IMSA/WEC-Kolumne: Sieg des gesunden Menschenverstandes
Heiko Stritzke freut sich über eine potenziell goldene Sportwagendekade - Welche Implikationen die gemeinsame Topklasse für WEC und IMSA hat
Liebe Fans großer Sportwagenfelder,
es ist wohl keine Übertreibung, wenn IMSA-Präsident John Doonan von einem der wichtigsten Tage aller Zeiten für den Sportwagensport spricht. Die neue Einheitsklasse für die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) und die IMSA SportsCar Championship, bestehend aus Le-Mans-Hypercar (LMH) und Le-Mans-Daytona (LMDh) (hybrid? - Das h wurde noch nicht offiziell definiert) öffnet einen Haufen Möglichkeiten.
Sicherlich ist es mehr eine Vernunftehe mit einigem Druck von den Herstellern im Angesicht einer ungewissen Zukunft für beide Parteien. Ein Sieg des gesunden Menschenverstandes. Das darf uns natürlich erst einmal egal sein. Freut euch, ihr Sportwagenfans!
Realität akzeptiert
Trotzdem bin ich über eine Sache erstaunt: dass der ACO von seinem hohen Ross heruntergekommen ist. So gehörte auch ich zu denjenigen, die die Meldungen über Konvergenzgespräche zwar aufgenommen, aber nicht wirklich daran geglaubt haben. Zumal die IMSA den Zug nach Verkündung des LMH-Reglements ja schon hatte abfahren sehen.
Das war lange Zeit das Selbstverständnis des ACO über die LMP-Hemisphäre
Foto: smg/Stritzke
Spätestens als die Meldung über den Peugeot-Einstieg kam, hätte ich erwartet, dass der ACO nun der IMSA die Bedingungen diktiert. Dass nun trotzdem ein gesunder Kompromiss herausgekommen ist, spricht für die Kompromissbereitschaft des ACO und womöglich eine neue Bescheidenheit.
Als IMSA und ACO sich im Zuge des Zusammenschlusses von 2014 zusammensetzten, sah der ACO die US-Meisterschaft vor allem als Zubringer für die WEC und Le Mans - auf einer Ebene mit der europäischen und asiatischen Le-Mans-Serie. Schließlich waren die DPi ab 2017 ja "nur" aufgehübschte LMP2.
In der Realität jedoch stand beziehungsweise steht die IMSA SportsCar Championship auf einer anderen Ebene und wird in den Augen vieler Fans als gleichberechtigt neben der WEC wahrgenommen. Natürlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, aber bildet eben nicht das damalige Selbstbild des ACO ab.
So sah die Realität aus
Foto: smg/Stritzke
Das haben die Franzosen nun augenscheinlich akzeptiert. Und auf Augenhöhe lassen sich auch gleich viel bessere Resultate im Sinne der Fans und Hersteller erzielen. Und das muss man dem ACO wirklich anrechnen. Und natürlich auch der IMSA, die in der Vergangenheit ebenfalls nicht immer im Sinne der Zusammenarbeit agiert hat - etwa, als die Prototypenklasse aufgeteilt wurde, um die DPi zur alleinigen Königsklasse zu machen.
Attraktiver war es nie
Nun gibt es also die Perspektive, die US-amerikanischen Klassiker und Le Mans mit demselben Auto zu bestreiten und dabei um den Gesamtsieg zu kämpfen - und theoretisch beide Meisterschaften zu bestreiten, sofern es keine Terminkollisionen gibt. Das Ganze noch zu einem wirklich akzeptablen Preis - wenn da kein Hersteller mehr anbeißt, ist der Motorsport mit Verbrennungsmotor wohl endgültig verloren.
Es ist eine historische Chance für alle Hersteller: Top-Langstreckensport mit allen Klassikern, günstig wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und dank Balance of Performance (BoP) Siegchancen schon im ersten Jahr. Attraktiver kann man ein Paket nicht mehr machen.
Theoretisch wäre sogar möglich, die 24 Stunden von Daytona, 12 Stunden von Sebring und auch andere IMSA-Rennen künftig auch zur WEC zu zählen. Wir dürfen gespannt sein, wie die WEC-Kalender ab 2021/22 aussehen werden.
Die Arbeit beginnt erst jetzt
Über eine Sache darf die Freude nicht hinwegtäuschen: Der Löwenanteil der Arbeit ist noch zu erledigen. Es müssen diesmal sogar drei Grundkonzepte unter einen Hut gebracht werden. Alleine das Hypercar-Reglement beinhaltet schon zwei Konzepte (Prototyp und Serien-Derivat). Jetzt kommt auch noch die Kategorie LMDh dazu.
Zum Glück für die WEC ist es weniger eine Herkulesaufgabe als die derzeitige Angleichung verschiedenster LMP1-Modelle mit völlig gegensätzlichen Beschleunigungskurven. Das hatten wir hier bereits diskutiert Und auch die IMSA hat aus den Jahren 2014 bis 2016 Erfahrung, unterschiedliche Konzepte unter einen Hut zu bringen.
Sind die Hypercars gegenüber der LMDh konkurrenzfähig?
Foto: Peugeot
Dass sich beide Parteien das zutrauen, spricht auch für die BoP: Beide Parteien sehen sie mittlerweile als so fortgeschritten an, dass man so viele unterschiedliche Konzepte aneinander angleichen kann. Die automatische BoP in der WEC funktioniert gut. Doch sie ist abhängig von den Startwerten. Bleiben einzig die Einstufungen für Daytona und Le Mans. Es gilt, noch einige Details zu klären - und bekanntlich steckt der Teufel häufig dort.
Setzt sich LMDh am Ende durch?
Und es bleibt abzuwarten, ob die Hypercars überhaupt konkurrenzfähig sein werden. Nicht in sportlicher Hinsicht, denn die BoP-Angleichung traue ich beiden Parteien zu. Aber auf wirtschaftlicher Ebene.
Toyota und Aston Martin (genau wie Glickenhaus und ByKolles) entwickeln momentan für teures Geld ihre LMH-Boliden. Ein Zurückrudern wird im jetzigen Stadium kaum möglich sein. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Begeisterung bei diesen Akteuren in engen Grenzen halten wird, wenn sie künftig Konkurrenz von Fahrzeugen bekommen, die nur die Hälfte kosten.
Sind die Hypercars damit also mittelfristig dem Untergang geweiht? Oder wird sich die Marketing-Perspektive, eigene Technologie zu präsentieren, doch behaupten können? Diese Frage wird der Markt beantworten müssen.
Peugeot hat noch den Luxus, sich für eine Variante entscheiden zu können. McLaren hat schon klargestellt, dass man nur mit der günstigeren Kategorie in der WEC antreten möchte.
Egal, ob sich am Ende ein Reglement durchsetzt oder es zur Vielfalt kommt, freuen dürfen wir uns in jedem Fall über diese historische Einigung. Bleibt nur zu hoffen, dass die Ehe hält, und man sich nicht bald wieder wegen Finanzstreitigkeiten in die Quere kommt.
Sollte das gelingen, könnten die 2020er-Jahre wirklich rosig werden.
Euer
Heiko Stritzke
Mit Bildmaterial von Motorsport Images.
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