im Feld zunächst keine Fenster auf. Denn frischere Reifen bringen dem "Undercuttenden" dann nichts, wenn er nach dem Boxenstopp hinter einem Haas oder Williams festhängt.

Aber bereits in Runde 15 hatte Hamilton erstmals über 28 Sekunden Vorsprung auf Romain Grosjean, der zu dem Zeitpunkt an 14. Stelle lag. Zwischen Grosjean und dessen Vordermann Lance Stroll wiederum waren mehr als neun Sekunden Luft - Zeit genug, den Undercut zu exekutieren.

Und selbst wenn: Stroll zu überholen, dessen Papa seine Motoren bei Mercedes einkauft, wäre mutmaßlich kein Dealbreaker geworden.

Am Ende der 15., 16., 17., 18. und 19. Runde ließ Mercedes fünf ganz offensichtliche Chancen ungenutzt, das "Night-Race" zu gewinnen. Denn selbst eine Runde Undercut hätte zu jedem Zeitpunkt gereicht, und Leclerc lag auf der Strecke vor Hamilton, hätte also auf den Boxenstopp frühestens eine Runde später reagieren können.

Das Argument, dass man sich Sorgen um die Haltbarkeit der Reifen machen musste und deshalb nicht zu früh reinkommen konnte, ist eine billige Ausrede. Bei einer Soft-Hard-Strategie, wie Hamilton sie fuhr, würden die Reifen den langen zweiten Stint problemlos überstehen, solange man nicht vor der elften Runde wechseln würde.

 

Schon vor Vettel: Jeder einzelne Undercut ging voll auf

Während Mercedes eine Chance nach der anderen verstreichen ließ, das Rennen zu gewinnen, lieferte die Timing-App immer mehr Indizien dafür, wie mächtig der Undercut sein würde: Daniil Kvyat fuhr in der ersten Runde nach seinem Boxenstopp um 1,9 Sekunden schneller als Leclerc, Perez sogar um 2,1, Räikkönen um 2,5. Da hatte Leclerc sein Tempo schon wieder angezogen. Er konnte nicht schneller.

Im Protokoll unseres Redaktionschats steht zu dem Zeitpunkt: "Vettel gewinnt das Rennen. Das hat ein Blinder gesehen." Und: "Weil sie Bottas zumindest vor Albon haben, können sie den wenigstens bremsen. Also werden sie heute Vierter und Fünfter."

Es sollte genau so kommen, und nach dem taktischen "Brain-Fade" unterlief Wolffs Mercedes-Kommandostand gleich die nächste (diesmal zugegeben subjektive) Fehleinschätzung: Bottas fuhr nach seinem Boxenstopp die bis dahin schnellste Rennrunde, eine Zeit von 1:45.290 Minuten. In seinem Schlepptau fuhr Albon, der ebenfalls schon Reifen gewechselt hatte.

Der Vorsprung von Hamilton auf dieses Duo betrug zu dem Zeitpunkt 29,4 Sekunden - und wurde mit jeder Runde um 3,5 Sekunden kleiner. Also erging ein Funkspruch an Bottas: "Ziel 47.9", hieß es zunächst. Und wenig später: "Valtteri, hier ist James. Könntest du bitte 48.8 fahren?" Also um dreieinhalb Sekunden langsamer!

Bottas wollte dann wissen, ob die Idee dahinter sei, die Reifen sicher bis ins Ziel zu bringen. Das bejahte sein Renningenieur - und erwähnte beiläufig, dass man "als Team arbeiten" müsse. Bottas dämmerte da schon, was wirklich hinter dem Einbremsversuch steckte: "Wann kommt er rein?"

Als Hamilton gerade an die Box abbog, wurde Bottas nochmal gebeten: "Wir brauchen ein bisschen mehr!" Worauf der, das kann man dank F1 TV wunderbar rekonstruieren, fast schon peinlich früh vom Gas ging, um nur ja keine Position zu gewinnen.

 

Nackenschlag für Bottas im teaminternen WM-Kampf

Es muss ein ganz übler Nackenschlag für Bottas sein, mitten im WM-Kampf ausgerechnet gegen den WM-Gegner nicht frei racen zu dürfen.

Stimmt schon: Ohne Bottas' Hilfe wäre Mercedes in Singapur nicht Vierter (Hamilton) und Fünfter (Bottas) geworden, sondern Vierter (Bottas) und Sechster (Hamilton) - aber rechtfertigen diese zwei Punkte wirklich, einen WM-Kandidaten wissentlich gegenüber seinem allerschärfsten Gegner einzubremsen?

Als Mercedes-Verteidigung sei eingeworfen: Bottas wusste ganz genau, was er da tat. Als Hamilton hauchdünn vor ihm aus der Box fuhr, teilte er dem Kommandostand gelassen mit: "Gern geschehen." Und Chefstratege James Vowles bedankte sich: "Danke, Valtteri. Und jetzt lass uns dieses Rennen gemeinsam gewinnen!"

Wobei mit "gewinnen" gemeint war, den vierten Platz zu holen, und mit "gemeinsam" Hamilton.

Immerhin hat Singapur aus Mercedes-Sicht auch etwas Positives: Wenn das Auto einmal lief, war es das schnellste im Feld. Hamilton hat nun 96 Punkte Vorsprung auf den bestplatzierten Nicht-Mercedes-Gegner, und es sind nur noch sechs Rennen zu fahren. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern nur wann er zum sechsten Mal Weltmeister wird. Und Bottas scheint nicht weiter sauer zu sein, obwohl er eigentlich allen Grund dazu hätte.

"Es ist vielleicht mal gut, eine gesunde Watschn zu bekommen", meinte Toto Wolff nach dem Rennen.

Eine der wenigen Aussagen, mit denen er gestern Abend nicht daneben lag ...

Christian Nimmervoll

P.S.: "Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" fand jahrelang jeden Montag auf unseren Portalen Formel1.de und Motorsport-Total.com statt. 2019 ist sie umgezogen zu de.motorsport.com. Auf unseren Schwesterportalen erfahren Sie stattdessen, "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat". Diesmal, findet Ruben Zimmermann, Ferrari-Teamchef Mattia Binotto.

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