Analyse: Wenn Reifen Rennen entscheiden
Michelin steckt ziemlich in Erklärungsnöten. Eine Krise für den neuen Einheitsreifenlieferanten. Und zwar so richtig. Die Rückkehr in die MotoGP ist gründlich in die Hosen gegangen. Teilweise sprechen die Fahrer von Angst.
Foto: Mirco Lazzari
Jeder Rennfahrer kommt an den Punkt, bei dem er in sein Motorrad rein hört und Dinge hört, die es gar nicht gibt. Oder Dinge fühlt, die gar nicht sein können. Manchmal denkt man, dass einem gleich das Getriebe um die Ohren fliegt, die Kupplung abraucht oder der Motor per weißen Ölrauchzeichen anzeigt, dass der Papst gewählt ist.
Sicherlich, man darf nicht mal annähernd darüber nachdenken, mit welchen Geschwindigkeiten man unterwegs ist. Erst recht nicht bei den Jungs in der MotoGP.
Vollstes Vertrauen in die Technik, Maschine und Reifen sind gefragt. Dieses Vertrauen ist bei Michelin derzeit arg angeknackst. Wenn nicht gar schon zerstört.
Die Erklärungsversuche sind dürftig.
„Die Mischung von Argentinien wird diese Saison nicht mehr eingesetzt“, versprach Michelin-Rennsportchef Nicolas Goubert. Die Analyse des Redding-Reifens habe ergeben, dass der Auslöser ein Mix aus „heißen Asphalttemperaturen, Schweregrad der Strecke und der Größe Reddings“ gewesen sei.
Bitte was?
Sollen sich jetzt Redding und Baz, die zu den größten im Feld gehören, die Beine verkürzen lassen?
Als bei Loris Baz in Sepang der Hinterreifen explodierte, wurde ein ähnlicher Grund genannt, allerdings die Schuld auch auf das Team geschoben. Man hätte dort mit zu niedrigen Luftdrücken experimentiert.
Der geplatzte Hinterreifen auf der Start-Ziel-Gerade beim Sepang-Test kann eventuell noch toleriert werden. Die MotoGP ist Rennsport am Limit. Baz und Shinya Nakanao (Mugello 2004, Bridgestone) mussten das in großen Ähnlichkeiten erleben. Einer auf Michelin, einer auf Bridgestone.
Redding hatte im Endeffekt Glück, dass er sitzen bleiben konnte und nicht stürzte.
Am Wochenende klagten in Jerez nahezu alle Fahrer über den Hinterreifen, der durchdrehte und / oder sich teilweise auf der Felge drehte. Spinning war das Wort des Rennens.
Selbst Sieger Rossi klagte darüber.
Normalerweise wird das vierte freie Training für die Rennabstimmung genutzt, hier zeigt sich, wer welche Pace gehen kann. Rossi, Márquez und Lorenzo waren die einzigen Drei, die hier konstante und mehrere 39er Zeiten fahren konnten.
Daher habe ich auf den Geraden auch weniger Gas gegeben. - Valentino Rossi
Im Rennen schaffte das keiner. Schnellste Rennrunde, Valentino Rossi, 1:40,090 Minuten.
„Ich habe 39er Zeiten anvisiert, aber es waren nur 40er drin“, so Rossi. „Dann wurde mir angezeigt, dass ich trotzdem zwei, drei Zehntel pro Runde schneller als die anderen war.“
„Ich hatte auf den Geraden auch viel Spin, da waren noch 10 Runden zu fahren. Daher habe ich auf den Geraden auch weniger Gas gegeben.“
Alle Stimmen aus Jerez in der Foto-Strecke
Auch Lorenzo klagte darüber. „Die Pace war insgesamt nicht schnell“, so der Weltmeister.
Das stimmt. Letztes Jahr war das Rennen insgesamt 31 Sekunden früher zu Ende.
„Der Hinterreifen hat gegen Mitte im dritten, vierten, fünften Gang durchgedreht, als sei es ein Regenreifen. Ich konnte nur noch 80 Prozent Gas geben.“
Ich hatte Angst, dass irgendwas schief geht. - Jorge Lorenzo
„Ich hatte schon etwas Angst.“
Und die ist verständlich.
„Ich hatte Angst, dass irgendwas schief geht.“
Pedrosa stimmte in den Tenor ein. „Auf den Geraden war es im dritten bis fünften Gang als führen wir im Nassen.“
Und Redding? Der wurde Letzter. „Der Reifen ist im wahrsten Sinne des Wortes auseinandergefallen – das sollte ich vielleicht nicht sagen, aber das ist die Wahrheit.“
Mehr zu Redding und seiner Angst in Jerez
In der Geschichte des Rennsportes hat es schon einige Entscheidungen gegeben, die auf die Reifen zurückgegangen sind. Daher wurden überall – erst in der Superbike WM und dann in der MotoGP – Einheitsreifen durchgesetzt.
Auch Bridgestone hatte Probleme – siehe Nakano 2004, siehe Phillip Island 2013. Aber bei Michelin ziehen die sich nun schon über die gesamte Saisonvorbereitung und die ersten vier Saisonrennen.
Manch einer wird jetzt erkennen: So schlecht, wie die Fahrer – die im ersten freien Training die Streckenrekorde brachen – immer sagten, waren die Bridgestones gar nicht. Für den japanischen Hersteller ist das Michelin-Desaster gerade wohl die bessere Werbung.
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