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Deutschland

Reifenwärmer-Verbot ab 2023: Neuer Ärger am Nürburgring

Die 24h Nürburgring wollen ab 2023 ein Verbot von Reifenwärmern durchdrücken - Das stößt aber auf Ablehnung - Nachhaltigkeit auf Kosten der Sicherheit?

"Ab 2023 ist das Heizen beziehungsweise Aufwärmen der Reifen mittels Heizdecken, Heizgebläsen o.ä. während der gesamten Veranstaltung nicht erlaubt." - Mit dieser Anmerkung in Absatz 32.3 der Ausschreibung für das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring 2022 stößt der ADAC Nordrhein verschiedene Stakeholder am Nürburgring gleichzeitig vor den Kopf.

Obschon mehrere Vertreter, darunter vom 24-Stunden-Rennen, noch am Tag der Ausschreibung 'Motorsport.com Deutschland' versichert haben, dass das Thema "heißer gekocht wird, als es eigentlich ist", überraschte der ADAC Nordrhein mit dieser Ankündigung. Nicht, weil es nicht diskutiert worden wäre. Sondern deshalb, weil es viele Gegenstimmen gegeben hat und weiterhin gibt.

Was ist aber nun der Beweggrund, warum so vorprescht wird? Der Grund ist das Thema Nachhaltigkeit. Der ADAC Nordrhein versucht, sein Rennen aus der Schusslinie von Umweltaktivisten zu nehmen und pocht deshalb auf diese Maßnahme.

"In vielen Rennserien vom Tourenwagen- bis zum GT3-Sport sind Heizdecken seit Jahren verboten. Insbesondere in einer Zeit, in der wir unseren Sport Schritt für Schritt nachhaltiger machen wollen, ist ein aufwendiges Heizprozedere auf Dauer nur noch schwer vermittelbar", sagt Rennleiter Walter Hornung gegenüber 'Motorsport.com Deutschland'.

"Daher werden wir bei den 24 Stunden vom Nürburgring und den 24h-Qualifiers ab 2023 das Vorheizen von Reifen verbieten."

Der Aufschrei ist groß, bei vielen Stakeholdern. Es gilt, eine zentrale Frage zu beantworten: Ist die Nachhaltigkeit nun so viel wert, dass dafür Sicherheit geopfert werden muss? Und wie nachhaltig ist diese Methode wirklich?

Null Grip führt zu Unfällen

'Motorsport.com Deutschland' sprach mit verschiedenen Teamchefs, Reifenvertretern, ILN und VLN, Veranstalter der Nürburgrings-Langstrecken-Serie (NLS), die an diesem Wochenende beginnt. Fürsprecher für die neue Maßnahme gibt es kaum.

"Das ist äußerst gefährlich. Wir riskieren schwere Unfälle, die die weitere Existenz des Motorsports auf der Nürburgring-Nordschleife gefährden könnten", sagt Black-Falcon-Geschäftsführer Alex Böhm, VLN-Meister der Jahre 2008 und 2009. "Nach so vielen Fortschritten bei der Sicherheit in den vergangenen Jahren machen wir jetzt so einen Rückschritt."

Die Temperaturen beim 24h-Rennen können winterlich sein

Die Temperaturen beim 24h-Rennen können winterlich sein

Foto: Alexander Trienitz

Was ist das Problem? Vor allem die Nacht beim 24-Stunden-Rennen. Es kann vorkommen, dass die Temperaturen nahe am Gefrierpunkt liegen. Ist die Luft dann auch noch feucht oder vielleicht noch Restfeuchtigkeit auf der Fahrbahn vorhanden, der Einsatz von Regenreifen aber nicht mehr zu verantworten, kann es schnell zu Problemen kommen, die Reifen auch nur ansatzweise ins Arbeitsfenster zu kriegen.

Volker Strycek, Technikchef in der VLN, erklärt: "Jeder, der schon einmal einen Fronttriebler mit einer Gewichtsverteilung von 60:40 oder sogar noch schlimmer gefahren ist, weiß, wie schwierig es ist, mit Reifen auf der Hinterachse zu fahren, die noch nicht ihr optimales Arbeitsfenster erreicht haben." Diese warm zu kriegen, ist bei kaltem Asphalt nur durch heftigstes Wedeln möglich.

Das ist im Rennen einerseits nicht zu verantworten. Und andererseits handelt es sich in den wenigsten Fällen um Profifahrer. Ein Amateur traut sich manchmal gar nicht erst, in den Bereich vorzustoßen, in dem das Heck auszubrechen beginnt. Und selbst wenn, kann es schnell in einem Dreher enden. Bei Dunkelheit in einer blinden Kurve eingangs der Nordschleife.

"In leichte Autos mit breiten Reifen bekommt ein Amateur [bei Bedingungen rund um den Gefrierpunkt] einfach keine Temperatur", sagt Böhm und verweist auf die Einstellfahrten am vergangenen Wochenende, als selbst Profifahrer ihre Mühe hatten, die Reifen ins Fenster zu bekommen. "Das sorgt für enorme Geschwindigkeitsunterschiede."

Gerade an Stellen, die kaum einzusehen sind, könne das zu gefährlichen Situationen führen. Ein Beispiel: Mit eiskalten Reifen, die noch nicht auf Temperatur sind (und die der Amateurfahrer nicht auf Temperatur bekommt), kann es passieren, dass Geschwindigkeitsunterschiede am Streckenabschnitt Flugplatz von weit über 100 km/h zustande kommen, wenn ein GT3 mit vollem Renntempo angeschossen kommt. Ein schwerer Unfall wäre vorprogrammiert.

Wie eklatant die Geschwindigkeitsunterschiede sein können, wenn eiskalte Reifen auf den Autos montiert sind, zeigen regelmäßig die Rennen der japanischen Super GT. Autos, die gerade aus der Box kommen, scheinen für den Zuschauer förmlich zu stehen die Rennen gibt es frei auf Youtube zu sehen, zum Beispiel hier.

Ist das wirklich nachhaltig?

Auch bleibt die Frage, ob der Energieverbrauch durch diese Maßnahme wirklich reduziert wird. Denn verglichen mit dem Energieaufwand, den das gesamte Rennen braucht, ist das Vorheizen der Reifen fast zu vernachlässigen. Heizdecken kommen schnell auf Temperatur und müssen diese danach nur noch halten.

Manche Teams verwenden Heizöfen, in denen zahlreiche Reifen vorgeheizt werden. Diese Öfen dienen häufig auch dazu, ein Zelt zu beheizen. Und werden von frierenden Fans nur allzu gern zum Aufwärmen genutzt. Sollten die Öfen verboten werden, würden die Teams die Zelte mit einer anderen Wärmequelle beheizen, etwa durch das Verbrennen von (aktuell kostbarem) Gas.

Und in den Trainingssitzungen kann davon ausgegangen werden, dass die Teams zusätzliche Runden auf dem Grand-Prix-Kurs fahren werden, bis die Reifen ihr Arbeitsfenster erreicht haben. Bei kalten Temperaturen können das gut und gern fünf oder sechs Runden auf dem Grand-Prix-Kurs sein, die dann zusätzlich gefahren werden, womit jeglicher Nachhaltigkeitsgedanke konterkariert wird.

Die Teamvereinigung ILN (Interessengemeinschaft Langstrecke Nürburgring), die das Thema bereits Ende Januar - wie sich nun herausgestellt hat, zu Recht - an die Öffentlichkeit getragen hat, macht bereits einen Vorschlag.

"Der Stromverbrauch, der durch die Heizdecken anfällt, kann zum Beispiel durch regenerative Energiegewinnung egalisiert werden - entsprechende Flächen rund um den Nürburgring gibt es hierzu genügend", sagt der ILN-Vorsitzende Martin Rosorius. Allerdings würde das Investitionen seitens des Nürburgrings erfordern, der aktuell bereits Millionenbeträge in Digitalisierung und Neuasphaltierungen steckt.

Gefahren des zu geringen Reifendrucks

Es gibt eine zweite Gefahrenquelle. Rennreifen funktionieren in einem Arbeitsfenster von 1,8 bis zwei bar Reifendruck am besten - bei ihrer Betriebstemperatur von knapp 100 Grad. Das bedeutet Kaltluftdrücke von 1,1 bar und in Einzelfällen noch weniger.

Mit dermaßen geringem Druck in einen Stint zu gehen, birgt Gefahren. Es dauert mindestens zehn, je nach Wetter bis zu 25 Kilometer, bis der Druck vollends aufgebaut ist. Mit so geringem Luftdruck auf die Nordschleife mit all ihren Kompressionen und Sprüngen zu gehen, ist äußerst gefährlich.

Die erste heikle Stelle ist die Veedol-Schikane am Ende des Grand-Prix-Kurses. Hier werden die Randsteine hart mitgenommen. Dasselbe geschieht im Hatzenbach in der vorletzten Rechtskurve. An der Quddelbacher Höhe folgt die erste Kompression, dann der Flugplatz-Kuppe, anschließend Kompression-Kuppe-Einlenken über Kuppe im Schwedenkreuz, und schließlich die Mutter aller Kompressionen in der Fuchsröhre.

Heizdecken wären auf der Nordschleife nicht nur Reifen

Heizdecken wären auf der Nordschleife nicht nur Reifen

Foto: Alexander Trienitz

Vor allem bei kalten Temperaturen, einem zaghaften Fahrer und Code-60-Zonen auf dem Grand-Prix-Kurs und/oder den ersten Nordschleifen-Kilometern droht in den Kompressionen oder beim "Landen" des Fahrzeugs nach einer Kuppe die Struktur des Reifens beschädigt zu werden.

Strycek erläutert, was dann folgt: "Ist die Karkasse vorgeschädigt, merkt man das als Fahrer nicht. Dann kann die Luft sehr schnell unter die Lauffläche geraten, die auf die Karkasse aufvulkanisiert ist. Dann bilden sich durch die hohen Sturzwerte kleine Bläschen. Auch diese spürt man als Fahrer nicht - es gibt weder Vibrationen noch sonstige Anzeichen. Diese Bläschen werden immer größer und platzen irgendwann. Dann haben wir diese massiven Reifenschäden."

So etwas in der Art ist in der 24h Series in Spa 2019 geschehen, als ein Ferrari 488 GT3 sich in der Eau Rouge nach dem Rausfahren aus der Boxengasse die Karkasse beschädigte, weil der Reifen nicht vorgeheizt war. Viele Runden später platzte derselbe Reifen bei 250 km/h auf der Kemmel-Geraden. Seitdem sind Reifenwärmer in dieser Serie erlaubt.

Volker Strycek, der selbst in Sachen Nachhaltigkeit eine führende Rolle im deutschen Motorsport spielt, bezieht klar Stellung: "Das ist ein Sicherheitsrisiko, das ich nicht verantworten kann, und ich werde mich dagegen auflehnen." Wie die VLN reagieren wird, bleibt abzuwarten. Der ADAC Nordrhein erwartet, dass das Verbot für 2023 übernommen wird.

Reifenindustrie fühlt sich übergangen

Wie stehen nun die anderen Parteien dazu? Zunächst einmal wäre da der Deutsche Motor Sport Bund (DMSB). Dieser werde sich der Sache nicht in den Weg stellen, versichert ein Sprecher. Der DMSB hat kürzlich erst eine Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Darin soll unter anderem der Motorsport "glaubhaft nachhaltig" werden.

Eine Stimme im Fahrerlager merkt sarkastisch an: "Was ist wohl nachhaltiger? Reifen vorheizen oder einen Fahrzeug-Totalschaden wiederaufbauen?" Fahrten von und zur Richtbank, der Energieverbrauch der Richtbank selbst, Neuproduktion und Transport von Ersatzteilen und schließlich die mechanischen Arbeiten an sich würden einen wesentlich größeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen.

Nach nur einem Kilometer Nordschleife gibt es den ersten Randstein, der mitgenommen wird

Nach nur einem Kilometer Nordschleife gibt es den ersten Randstein, der mitgenommen wird

Foto: Alexander Trienitz

Dann wären da die Autohersteller. Hornung versichert, diese auf seiner Seite zu haben: Dass das Reifenaufheizen kaum mehr vermittelbar ist, "sehen auch die Automobilhersteller, bei denen nachhaltiges Handeln eine immer größere Rolle spielt, so." Allerdings sind Informationen von 'Motorsport.com Deutschland' zufolge nicht alle Hersteller geschlossen dafür.

Und last but not least wären da die Reifenhersteller. Diese wurden kalt erwischt, als das Thema im November 2021 zum ersten Mal auf den Tisch kam. "Das hat uns sehr verwundert. Sonst wurden solche Maßnahmen immer in Absprache mit uns getroffen. Hier wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt", sagt ein Vertreter der Reifenindustrie.

Die Reifenvertreter hätten daher geschlossen gegen die Maßnahme gestimmt. Dabei ging es tatsächlich bereits darum, das Verbot schon auf 2022 vorzuziehen. Es hat sogar zwischenzeitlich in einem Reglemententwurf für 2022 dringestanden. Die VLN hat aus ihrer Ausschreibung das Verbot komplett rausgestrichen. Beim 24-Stunden-Rennen steht es für 2023 nach wie vor drin.

"Der Zeitpunkt für die Umstellung ist aus unserer Sicht günstig, da ab 2023 eine neue Generation von Reifen eingeführt wird, die deutlich langlebiger sein werden und auf deren spezielle Handhabung die Teams sich sowieso einstellen müssen", sagt Hornung. Die Anzahl der Reifen pro Veranstaltung wird in den Topklassen ab 2023 deutlich reduziert.

Ob alles wirklich so kommt, wird sich zeigen müssen. "Wenn das eingeführt wird, werden wir mit unseren Amateurautos nicht mehr am Rennen teilnehmen", droht Alex Böhm. Andere Teams überlegen Ähnliches. Ob das Verbot der Reifenwärmer wirklich zu halten ist, wird sich zeigen müssen.

Mit Bildmaterial von Alexander Trienitz.

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