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Toyotas traumatisches Trio: Wie die Kölner das Le-Mans-Pech bezwangen

Seit dem Beginn der WEC-Ära bei den 24 Stunden von Le Mans ist Toyota Teil der Spitzenklasse - Die Rennen waren für die Japaner eine Achterbahn der Gefühle

Die 24 Stunden von Le Mans werden 2020 einen Abschied von der aktuellen LMP1-Klasse sein, die in der Langstrecken-WM (WEC) durch die Hypercar-Klasse abgelöst werden wird. Seit Beginn der LMP1-Ära im Jahr 2012 ist Toyota Topteam in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC), doch die vielen Jahre waren für die Japaner eine Fahrt mit Höhen und Tiefen - vor allem in Le Mans.

Im Jahr 2011 steckte Toyota noch in einem Dilemma und vor der wichtigen Entscheidung, wie es im Motorsport weitergehen soll. Die Japaner steckten zwischen zwei Motorsport-Programmen fest und in beiden hatten sie eigentlich noch einen Job zu erledigen.

Zwei Jahre zuvor war Toyota noch in der Formel 1 eines von drei Teams, die die neuen Regeln in der Saison 2009 besonders clever interpretiert hatten. Das Team aus Japan wartete damals mit einem Doppeldiffuser auf.

Toyota

Toyota

Foto: Motorsport Images

Der Rennstall mit der Basis in Köln war in der Königsklasse schnell unterwegs, schaffte es aber nicht, mit Brawn GP mitzuhalten. In Bahrain standen die Segel alle auf Sieg, doch Toyota schaffte es nicht, den ersten Formel-1-Triumph einzufahren. Jarno Trulli stand damals auf der Pole-Position und hatte alles was es braucht, um das Rennen zu gewinnen. Jedoch verzockte sich Toyota bei der Strategie, weshalb der Traum vom Triumph platzte.

Dieser langersehnte erste Sieg wurde niemals Realität. Letztlich entschied sich Toyota dafür, dem teuren Formel-1-Programm den Stecker zu ziehen. Gleichzeitig war die Entwicklung des Autos für die Saison 2010 schon sehr weit fortgeschritten. Es war für das Team natürlich frustrierend und das TF110-Chassis, das niemals eine Rennstrecke gesehen hat, wurde in der Basis aufgestellt - als Erinnerung dafür, was hätte sein können.

Im zweiten Halbjahr 2011 bekam das Team aus Japan grünes Licht für eine neue Herausforderung. Wie die Formel 1, war auch sie ein langes Kapitel in der Geschichte des Hersteller: Le Mans. Dreimal landete Toyota am Circuit de la Sarthe auf Platz zwei: 1992, 1994 und 1999. Eingesetzt wurden der TS010-Prototyp, der 94C-V von SARD und der Toyota GT-One. Letzterer ebnete damals den Weg für Toyota in die Formel 1 im Jahr 2002. Rund zehn Jahre später fokussierten sich die Japaner aber wieder auf den berühmten Langstrecken-Klassiker.

Motivation durch Formel-1-Aus

"Nach dem Rückzug waren es schwierige Zeiten", so Rob Leupen, der die Motorsport-Geschäfte für Toyota in Europa leitet. "Wir haben verschiedene Dinge gemacht, bevor wir am LMP1 gearbeitet haben. Wir haben uns die GT-Klassen angeschaut, aber es war gut, nach Le Mans zurückzukehren. Unser Team hat bereits in den Jahren 1998 und 1999 versucht, das Rennen zu gewinnen. Es hat alles zusammengepasst: Die Menschen, die Technologie und die Mentalität, es war alles da."

"Das Team war extrem motiviert", so Toyota-Technikchef Pascal Vasselon. "Die Formel 1 war ein Job, den wir nie beendet haben. Wir waren sehr frustriert, als das Formel-1-Aus bekanntgegeben wurde. Das Team wollte unbedingt beweisen, was es draufhat."

Toyota kooperierte mit dem französischen Langstrecken-Spezialisten ORECA, um sich auf das 24-Stunden-Rennen vorzubereiten. Die größte Herausforderung war, das Antriebspuzzle zu lösen. Im Jahr 2012 einigten sich der Automobil-Weltverband (FIA) und der Automobile Club de l'Ouest (ACO) auf ein Hybrid-Paket, das es zu dieser Zeit in dieser Form in keiner anderen Rennserie gab.

Vasselon spricht über die technischen Herausforderungen, die das Team aus Köln zu dieser Zeit zu lösen hatte: "Der Grad an Freiheit war einfach unglaublich. Wir haben Simulationen durchgeführt, um das beste Hybridsystem auszuwählen. Das war sehr interessant und hat auch unseren Ingenieuren etwas gebracht."

Toyota entschied sich für einen Superkondensator, der durch ein KERS-System mit Energie gefüttert wurde. Der nächste Schritt war es, die bestmöglichen Fahrer für das Programm zu gewinnen. Einer der ersten Rekruten war LMP1-Ass Alexander Wurz, der zuvor für Peugeot gefahren war. Wurz hatte zu diesem Zeitpunkt zweimal Le Mans gewonnen und griff auf viele Jahre Erfahrung in der Formel 1 zurück - sowohl als aktiver Rennfahrer als auch Testpilot.

"Ich war damals bei Peugeot", so Wurz. "Die Marke hatte zu jener Zeit das schnellste Auto. Ich hatte eine wirklich tolle Zeit dort, doch dann gab es diesen Anruf von Pascal und wir trafen uns zum Essen. Er hat mir das Programm erklärt und mein Instinkt sagte mir sofort, dass das genau die Technologie ist, die in Zukunft Le Mans gewinnen wird. Aufgrund des Potenzials und der Windkanal-Erfahrung aus der Formel 1, war es für mich eine einfache Entscheidung."

"Wir haben uns schnell geeinigt", so Wurz. "Ich erinnere mich daran, dass einige meiner Peugeot-Teamkollegen mich für verrückt erklärt haben, weil ich das Team verlassen habe. Wir haben damals viel gewonnen, aber ich war mir sicher, dass das Projekt erfolgreich sein wird."

Später stießen seine ehemaligen Peugeot-Teamkollegen Anthony Davidson und Stephane Sarrazin zum Toyota-Programm hinzu. Außerdem sicherten sich die Japaner die Dienste von Sebastien Buemi, Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima, die alle in der Saison 2012 starteten.

Neues Terrain

Trotz des Know-hows war es für Toyota völlig neues Terrain, einen Hybridboliden mit so viel Leistung zu entwickeln und in Rennen einzusetzen. Deshalb gab es auch einige sehr spannende Momente während der ersten Testfahrten.

Alexander Wurz, Nicolas Lapierre

Alexander Wurz im Toyota

Foto: Toyota

"Es war nicht so schwierig, die Haltbarkeit in den Griff zu bekommen", erklärt Vasselon. "In der Formel 1 haben wir eine garantierte Haltbarkeit von 300 Kilometern angepeilt. Es war klar, dass wir diese Prozesse nutzen werden, um ein Auto für 6.000 Kilometer zu entwickeln."

"Der Hybridantrieb war eine völlig andere Geschichte, denn das war ein komplett neues Gebiet für uns", so Vasselon weiter. "Wir waren von Sicherheit getrieben. Es gibt natürlich Zweifel, wenn du deine Fahrer auf die Strecke schickst, ohne dass sie etwas riskieren. Wir haben es dennoch geschafft, auch wenn es schwierig war. Wir haben einige Tests vorzeitig beendet, weil wir mit dem geplanten Risikolevel nicht glücklich waren."

"Die Testfahrten waren sehr interessant", sagt Wurz. "Das erste Mal aus der Garage zu fahren und einen Hybridboliden zu steuern, der dabei kein Geräusch von sich gab, war spannend. Wir hatten einige Probleme mit der Elektronik. Zum Beispiel hat das Brake-by-wire-System zu elektromagnetischen Interferenzen geführt, die einen Sicherheitsmodus aktiviert haben. Wir wussten, dass das Auto sicher war, aber dennoch konnten wir es sieben Tage lang nicht vernünftig fahren."

"Wir hatten Glück, dass wir einen Toyota-Ingenieur aus Japan dabeihatten, der am Prius gearbeitet hatte", führt er fort. "Das Auto hatte dasselbe Problem, wenn es in Tokio über eine U-Bahnlinie gefahren ist. Wir haben das Problem gelöst, in dem wir das Isolierung der Kabel ausgetauscht haben."

"Das ist nur eines von vielen Beispielen", stellt Wurz klar. "Während der ersten Nachtfahrt sagte das Team mir, ich solle einen Schalter umlegen. Ich konnte ihn aber nicht sehen, weil das Lenkrad hinten nicht beleuchtet war. Deshalb haben wir erst einmal eine Taschenlampe an die Decke geklebt. Wir mussten auf unserem Weg viel improvisieren, weil wir unter enormen Zeitdruck standen."

Alexander Wurz, Nicolas Lapierre

Wurz war vom Projekt überzeugt

Foto: Toyota

Wurz sagt außerdem: "Wir mussten auch unseren Fahrstil verändert. Beim Bremsen ging es nicht mehr darum, wie spät du bremst, sondern wie effizient du bremst und wie weit du den Bremsvorgang in die Kurve mitnehmen kannst. Es war zu Beginn ein wenig merkwürdig, aber wir wussten, dass es ein dickes Plus an Leistung gebracht hat."

"Wir haben Rundenzeiten auf dem Niveau des Peugeot V12 in den Asphalt gebrannt, wobei der Reifenverschleiß und der Verbrauch 50 Prozent geringer waren", erinnert sich Wurz. "Für mich war das das Zeichen dafür, dass die Hybridtechnologie sowohl im Motorsport als auch auf der normalen Straße der nächste Schritt sein würde."

Der Kampf gegen Audi

Für Toyota war es schon schwierig genug, einen Hybridprototypen zu entwickeln, als dann auch noch ein Vorstoß seitens des ACO kam: Peugeot entschied sich im Januar 2012 dazu, den Langstrecken-Sport zu verlassen, weshalb nur noch Audi in der Saison 2012 als Vollzeit-Team gemeldet war. Toyota hatte eigentlich geplant, nur ausgewählte Rennen zu bestreiten. Der ACO drängte die Japaner aber dazu, zwei Toyotas als Vollzeit-Meldung zu nennen.

Der rote Faden der Schwierigkeiten spannte sich noch weiter, als beim Spa-Test das einzige TS030-Monocoque bei einem Crash zerstört wurde. Deshalb musste Toyota in Le Mans mit einem brandneuen Prototypen debütieren.

Vasselon sagt: "Wir hatten bei unserem ersten Le Mans unsere Höhen und Tiefen, weil wir so viel lernen mussten. Wir haben nach sechs Stunden die Führung übernommen. Danach haben wir ein Auto nach dem anderen verloren. Es begann mit einem heftigen Unfall von Anthony und dann kollidierte beim Re-start auch noch Kazuki mit dem Delta Wing. Trotzdem haben wir es mit Audi aufgenommen und etwas Wichtiges erreicht. Wir haben Audi überrascht."

Leupen erklärt: "Für mich waren die 24 Stunden von Le Mans 2012 einer der spannendsten Momente, gerade nachdem wir einen so steinigen Weg hinter uns gebracht hatten. Es war eine große Lernkurve, aber ich blicke heute auf eine sehr erfolgreiche und gute Zeit zurück."

Toyota

Die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten

Foto: Rolex/Stephan Cooper

Der Teamchef hat den Kampf gegen Audi und dem Team Joest, das für mehr als ein Jahrzehnt die Messlatte im Langstrecken-Sport war, sehr genossen. "Es war ein toller Kampf mit einer Menge Respekt", erinnert er sich. "Für uns waren sie die Benchmark, denn sie waren schon so lange dabei und hatten so viel Erfahrung."

"Wir haben uns vorsichtig angeschaut, was sie gemacht haben, um sich vorzubereiten und wie sie ihre Garage aufgebaut haben", so Leupen. "Wir haben auch geschaut, wie gut sich ihre Fahrer verstanden haben. Es war gut, sich die Konkurrenten anzuschauen, aber es war auch toll, zu sehen, dass sich das eigene Team entwickelte. Es wurde ein richtig starkes Team. In dieser Ära war das einer der größten Momente für mich."

Wurz und Lapierre holten in der zweiten Saisonhälfte 2012 drei Siege - dazu gehörte auch das wichtige Heimrennen in Fuji mit Nakajima.

Im Jahr 2012 hatte Toyota noch den Überraschungsmoment auf seiner Seite, aber der verpuffte in der Saison 2013. Audi schlug zurück und steckte viele Ressourcen in die Evolution des R18 e-tron quattro. Das neue Auto verfügte über ein von Williams entwickeltes Schwungrad-System und eine ausgeklügelte Elektronik.

"Es war ein schreckliches Jahr", erinnert sich Vasselon. "Wir haben einige Rennen gewonnen, waren in Le Mans aber nicht wettbewerbsfähig. Sie haben mit einem Antrieb gekontert, den wir nicht erreichen konnten. Damals gab es die Balance of Performance zwischen den Diesel- und Benzin-Hybridautos, die auch sehr willkommen war, aber dahinter gab es keinen echten technischen Prozess."

Der erste Rückschlag

Sebastien Buemi

Im Jahr 2013 war der Überraschungseffekt weg

Foto: Toyota

Audi holte einen weiteren Le-Mans-Sieg - der neunte und letzte Sieg für Tom Kristensen - und Toyota musste seinen Fokus auf das Jahr 2014 rücken. In dieser Saison gab es deutliche Regeländerungen und den Einstieg von Porsche in die LMP1-Katgegorie.

Der Wettbewerb und die Technologie erreichten ihren Zenit zwischen 2014 und 2017. Toyota sollte mit seinem TS040, eine Evolution des TS030, vorne mit dabei sein. "Insgesamt waren die Regeln 2014 unglaublich, inklusive einer technisch ausgeklügelten Balance of Performance", so Vasselon. "Es war ein gewaltiger Spielplatz für die Ingenieure mit einer komplexen Gleichheit zwischen den verschiedenen Hybridsystemen. Der Wettkampf mit Audi und Porsche war wirklich eng. Das war die beste Zeit für die LMP1-Kategorie mit unglaublichen Sportwagen."

Der Toyota TS040 war in Le Mans ein echtes Brett. Nakajima holte für Toyota in der Startnummer 7, die er sich mit Wurz und Sarrazin teilte, die erste Pole-Position seit 1999. Nachdem Lapierre das Schwesterauto im Regen in die Mauer fuhr, lagen alle Hoffnung auf der Nummer 7. Jedoch hatten die Japaner kein Glück: Ein defekter FIA-Sender schmolz einen Kabelbaum, weshalb ein Brand ausbrach. Nakajima war gezwungen, das Auto zu verlassen. Es war der erste von vielen Siege, die dem Team aus Köln aus den Händen glitten.

"Wir waren sehr schnell und wussten, dass unser Hauptkonkurrent unser Schwesterauto sein würde", so Wurz. "Ich hatte in Le Mans noch nie so eine gute Balance im Auto. Ich konnte Tertre Rouge beinahe mit Vollgas nehmen. Ich habe von Beginn an den Hammer fallen lassen, um die Konkurrenz mental zu schwächen."

"Dann hatten wir dieses Problem, das wir schon früher im Rennen erkannt hatten", erklärt Wurz. "Wir hatten schon darüber diskutiert, den Kabelbaum auszutauschen. Dabei hätten wir vielleicht eine Minute verloren, aber wir hatten einen noch größeren Vorsprung. Dann funktionierte der Sensor aber wieder und wir dachten, dass wir nichts tun müssen. Leider dauerte es nicht lange, bis das Problem wieder auftrat. Das Auto hat angefangen zu brennen, als Kazuki im Cockpit saß. Es war ein Tiefschlag, aber so ist Le Mans nun einmal."

Im Jahr 2015 wollte Toyota seine Revanche, jedoch waren die Japaner nicht in der Lage, mit Porsche und Audi mitzuhalten. Die Lithium-Ionen-Batterien der Konkurrenz setzten sich immer weiter durch und schienen die optimale Hybridlösung in der WEC zu sein. Toyota arbeitete an einer Batterielösung, musste die Entwicklung wegen eines Kostenschnittes aber auf 2016 verschieben. Dann kam ein völlig neues Antriebskonzept bei den Japanern, bei dem auch der V8-Motor durch einen V6-Twinturbo-Motor ersetzt wurde.

Aufgrund der Toyota-Pleite im Jahr 2015 teilten sich Porsche und Audi die Lorbeeren auf. Porsche holte mit dem dritten Auto den Le-Mans-Sieg mit Nico Hülkenberg, Earl Bamber und Nick Tandy am Steuer.

Toyota

Auch im Jahr 2015 lief es nicht nach Plan

Foto: Toyota

Vasselon sagt: "Als wir im Jahr 2014 dominiert hatten, haben wir an der Entwicklung für das kommende Jahr etwas gespart, weil wir dachten, gut genug zu sein. Wir kannten das Risiko, aber Anfang 2015 wussten wir sofort, dass wir nicht mithalten können und das wir reagieren müssen. Nach einem schwierigen Jahr 2015 waren wir im Jahr 2016 mit mehr Ressourcen zurück. Dazu kam der Turbo und die Batterie. Von 2015 bis 2016 mussten wir in Le Mans rund acht Sekunden pro Runde gutmachen."

Le Mans 2016: Am Tiefpunkt

Nach einer sieglosen Saison schlug Toyota in der Saison 2016 mit einer soliden Leistung zurück. Die Achterbahnfahrt der Japaner ging weiter: Alle drei Hersteller hatten ähnliche Hybridsysteme verbaut und noch nie waren so weitentwickelte Sportwagen im Einsatz.

Bei den 24 Stunden von Le Mans 2016 entfachte sich ein heißer Kampf zwischen Toyota und Porsche, während Audi mit großen Problemen zu kämpfen hatte. Wegen der Strategie war die Rennpace von Toyota etwas besser als die von Porsche. Dann musste der Toyota mit der Startnummer 6 wegen Schäden repariert werden und alle Hoffnungen lagen auf die Mannschaft der Nummer 5. Nakajima, Buemi und Davidson musste die eine Minute große Führung ins Ziel bringen, um Toyota den langersehnten Le-Mans-Sieg zu bescheren.

Sechs Minuten vor dem Rennende stockte dem gesamten Fahrerlager der Atem, denn Nakajima wurde plötzlich langsamer. In der Toyota-Garage machte sich Panik und Verärgerung breit, als Nakajima das Auto extrem langsam um den Kurs schiffte. Nachdem er zwei Minuten später die Ziellinie überquerte, gab sein Toyota komplett auf. Das wohl größte Drama bei den 24 Stunden von Le Mans aller Zeiten.

Wieder einmal war den Japanern ein Sieg verwehrt geblieben. Oreca-Boss Hugues de Chaunac, der ein wichtiger Teil des Toyota-Le-Mans-Projekts war, war eines der Teammitglieder, die mit den Tränen zu kämpfen hatten. War die Niederlage 2014 nur schwer zu verkraften, war das Rennen 2016 ein Faustschlag mitten ins Gesicht.

"Es war sehr traurig, weil es auch viele Menschen mental gebrochen hat", so Vasselon. "Es war sehr schwierig, sich aus solch einer Situation wieder aufzurappeln. Dieses Trauma wird niemals komplett vergessen werden. Es wäre so toll gewesen, zurückzukommen und hier zu siegen."

Die Untersuchungen zeigten, dass ein Verbindungsstück zwischen dem Turbo und dem Kühler nicht mehr funktioniert hat. Toyota hat niemals genau herausgefunden, was das Problem verursacht hat. Deshalb wurde das Design einfach komplett über den Haufen geworfen. "Wir haben selbst nach einer langen Analyse kein Qualitätsproblem gefunden", so Vasselon. "Wir haben diese Technologie dann einfach ausgetauscht."

Wurz, der im Jahr 2015 seinen Helm als Vollzeit-Fahrer an den Nagel gehängt hatte, war als Teamberater und -botschafter ein wichtiger Teil der Rehabilitation im Team. Der Österreicher sagt: "Wir mussten den Kollegen aufhelfen und sicherstellen, dass sie wieder dabei sein werden. Rob, Pascal, John Litjens, John Steeghs und ich haben uns zusammengesetzt und Brainstorming betrieben."

"Wir hatten die Idee, emotionale Selfie-Videos von den Fahrern einzuholen und diese an die Mitarbeiter zu schicken", sagt er. "Wir waren am Boden, mussten aber wieder aufstehen. Wir mussten einfach weitermachen. Es war, als hätten wir eine Münze geworfen. Es war diese letzte Nachricht, dass wir aus der Depression eine Motivation schaffen müssen."

"Ein weiterer Schlüsselfaktor war, dass Toyota-Präsident Akio Toyoda und Gazoo-Racing-Präsident Shigeki Tomoyama hinter dem Projekt standen. Die globale Toyota-Familie hat uns motiviert und das hat zu einem Multiplikator-Effekt geführt."

Leupen sagt: "Für mich und das Team war die Saison 2016 eine sehr emotionale. So etwas passiert einem nur einmal im Leben. Ein jeden wurde damals das Herz gebrochen, doch wir haben versucht, das links liegen zu lassen. 2017 war hingegen für mich ein echtes Problem für mich."

2017 eine weitere Achterbahnfahrt

Die 24h von Le Mans 2016 gingen als eine der größten Niederlagen in der Geschichte ein, während das Jahr 2017 dafür eine echte Lotterie war. Audi war aus der LMP1-Kategorie ausgestiegen, weshalb der Kampf zwischen Toyota und Porsche in den Fokus rückte. Toyota schickte seinen TS050 in den Kampf gegen die beiden Werks-Porsches.

Mike Conway, Kamui Kobayashi

Auch 2017 sprang kein Sieg für Toyota raus

Foto: LAT

Toyota reiste als klarer Favorit nach Le Mans, denn Buemi, Nakajima und Davidson hatten die Rennen in Silverstone und Spa gewonnen. Kamui Kobayashi holte im Toyota mit der Startnummer 8 mit einer Rekordrunde von 3:14.791 Minuten die Pole-Position. Mit seinen Teamkollegen Mike Conway und Sarrazin ging es dann ins Rennen. In der Startnummer 9 gingen Jose-Maria Lopez, Yuji Kunimoto und Lapierre auf die Reise.

Trotz der Dominanz in der Anfangsphase, wurden alle drei Toyotas nach und nach aus dem Kampf um den Sieg genommen. Ein MGU-Problem warf die Startnummer 8 nach sieben Stunden zurück. Grund dafür war ein Herstellungsfehler, wie die Untersuchungen zeigten. In der zehnten Stunde folgte dann das Doppelaus: Die Startnummer 9 von Lapierre wurde von einem LMP2-Auto getroffen und schwer beschädigt.

Was dem Team der Startnummer 7 passierte, ging ebenfalls in die Le-Mans-Geschichte ein. Während einer Safety-Car-Phase wartete Kobayashi am Ende der Boxengasse darauf, wieder auf die Strecke zu dürfen. Er verwechselte die Anfeuerung von LMP2-Pilot Vincent Capillaire mit einem Sportwart und dachte, losfahren zu dürfen. Dann hielt er an und startete erneut. Dabei beschädigte der Japaner die Kupplung seines Autos. In seiner ersten Rennrunde musste Kobayashi das Auto abstellen. Vor Rennhalbzeit war der Traum von der Revanche geplatzt.

"Wir hatten sehr starke Autos und waren im Qualifying zwei Sekunden schneller als Porsche", so Leupen. "Das Team hat es dann mit den Fehlern selbst versaut. Aufgrund des Potenzials und der Autos war es noch schwerer, sich davon zu erholen. Du musst dir die Fehler anschauen, daraus lernen und hart arbeiten. Wir mussten einige schwierige Änderungen im Team vornehmen."

Vasselon fügt hinzu: "Wenn du dir einen Film mit solch einem Szenario anschaust, würdest du ihn für unrealistisch halten. Wir waren sehr frustriert und wir hatten das Gefühl, dass die Le-Mans-Götter etwas gegen uns haben. Wir müssen Toyota aber für ihre Konstanz im Unternehmen danken. Dort hat niemand aufgegeben."

Statt sich der Niederlage hinzugeben, hat Toyota sein Engagement in Le Mans noch einmal ausgebaut, obwohl der Hersteller in der Supersaison 2018/19 die einzige Marke in der LMP1-Kategorie war. Porsche stieg aus, weshalb es Toyota mit den privaten LMP1-Teams aufnehmen musste. Trotz der Equivalence of Technology hatten diese Teams keine Chance, mit Toyota mitzuhalten, da sie keine Hybridantriebe verwendeten.

Nach drei Rückschlägen in Folge musste Toyota bei den 24h von Le Mans 2018 endlich ganz oben auf dem Podium stehen. Eine weitere Niederlage war für die Japaner keine Option. Laut Vasselon hat das Team verschiedene unwahrscheinliche Szenarien geprobt, um auf alles vorbereitet zu sein.

"Wir wussten, dass die Haltbarkeit eigentlich da war, aber wir waren nicht gut darin, vernünftig auf überraschende Umstände zu reagieren", so Vasselon. "Wir haben viel Zeit auf der Strecke verbracht und viele Kilometer dafür geopfert, um das Team auf Überraschungen vorzubereiten. Wir haben verschiedene Probleme geprobt, die keiner erwartet hat. Wir haben dann geschaut, wie die Crew und die Fahrer darauf reagiert haben."

Ein kleines bisschen Wahnsinn

Aufgrund der schwächeren Konkurrenz hätte es Toyota wohl niemand verübelt, hätte die Marke den Fuß vom Gaspedal genommen, um sich darauf zu konzentrieren, das Rennen einfach zu beenden. Das Team, das den zweimaligen Formel-1-Champion Fernando Alonso ans Boot geholt hatte, verfolgte aber andere Ziele.

Die Teams der Startnummern 7 und 8 gaben beide Vollgas mit der Motivation, die Mannschaft zu werden, die den Toyota-Fluch von Le Mans bricht. Alonso und Conway überzeugten mit atemberaubenden Stints in der Nacht. "Aufgrund der Umstände hätten wir das Rennen einfach managen sollen und auf die sichere Karte setzen sollen", so Vasselon. "Das ist genau das, was wir nicht getan haben."

"Wir haben kein Interesse daran, ein langsames Rennen zu gewinnen. Wir wollten allen zeigen, dass unser Auto jedes andere Fahrzeug schlagen kann. Deshalb hatten wir im Jahr 2018 auch diese unglaubliche Pace. Es wird vermutlich ewig das schnellste Le Mans sein, wenn wir uns die Pace unter grün anschauen. Wir haben die Fahrer wirklich angetrieben, damit sie so schnell fahren wie nur möglich."

Berater Wurz war während des Rennens an die Rundenzeiten-Monitore gefesselt, an denen er auch den internen Kampf verfolgte: "Vielleicht wirkte es von außen nicht so, aber es war eines der intensivsten internen Kämpfe, die ich je gesehen habe. Ich habe in einem Jahrzehnt viele solcher Kämpfe in der Formel 1 gesehen. Es war einfach nur phänomenal."

"Die Fahrer hatten ihre Teamorder, aber es gibt immer eine Art Grauzone", so Wurz. "Es war hart, das kann ich euch sagen. Sie sind alle sehr gut gefahren und haben keine Fehler gemacht. Es war eine der besten Teamleistungen, die ich je gesehen habe. Wenn man sich die Rundenzeiten ansieht, war es schon ein bisschen wahnsinnig."

Nakajima fuhr am Samstagnachmittag letztlich auf Platz eins über die Ziellinie und brachte die Le-Mans-Trophäe zusammen mit Alonso und Buemi endlich nach Japan. Die komplette Last der Geschichte und des Drucks seitens Toyotas fiel der kompletten Mannschaft von den Schultern. All die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre wandelten sich an diesem Tag in Erleichterung um. Die Emotionen übermannten dabei auch Teamchef Leupen.

"Die Erleichterung war riesig", sagt der Niederländer, der seit 1995 für Toyota tätig ist. "Es fühlte sich aber auch so an, dass wir den Job endlich erledigt hatten. Wir haben 2016 und 2017 gesehen, dass es nicht nur darum geht, die Konkurrenz zu schlagen. Man muss Le Mans und sich selbst schlagen. Es war auch die Bestätigung dafür, dass es richtig war, weiter zu machen, obwohl wir so viele Höhen und Tiefen erlebt hatten."

Toyota holte am Ende der einzigartigen Supersaison 2018/19 noch einen weiteren Le-Mans-Sieg. Nach der Bekanntgabe des neuen Hypercar-Reglements haben sich die Japaner sofort zur neuen LMH-Klasse bekannt. Mit der günstigeren LMDh-Klasse, eine gemeinsame Spitzenkategorie der IMSA und WEC, soll dem Langstrecken-Sport neues Leben eingehaucht werden.

Wie viele Serien auf der Welt, muss auch die WEC mit weniger Teams und kleineren Budgets auskommen. Toyota und Oreca haben sich dazu entschieden, ihre Zusammenarbeit nach der Saison 2020 zu beenden. Nach den drei traumatischen Erlebnissen in Le Mans wird Toyota in der WEC weitermachen, um weitere Erfolge zu feiern.

Leupen sagt: "Wenn ich richtig zähle, hätten wir Le Mans bis heute schon viermal gewinnen müssen. Die beiden Siege sind mir deshalb nicht genug, ganz und gar nicht! Wir schauen mit einem lachenden und weinenden Auge auf die Zukunft. Weinend deshalb, weil wir die schnellsten Autos in die Garage stellen müssen, ohne ihr volles Potenzial in Le Mans entfacht zu haben. Das lachende Auge gibt es, weil wir als Team die Chance bekommen, ein neues Auto zu bauen und zu zeigen, was Toyota draufhat."

Er fügt hinzu: "Wir können wieder gegen andere Teams und Marken fahren und nicht nur gegen uns selbst. Es geht nicht nur um eine technische Dominanz, sondern auch um das Management, die Erstellung einer BoP und die Fähigkeit, aus den Fahrern und den Ingenieuren den entscheidenden Vorteil zu ziehen. Ich denke, dass sich jeder darauf freut."

Mit Bildmaterial von LAT.

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