Rebellion in Hypercar-Arbeitsgruppe: Jetzt wird's richtig eng
Auch 18 Monate vor dem Start ins Hypercar-Zeitalter fehlt der WEC ein Reglement - Jetzt wollen einige Hersteller den Dezember-Vorschlag über den Haufen werfen
Die Zeit rinnt zusehends davon: Ende August/Anfang September 2020 wird die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) in ihre neue Hypercar-Ära starten. Eigentlich müssten die Autos bereits zum Prolog fertig sein, der 2019 im Juli liegt. Und um nicht beim Prolog noch Kinderkrankheiten aussortieren zu müssen, müsste das Fahrzeug spätestens im Frühjahr fertig sein. Also in rund einem Jahr.
Doch bislang gibt es noch immer kein festes Reglement, geschweige denn die Zusage eines großen Herstellers. Dem ACO, der die Regeln formuliert, rennt inzwischen die Zeit davon. Im Januar gab es ein Meeting der Arbeitsgruppe. Dieser gehörten in der Vergangenheit die Hersteller Toyota, McLaren, Ford, Ferrari, Aston Martin, Oreca, Ligier und Dallara an.
Doch in diesem Meeting hat es wohl nur geringe Fortschritte gegeben. Im Gegenteil: Informationen von 'Motorsport-Total.com' zufolge will eine Herstellergruppe, angeführt von Aston Martin, den im Dezember der FIA vorgelegten Reglements-Vorschlag über den Haufen werfen. Dieser sah reine Prototypen mit Hypercar-Silhouetten vor. Aston Martin (und wie es aussieht McLaren und Ferrari) kämpfen hingegen dafür, die Autos von den Serienfahrzeugen abzuleiten. Das würde alle bisherigen Pläne komplett über den Haufen werfen.
Die Argumentation der "Rebellen": Eine vom Serienfahrzeug abgeleitete Rennversion wäre für die Hersteller kommerziell und marketingtechnisch interessanter. Trotz der radikalen Maßnahmen zur Kostensenkung seitens des ACO sehen die Hersteller die 30 Millionen Euro pro Saison noch immer als zu hoch an.
Das Selbstverständnis des ACO hingegen sieht die WEC technologisch auf Augenhöhe mit der Formel 1, in der die Budgets derzeit wieder dabei sind, völlig aus dem Ruder zu laufen. Die radikale Kürzung von dreistelligen Millionenbeträgen auf erst 25, jetzt 30 Millionen Euro erachtet man bereits als Zugeständnis. Und der ACO verdient indirekt an größeren Budgets mit, denn in der Regel führt ein höheres Gesamtbudget eines Herstellers auch zu einem größeren Marketingbudget, mit dem sich Werbeflächen und Pavillons in Le Mans anmieten lassen.
Aston Martin und ACO mauern
Aston Martin äußert sich auf Anfrage nicht, lässt aber über einen Sprecher verlauten, dass man weiterhin beim Regelgebungsprozess aktiv mitwirke und dass keinerlei Entscheidungen getroffen worden seien.
Der ACO verweigert jegliche Stellungnahme zu mehreren Anfragen des Motorsport Networks. In einer Rundmail an mehrere Medien heißt es, dass Anfragen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden, man aber eine Medienrunde in Sebring zu dem Thema beabsichtige. Kurzum: Vor dem "Super Sebring"-Wochenende wird niemand mit einer Stellungnahme der Franzosen rechnen können.
Ist der Vorschlag überhaupt noch umsetzbar?
Sollte sich die Serienfahrzeug-Fraktion doch noch durchsetzen, würden die Regelmacher vor neuen, großen Herausforderungen stehen. Aston Martin treibt beim Valkyrie ausschließlich die Hinterachse an, während im provisorischen Hypercar-Reglement der Boost nur an die Vorderachse abgegeben werden darf. Das gleiche Problem existiert beim Ferrari LaFerrari. Und der McLaren Senna kommt - anders als sein Vorgänger P1 - ganz ohne Hybridsystem daher. Wie sollen so viele Waiver und Ausnahmen in so kurzer Zeit in ein rüttelfestes Reglement gegossen werden?
Damit endet es nicht: Eine zusätzliche Baustelle wären bei einem Paradigmenwechsel die nochmals gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit. Die strengeren Crashtest-Vorschriften und der größere geforderte Raum um den Fahrer herum lassen sich einfacher mit Prototypen als mit serienbasierten Autos erreichen. Außerdem hat der ACO strenge Vorgaben für die Platzierung des Hybridantriebs sowie der Batterie gemacht und die Gewichtsverteilung der Fahrzeuge strikt vorgegeben, um ausgeglichen Wettbewerb zu geringen Kosten zu garantieren. Inwiefern sich das mit serienbasierten Fahrzeugen erreichen ließe, steht ebenfalls noch in den Sternen.
Noch ein Jahr als einziger Großer? Toyotas Geduld wird strapaziert Foto: Toyota
Und auch für Toyota läuft die Zeit. Mit jeder Woche, die verstreicht, verliert die Toyota Motorsport GmbH mehr von ihrem Entwicklungsvorsprung durch das größere Personal auf die kleineren Hersteller wie Glickenhaus oder ByKolles (lediglich diese haben sich bislang zur Hypercar-Klasse bekannt).
Zwar weiß 'Motorsport-Total.com', dass bei mindestens einem der kleineren Hersteller bereits ein Fahrzeug im Computer existiert und es nur auf die etwaige Änderungen angepasst werden muss, sodass man davon ausgehen kann, dass auch Toyota zumindest ein Konzept im Computer existieren dürfte, aber solange kein endgültiges Reglement steht, sind den Ingenieuren die Hände gebunden. Und mit einem unausgereiften Auto wird man kaum in die Saison 2020/21 starten wollen. Schließlich kann Toyota gegen Glickenhaus oder ByKolles wenig gewinnen, aber viel verlieren.
Hinzu kommt, dass es keinen Plan B gibt, sollten die Hypercar-Regularien nicht pünktlich fertig werden. Toyota-Quellen haben 'Motorsport-Total.com' bereits klar gemacht, dass man den TS050 Hybrid nicht länger als Le Mans 2020 fahren lassen möchte. Und lange wird man sich mit der Position als Alleinunterhalter von den großen Herstellern auch nicht mehr abfinden wollen.
ACO in der Zwickmühle
Jene kleineren Hersteller sehen die Lage entspannter, da sie sich mit ihren kleineren Teams flexibler aufgestellt sehen als der große Toyota-Apparat. Für ByKolles und Co. liegt der kritische Punkt zwar noch einige Monate in der Zukunft, doch auch hier heißt es, dass man langsam gerne wissen würde, was man machen möchte. Weder ByKolles noch Glickenhaus sitzen in der Arbeitsgruppe drin, sie werden lediglich informiert.
Aston Martin will seinen Rennwagen direkt vom Serienfahrzeug ableiten Foto: Aston Martin
Um diese Horrorvorstellung weiß auch der ACO, der sich in einer Zwickmühle befindet: Geht man auf die Forderungen von Aston Martin und Co. ein, müsste das Regelwerk stark modifiziert werden, sodass es für Toyota zu spät kommen könnte, ohne dass eine Garantie besteht, dass irgendeiner der drei "Rebellen" überhaupt kommt.
Sein Trauma mit einer solchen Situation haben Pierre Fillon und Gerard Neveu gerade erst erlebt, als man Peugeot ein Regelwerk auf den Leib schneiderte und der PSA-Konzern trotzdem fern blieb. Gerade McLaren ist ein unsicher Kandidat, weil man in Woking noch immer auf eine Kompatibilität mit den künftigen IMSA-Regularien hofft.
Bleibt der ACO bei der jetzigen Linie, droht man, drei Interessenten zu verlieren. Und wenn sich mittelfristig kein Gegner auf Augenhöhe für Toyota findet, könnte auch hier der Ofen schnell aus sein. Schließlich wurde die Geduld sowohl in Köln als auch Japan schon ordentlich strapaziert. Zusätzlich zu dieser schwierigen Situation gesellt sich nun auch noch der enorme Zeitdruck. Und mit jeder Woche, die verrinnt, wird die Lage kritischer.
Mit Bildmaterial von WEC.
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