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Kolumne

Kommentar zum Fall Daniel Abt: "Haben die noch alle Tassen im Schrank?"

Nach dem Statement von Daniel Abt zu seiner Suspendierung: Wie aus einem lustigen Bubenstreich a la Joko & Klaas ein Formel-E-Skandal und PR-Debakel für Audi wurde

Liebe Leser,

meine erste Reaktion, als ich, inhaltlich normalerweise auf die Formel 1 spezialisiert, vom Fall Daniel Abt und seiner anschließenden Suspendierung durch Audi erfahren habe, war: "Haben die noch alle Tassen im Schrank?" Und ich meinte damit nicht Abt und den "Komplizen", den er bei seiner in diesen Tagen heiß diskutierten Aktion in der virtuellen Race-at-Home-Challenge der Formel E an seiner Stelle hat fahren lassen. Sondern ich meinte damit Audi.

Ich habe meine Meinung seither nicht geändert. Aber der Reihe nach ...

Die Race-at-Home-Challenge ist der gut gemeinte Versuch, den Fans in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, in der echter Motorsport mit echten Autos und echten Fahrern auf echten Strecken nicht möglich ist, etwas Unterhaltung zu bieten. Genau wie die Formel 1 fährt auch die Formel E virtuelle "Autorennen", die live gestreamt werden und ein Ersatzprogramm darstellen sollen.

Race-at-Home-Challenge: Was ist das eigentlich?

Angenehmer Nebeneffekt: Die engagierten Hersteller haben so wenigstens ein bisschen Medienpräsenz, und man kann den Sponsoren, die für ihr Geld sonst nichts bekommen würden, immerhin irgendeine Plattform bieten.

Das machen auch andere Rennserien so. Die Formel 1 ist ein Beispiel. Die 24 Stunden von Le Mans sind ein anderes. Und eben die Formel E.

 

Mit professionellem Sim-Racing oder gar echtem Rennfahren hat das, was uns da in regelmäßigen Abständen in diversen Livestreams aufgetischt wird, aber nichts zu tun. Wirklich rein gar nichts. Die virtuellen Rennen werden in der Regel ohne Schadensmodell in einem Arcade-Modus gefahren, was dazu führt, dass sie eher an ein "Demolition-Derby" erinnern als an einen ernst gemeinten Versuch, den besten Sim-Racer unter den echten Racern zu identifizieren.

Das ist bei der Formel E nicht anders als bei den virtuellen Grands Prix der Formel 1. Ich verwende für die virtuellen Veranstaltungen bewusst das abwertende Label "Computerspiel". Denn für professionelle Sim-Racer (ja, damit kann man heutzutage Geld verdienen!) wäre es eine Beleidigung, die Events mit virtuellen Autos, aber Rennfahrer-Stars aus Fleisch und Blut als etwas anderes zu bezeichnen.

Max Verstappen: Was er von den offiziellen Sim-Events hält

Max Verstappen hatte den Mut, genau das offen auszusprechen. Er verweigert bis heute die Teilnahme an den virtuellen Grands Prix der Formel 1 und turnt stattdessen bei anderen Sim-Events rum wie etwa dem virtuellen Porsche-Supercup oder weniger öffentlichen Rennen auf der Plattform iRacing.

Andere, Daniel Abt gehört dazu, dachten sich zwar das Gleiche wie der Formel-1-Star von Red Bull. Sie spielten das Spielchen aber mit, schließlich helfen sie damit ihrem Arbeitgeber in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit und tun obendrein, zumindest im Fall der Race-at-Home-Challenge, auch noch was für den guten Zweck. Preisgelder oder Pokale gibt's schließlich nicht. Spenden aber schon.

 

Vor dem "virtuellen Heimrennen" in Berlin kam Abt bei einer privaten Verabredung mit echten Sim-Racern eine pfiffige Idee: Er könnte doch bei der nächsten Race-at-Home-Challenge nur so tun, als würde er selbst fahren - und stattdessen einen professionellen Sim-Racer unter seinem Namen antreten lassen. Hinterher würde man ein Video drehen, den Streich aufklären und sich über die herzhaften Lacher der Community und hunderttausende YouTube-Klicks freuen.

Schließlich ist die Race-at-Home-Challenge ohnehin eine nicht ernstzunehmende Spaßveranstaltung, bei der es nichts zu gewinnen gibt. Niemand würde zu Schaden kommen. Wenn überhaupt würde man mit so einem "Prank" (so nennen das die jungen Menschen neudeutsch) viral viele Menschen erreichen, die sich sonst gar nicht groß für das Thema interessieren. Denn ich kenne ehrlich gesagt niemanden, der von der Race-at-Home-Challenge sonst groß Notiz nehmen würde.

Wie Joko & Klaas bei der "Goldenen Kamera"

Ich strapaziere ein Beispiel: In meinem ganzen Leben habe ich noch nie die "Goldene Kamera" geschaut. Als Joko & Klaas aber einen (nicht besonders echt aussehenden) Ryan-Gosling-Doppelgänger dort einschleusten, machte das im großen Stil Schlagzeilen. Und ich zog mir nicht nur das "Prank"-Video selbst rein, sondern sogar das Making-of. Eine geile Aktion, über die Deutschland ein paar Tage lang gelacht hat und bei der in Wahrheit, sind wir mal ganz ehrlich, niemand nachhaltig zu Schaden gekommen ist.

Dass so eine Aktion geplant war, hat Abt erst am Dienstagabend in einem YouTube-Statement aufgeklärt. Da hatte er schon 10.000 Euro freiwillige Strafe für einen guten Zweck gespendet und war von Audi suspendiert worden. Sein Audi-Werksvertrag wäre am Saisonende ohnehin ausgelaufen. Es ist ziemlich offensichtlich, dass man aus dem Bubenstreich einen Vorwand konstruiert hat, um ihn vorzeitig abschießen zu können.

 

Man hört, dass Teamchef Allan McNish einer der Treiber hinter der Aktion war. Nicht der einzige. Im offiziellen Statement von Audi zur Suspendierung heißt es, dass Werte wie "Integrität, Transparenz und die konsequente Einhaltung geltender Regeln" für die Marke oberste Priorität haben. "Gerade im Hinblick auf die Vergangenheit."

Das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich. Audi ist wahrlich keine der Marken, die beim Brainstorming unter Motorsport-Fans zuallererst genannt wird, wenn Themen wie "Integrität" und "Transparenz" auf der Tafel stehen.

Audi: "Schieb ihn raus!" geht, ein YouTube-Spaß nicht

Audi ist die Marke, bei der man seine Karriere trotz "Schieb-ihn-raus!"-Befehl nach einer im Verhältnis zum Tatbestand kosmetischen Sanktion fortsetzen kann. Und Volkswagen ein Konzern, in der sich Manager von "Dieselgate"-Vorwürfen mit Millionenzahlungen, die ihnen dank der großzügigen Boni vorangegangener Jahre nicht besonders wehtun, aus ihrer Verantwortung stehlen und weitermachen können.

Wenn aber ein kleiner Rennfahrer aus dem Allgäu auf die Idee kommt, man könnte ein sonst stinklangweiliges Computerspiel-Event mit einer wirklich witzigen Aktion etwas aufpeppen, dann, ganz klar, dann ist es "alternativlos" (Zitat Audi), dessen Vertrag sofort zu kündigen und möglicherweise seine Rennfahrer-Karriere zu zerstören. Die Herren Diess und Pötsch werden aufatmen, dass bei ihnen nicht der gleiche moralische Maßstab angelegt wird!

 

Dabei ist Audi eine in der Selbstwahrnehmung tolle und tolerante Marke, die von sich behauptet: "Wir stehen zu einer offenen Fehlerkultur." Abts geplanter "Prank" sei aber kein Fehler gewesen, "sondern die bewusste Entscheidung, gegen die Regeln zu handeln. Das macht für uns den großen Unterschied."

Liebe Audi-Entscheider: Dass ihr Joko & Klaas noch nie gesehen habt, gut, das kann ich bei den angegrauten Altersstrukturen in den höheren Ebenen solcher Konzerne ja noch halbwegs nachvollziehen. Aber Guido Cantz vielleicht, "Die versteckte Kamera"?

Nachgeprüft: Sagt Abt wirklich die Wahrheit?

Zugegeben: Am Abt-Video von Dienstag hat mich im ersten Moment etwas irritiert. Warum, dachte ich mir, rückt der Junge erst jetzt mit dieser "Prank"-Nummer raus? Hätte er das gleich gesagt und sich so erklärt, hätte doch niemand mit halbwegs gesundem Menschenverstand seine Karriere zerstört?

Sollte man meinen.

 

Ein paar Anrufe später bin ich schlauer. Abts "Prank"-Version erscheint glaubwürdig. Es gibt mehrere Zeugen dafür, dass die Aktion von langer Hand geplant war und später mit einem lustigen Video (sowas dauert halt ein paar Tage) aufgeklärt werden hätte sollen. Nicht nur den Komplizen aus der Sim-Racer-Szene, sondern mehrere weitere Sim-Racer, die eingeweiht waren und die Absprache mitbekommen haben. Das habe ich für diesen Kommentar gründlich recherchiert und überprüft.

Und auch Audi kann man nicht damit in Schutz nehmen, dass Abt mit seinem "Prank" nicht rausgerückt wäre. Der 27-Jährige schwört, dass er mit der Nummer gleich ausgepackt hat, als er deswegen kontaktiert und zur Rede gestellt wurde. Aber das wollte niemand hören.

Man wollte Abt ohnehin loswerden, und mit dieser Aktion hatte man endlich einen (vermeintlich) guten Grund, ihn zu feuern, zu diskreditieren und ihm auch noch, vor den Augen der breitesten Öffentlichkeit, die die sonst moderat interessierende Formel E je hatte (das belegen unsere Zugriffszahlen ganz eindeutig), richtig eine in den Bauch zu treten.

Audi: Entscheidung ist nicht zu verteidigen

Bei meinen Recherchen für diesen Kommentar habe ich ehrlich nach Argumenten gesucht, wie man Audi für die völlig überzogene Reaktion verteidigen könnte.

Ich habe keine gefunden.

 

Was man allerdings sagen muss: Nicht alle bei Audi Sport haben den Verstand verloren. Bei einigen stehen die Tassen noch heil im Schrank. Aber die, die über den Fall Abt zu entscheiden hatten, haben es bravourös geschafft, das ohnehin angekratzte Image der Marke in einer Zeit, in der nicht einmal Rennen gefahren werden, weiter zu beschädigen.

Keine guten Zeiten für die vier Ringe. In der Motorsport-Öffentlichkeit steht man ohnehin schon wie der Totengräber der DTM da. Ob das nun eine berechtigte Wahrnehmung ist oder nicht, das ist ein anderes Thema. Die großen Fische, die Wolfgang Ullrichs dieser Welt, die kommen bei Audi offenbar mit einem blauen Auge davon. Aber die kleinen Fische, die Daniel Abts, die werden gnadenlos fertiggemacht.

Nur gut, dass das nicht nur ich so sehe.

Was auch möglich gewesen wäre

Man hätte den Fall Abt auch ganz anders abwickeln können. Wenn man schon Spaßbremse sein möchte, dann bleibt man bei den 10.000 Euro Strafe für den guten Zweck. Das hilft Menschen, die das Geld brauchen, und tut jemandem wie Abt nicht weiter weh.

 

Man hätte über die Aktion lachen, das geplante Video über alle Channels der Formel E und Audi viral gehen lassen können. Viel, viel mehr Menschen hätten sich dafür interessiert als für alle Rennen der Race-at-Home-Challenge zusammen. Die Fans hätten gelacht, die Nicht-Fans auch - und vielleicht wäre der eine oder andere sogar bei der Formel E hängen geblieben.

Man hat es anders abgewickelt. Und zur Verteidigung der Formel E sei gesagt: Während Audi nicht einen Funken Humor oder Gnade gezeigt hat, hat Alejandro Agag Größe bewiesen. Er hat Abt eine SMS geschrieben, als einer der Ersten, und ihn aufgemuntert. Wenn er etwas braucht, solle er sich melden.

Auch ein Weg, damit umzugehen.

Ihr

Christian Nimmervoll

PS: Folgen Sie mir oder meinen Kollegen auf Twitter unter @MST_ChristianN!

Mit Bildmaterial von Daniel Abt (YouTube).

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