Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Nico Hülkenberg
Andreas Seidl ist weg, im VW-Konzern herrscht Unruhe und Sauber fährt hinterher: Wird Audi ganz und gar nicht so, wie sich Nico Hülkenberg das vorgestellt hat?
Wird das bei Audi so, wie sich Nico Hülkenberg das vorgestellt hat?
Foto: Motorsport
Liebe Leserinnen und Leser,
mir ist schon klar, dass Nico Hülkenberg nicht der Typ ist, der schlecht schläft, weil er so viel grübeln muss. Ich kenne ihn nicht gut, aber ich schätze ihn als recht gelassenen Zeitgenossen ein, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Schon gar nicht nach Singapur, einem weiteren Wochenende, an dem er mit dem Haas auf herausragendem sportlichen Niveau performt hat. Eine Woche nach Baku, wo sich in Ingolstadt der eine oder andere vielleicht gefragt hat: "Warum ist dieser Bearman eigentlich auf Anhieb genauso schnell wie unser Nico Hülkenberg?"
Und trotzdem ist es der Blick auf die Ergebnisliste, der ihm Unbehagen bereiten könnte, wäre er nicht ganz so cool, wie er es nun mal ist.
Nicht wegen des neunten Platzes im Rennen, vor zum Beispiel einem Red Bull und einem Aston Martin. Hülkenberg liefert halt, heimlich, still und leise, und er zelebriert seine Leistungen in den Interviews danach nicht ganz so selbstherrlich, wie das ein Fernando Alonso regelmäßig tut. Ist nicht sein Stil, und das finde ich recht sympathisch so.
Aber wenn er weiter nach unten schaut, sieht er Guanyu Zhou auf Platz 15 und Valtteri Bottas auf Platz 16, in jenem Sauber, in dem er nächstes Jahr sitzen wird. Zehn Sekunden hinter Lance Stroll und hauchdünn vor Pierre Gasly, der von Alpine geopfert wurde, um Esteban Ocons Rennen zu supporten.
Und nur deswegen vor Daniel Ricciardo, weil dessen Racing-Bulls-Team Lando Norris den Bonuspunkt für die schnellste Runde entreißen musste, um Max Verstappen dabei zu helfen, Weltmeister zu werden. Wahrscheinlich im vorauseilenden Gehorsam und ohne konkrete Handlungsanweisung von Christian Horner.
Im Qualifying am Samstag war Bottas 19. und Zhou 20., im Q1 um fast eine Sekunde hinter Hülkenberg im Haas. Keine Frage, Hülkenberg ist mit der modernen "Ground-Effect-Generation" der Formel 1 sicher ein schnellerer Fahrer als die beiden Sauber-Kutscher. Aber fast eine Sekunde schneller als Bottas? Das muss auch was mit dem Auto zu tun haben.
Was sich bei Sauber-Audi verändert hat
Eigentlich ist es paradox: Hülkenberg unterschreibt einen mutmaßlich recht lukrativen Vertrag mit einem großen Hersteller, im Spätherbst einer Karriere, die schon längst zu Ende schien. Doch während sein vermeintlich chronisch unterfinanzierter Noch-Arbeitgeber Haas unter Neo-Teamchef Ayao Komatsu richtig gute Schritte in Richtung vorderes Mittelfeld macht, geht's bei Sauber(-Audi) gefühlt immer weiter rückwärts.
Dazu kommt: Die Männer, die entschieden haben, ihn zu holen, sind nicht mehr da. Das waren Andreas Seidl und Oliver Hoffmann. Und der Mann, der Audi gegen interne Widerstände unbedingt in die Formel 1 bringen wollte und das letztendlich auch geschafft hat, nämlich Markus Duesmann, wurde ebenfalls gefeuert.
Und auch wenn Mattia Binotto, der neue Chef des Audi-Projekts, sicher ein fähiger Teamleader ist: Ob es wirklich richtig war, sich von Seidl zu trennen, wird die Zukunft erst zeigen.
Seidl: Ein Grund für Hülkenbergs Unterschrift
Seidl war von 2000 bis 2009 schon einmal in der Formel 1 tätig, damals noch nicht an vorderster Front, bei BMW. 2019 kam er als McLaren-Teamchef zurück, und im Paddock wird bis heute gemunkelt, dass sich Toto Wolff damals auch ganz gut vorstellen konnte, ihn als designierten Nachfolger für das operative Tagesgeschäft zu Mercedes zu holen.
Seidl kam, sah und siegte: Seine ersten Amtshandlungen waren, Fernando Alonso und damit einhergehend alte "bad Vibes" zu entfernen - und den Shareholdern die nötigen Investments abzuringen, die McLaren langfristig wieder auf die Siegerstraße bringen sollten. Und auch ganz kurzfristig stellte sich sportlicher Erfolg ein. Viel schneller als gedacht.
Dann lief 2022 nicht ganz nach Wunsch, Audi lockte mit einem hochgradig attraktiven Angebot, und so landete er zum zweiten Mal in Hinwil. Diesmal als Chef.
Bei Porsche gemeinsam erfolgreich: Andreas Seidl und Nico Hülkenberg
Foto: Porsche
Sein bis dahin hohes Ansehen litt plötzlich drunter, dass McLaren nach seinem Abgang mit einem Auto, das noch unter seiner Verantwortung entstanden ist, weiter rückwärts fuhr und Anfang 2023 schockierend großen Rückstand hatte. Und erst als das neue Management seines Nachfolgers Andrea Stella Hand anlegen konnte, schlug McLaren stärker denn je zurück. Die Story vom Österreich-Update und was danach alles passiert ist, muss ich hier ja niemandem mehr erklären.
Welche Rolle wir dabei gespielt haben
Dann gab uns Zak Brown im September 2023 auch noch ein für Seidl eher unvorteilhaftes Interview, das, so habe ich das gehört, bei denen bei Audi die Runde gemacht hat, die eher nicht Team Seidl waren. Nach dem Motto: "Schaut her, ist der Seidl vielleicht doch nicht der Wunderwuzzi, für den ihr ihn gehalten habt?"
Dass Brown vielleicht auch ein bisschen nachtreten wollte und sogar Andrea Stella in einem weiteren Interview mit uns, im Juli 2024, klargestellt hat, wie viel Seidl in den aktuellen McLaren-Erfolgen steckt, das konnte das ramponierte Image des Passauers nicht mehr retten. Zumal die von ihm eingeleiteten Maßnahmen, um die viel zu langsamen Boxenstopps des Sauber-Teams schneller zu machen, so, wie er das einst bei McLaren geschafft hatte, zumindest kurzfristig mal ein fürchterlicher Schuss in den Ofen waren.
Es kam jetzt alles zusammen: die miserablen Boxenstopps, die aufsteigende Form von McLaren, seit er dort weg war, und dass bei Sauber sportlich nichts voranging.
Juni bis Dezember 2023: Verlorene Monate
Kein Wunder, wurden doch alle Weichen auf 2026 gestellt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Seidl übertriebenes Interesse dran hatte, schon jetzt sportlich zu glänzen. Die Weichenstellungen im Hintergrund waren das, was ihm viel wichtiger war.
Aber bei denen waren ihm die Hände gebunden. Nach der Entmachtung von Audi-Chef Markus Duesmann im Juni 2023 herrschte wieder monatelang Unklarheit darüber, ob es nun weitergeht mit dem Formel-1-Programm - und wenn ja wie. Zweifel, die medial monatelang Schlagzeilen machten. Und der neue Chef, Gernot Döllner, wartete viel zu lang mit einem klaren Bekenntnis zum Grand-Prix-Engagement.
Monate, in denen es fast unmöglich war, jenes Personal anzuheuern, das notwendig war, um Sauber auf den großen Auftritt als Audi vorzubereiten. Ich kann mir gut vorstellen, was Seidl als Antwort zu hören bekam, als er mit erstklassigen Kandidaten von anderen Teams sprach: "Die Pläne klingen ja alle super, Andreas - aber gehe ich wirklich zum Werksteam Audi oder am Ende doch nur zum unterfinanzierten Privatteam Sauber, wenn ich bei dir unterschreibe?"
Das war wahrscheinlich auch im Fall Carlos Sainz so. Es gibt nicht wenige, die glauben, dass der Ferrari-Star schon im Frühjahr unterschrieben hätte, wenn die monatelange Hängepartie im vergangenen Winter nicht gewesen wäre. Vater Carlos sen. hielt die Tür für einen Wechsel bis zum Schluss offen. Aber irgendwann war Carlos jun. zu genervt und setzte seinen Haken bei Williams.
Und dann kam noch dazu, dass die Investments, für die Seidl hinter den Kulissen verbissen kämpfte, monatelang nicht flossen, weil Audi erst nicht bereit war, Finn Rausing ganz rauszukaufen. Als das erledigt war und die Fesseln, die man Seidl und seinem Team angelegt hatte, endlich weg waren, wurde er rausgeschmissen.
Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich glaube, mit Mattia Binotto hat Audi einen guten Fang gemacht. Aber es wäre auch sehr gescheit gewesen, Seidl einfach arbeiten zu lassen. Jetzt hätte er endlich die Gelegenheit dazu gehabt, Nägeln mit Köpfen zu machen und seine Pläne umzusetzen.
Wie lang wird Audi brauchen, um Erfolg zu haben?
Audi hat auf dem Weg in die Formel 1 wichtige Monate in der Aufbauphase verplempert, die jetzt fehlen werden, wenn es drum geht, möglichst rasch erfolgreich zu werden. 2026 schon von Podestplätzen zu träumen, ist wahrscheinlich völlige Utopie. Und als Döllner und Binotto in Monza gut eine halbe Stunde lang, weitgehend mit inhaltsleeren PR-Sprechblasen, drüber referierten, wie sie sich die Zukunft von Audi in der Formel 1 vorstellen, machten sie um konkrete Zeitpläne, an denen man sie messen könnte, einen weiten Bogen.
Gernot Döllner und Mattia Binotto bei ihrer Pressekonferenz in Monza
Foto: Motorsport Images
Seidl war für Hülkenberg ein ganz wichtiger Grund, zu Audi zu kommen. Die beiden hatten 2015 gemeinsam Le Mans gewonnen, auf Porsche. Vielleicht war Seidl und Audi von Anfang an zum Scheitern verdammt. Porsche-Leute haben bei Audi einen schweren Stand, und umgekehrt. Obwohl beide Marken zum gleichen Konzern gehören.
VW-Konzern hat jetzt andere Sorgen als die Formel 1
Der übrigens im Moment ganz andere Sorgen hat als sein Formel-1-Programm. Die Marke Volkswagen ist in arge finanzielle Schieflage geraten. Allein in Deutschland könnten 30.000 VW-Jobs gestrichen werden.
Das muss nicht zwingend den ganzen Konzern ins Wanken bringen, und schon gar nicht muss das Audi direkt betreffen. Aber Audi hat mit dem China-Geschäft seine ganz eigenen Sorgen, und die ganz hohen Tiere im Konzern haben im Moment sicher andere Agenden als sich mit der kleinen Bastelbude in Hinwil auseinanderzusetzen.
Es scheint Nico Hülkenberg irgendwie zu verfolgen, immer zur falschen Zeit im richtigen Team anzukommen. Sein erstes Team Williams fuhr Mitte der 2000er noch um Weltmeisterschaften, war aber 2010 nur noch ein Schatten seiner selbst. Dann kam mit Renault endlich der erste große Vertrag, aber dem damals angekündigten Fünfjahresplan fahren die Franzosen heute noch hinterher.
Irgendwann dazwischen war's mal mit Ferrari ziemlich konkret, aber das hat irgendwie nicht geklappt. Und als jetzt der Audi-Deal kam, dachten viele - auch ich -, dass einem der größten Fahrtalente der Formel 1 im Spätherbst seiner Karriere doch noch die Gerechtigkeit widerfahren würde, die ihn wenn schon nicht zum Weltmeister oder Grand-Prix-Sieger, dann doch zumindest zum Podiumseroberer machen würde.
Nicht, dass meine Meinung für irgendjemanden der Entscheider auch nur die geringste Relevanz hätte, und für Hülkenberg selbst wahrscheinlich auch nicht. Aber wenn ich mir so anschaue, wie das gelaufen ist, seit Audi den Einstieg verkündet hat, gewinne ich nicht den Eindruck, dass das alles so klappen wird, wie sich Hülkenberg das vorgestellt hat, als sein Vertrag unterschrieben wurde.
Ich hoffe, dass ich mich irre. Und wenn nicht, dann kann er ja nach zwei richtig gut bezahlten Jahren finanziell abgesichert in Rente gehen und sich um seine junge Familie kümmern. Ein Worst-Case-Szenario, mit dem Hülkenberg wahrscheinlich ganz gut leben kann.
Euer
Christian Nimmervoll
Hinweis: Ihr wollt mehr Formel-1-Content mit "Nimmervoll-Handschrift" lesen? Das geht zum Beispiel in meinem neuen Buch "Grand Prix Storys - Hinter den Kulissen der Formel 1", oder auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Denn es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine rein subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern dort mit mir ausdiskutieren!
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