Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Carlos Ezpeleta
Mit Sprints und Funk orientiert sich die Dorna zu sehr an der Formel 1 - Man hätte für eine bessere Show auch Michelin beim neuen Vorderreifen unterstützen müssen
Carlos Ezpeleta übernimmt immer mehr Aufgaben im Tagesgeschäft
Foto: LAT Images
Liebe MotoGP-Fans,
das Indonesien-Wochenende fand ich mit allen Drehungen und Wendungen sehr unterhaltsam. In der WM geht es weiter hin und her, wobei sich Jorge Martin nach dem Sturz im Sprint mit einem eindrucksvollen Sieg zurückgemeldet hat. Nun liegt es wieder an Francesco Bagnaia, dagegenzuhalten und Punkte aufzuholen.
Die größte Farce hat sich aber nach dem Grand Prix abgespielt. Gegen drei Fahrer gab es eine Untersuchung wegen des Mindestdrucks im Vorderreifen. Rund zwei Stunden mussten wir warten. Zunächst hieß es, dass zwei Entscheidungen erst beim nächsten Rennen verkündet werden.
Das kann doch bitte nicht sein! Die MotoGP wirkte in den zwei Stunden nach dem Rennen wie eine Amateurserie und nicht wie eine Königsklasse. Schon im Vorjahr habe ich diesbezüglich geschrieben, dass das im Falle einer WM-Entscheidung ein Supergau wäre.
Schließlich kamen dann doch noch alle Entscheidungen. Es gab drei Untersuchungen mit drei unterschiedlichen Ergebnissen. Gut, das nehmen wir so zur Kenntnis. Aber das alles lässt die MotoGP in keinem guten Licht erscheinen.
Warum nicht nur Michelin beim Vorderreifen Schuld hat
Oft höre ich, dass die Schuld auf Michelin geschoben wird. Warum können sie nicht einen besseren Vorderreifen bauen, so der Tenor. Der neu entwickelte Vorderreifen wird statt 2025 erst 2026 kommen. Aber das ist nicht vordergründig die Schuld von Michelin.
Denn auch die Teams und die Dorna haben maßgeblichen Anteil daran. Die Teams haben während der Saison kaum Interesse, Reifentests zu machen. Sie sind mit ihren eigenen Dingen beschäftigt. Weil es so viele Rennen gibt, hält sich die Begeisterung für zusätzliche Testtage in Grenzen.
Beim Montagstest in Misano wurden die Teams für eine halbe Stunde gezwungen, den Entwicklungsreifen zu fahren. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten wahrscheinlich nur wenige Fahrer ein paar Runden damit gedreht - wenn überhaupt.
Michelin klagt, dass die Teams zu wenige Reifentests machen wollen
Foto: Motorsport Images
Ohne genügend Tests auf verschiedenen Strecken und bei verschiedenen Bedingungen kann ich Michelin verstehen, dass sie nicht überstürzt einen Vorderreifen einführen wollen. Denn der Vorderreifen ist bei einem Motorrad extrem wichtig.
Der bisherige Vorderreifen ist durch Entwicklungen wie die Ride-Height-Systeme (Verbot erst 2027) und die Aerodynamik (Beschneidung erst 2027) an die Grenzen der Belastung gekommen. Deswegen gibt es die Überwachung des Mindestdrucks.
Aber all das sorgt dafür, dass Überholmanöver schwierig werden und die Action auf der Strecke leidet. Meiner Meinung nach hätte die Dorna als Promoter Michelin im Bestreben mehr Tests zu ermöglichen viel stärker unterstützen und die Teams zu Tests zwingen müssen.
Denn der neue Vorderreifen ist für eine bessere Show entscheidend. Und dafür ist auch die Dorna zuständig. Stellvertretend habe ich deshalb heute Sportdirektor Carlos Ezpeleta für unsere traditionelle Montagskolumne nominiert.
Funksystem ist der nächste Schritt
Die großen Entscheidungen trifft zwar immer noch Carmelo Ezpeleta, aber Carlos rückt im Tagesgeschäft immer mehr in den Vordergrund. Es ist verständlich, dass Carmelo im Alter von 78 nach den schwierigen Pandemie-Jahren etwas mehr in den Hintergrund tritt.
Aber es ist nicht nur die Reifenthematik, die ich kritisiere. Sondern Carlos Ezpeleta war auch maßgeblich für die Einführung der Sprints. Ich bin nach wie vor kein Fan dieses Formats, denn ein Rennen muss etwas Besonderes sein. 40 Rennen pro Jahr sind zu viele.
Die nächste Idee ist die Einführung des Funks. Aus Sicherheitsgründen kann das ein guter Schritt sein. Denn man könnte Fahrer schneller warnen, wenn davor ein Unfall passiert ist, oder zum Beispiel in einer Kurve eine Ölspur liegt.
Francesco Bagnaia ist ein großer Kritiker des geplanten Funksystems
Foto: Motorsport Images
Mittelfristig ist aber geplant, dass Team und Fahrer miteinander sprechen können. So wie in der Formel 1. Die Dorna erwartet sich, dass Funksprüche die TV-Übertragung aufpeppen. Das mag durchaus sein, aber das war nie Teil des Motorradrennsports.
Die Faszination besteht darin, wie ein Fahrer seine Maschine beherrscht und selbständig Entscheidungen trifft. Auf der Strecke ist er mehr oder weniger auf sich alleine gestellt. Der Mensch macht den Unterschied. Das sind die Helden, die uns so begeistern.
Ich halte es deshalb für den falschen Weg, zu viele Dinge von der Formel 1 zu übernehmen und versuchen, sie zu kopieren. Das ist aber ein Weg, den Carlos Ezpeleta mit Sprints und Funk eingeschlagen hat.
In Misano 2 war Liberty-Chef Greg Maffei zu Gast. Ins operative Geschäft ist Liberty noch nicht eingebunden. Das wird erst möglich sein, wenn die Übernahme der Dorna durch die Kartellbehörden abgesegnet wurde - vermutlich bis Ende des Jahres.
Kalender 2025 mit Fragezeichen
Momentan trifft die Dorna noch alle Entscheidungen selbst. So auch beim Kalender für 2025. 22 Rennwochenenden stehen im Kalender, wobei ich mir nicht sicher bin, ob wirklich alle Rennen stattfinden werden.
Argentinien ist ein großes Fragezeichen. Die Wirtschaftspolitik von Präsident Javier Milei hat die Armut in Argentinien in die Höhe schnellen lassen. Aufgrund der Finanzierung wurde schon in diesem Jahr das Rennen gestrichen.
Die neue Strecke in Ungarn ist momentan nicht für die MotoGP geeignet
Foto: Dorna
Der neue Balaton-Park-Circuit in Ungarn hat keine FIM-Homologation für Superbike und vor allem nicht für die MotoGP. Es müsste einiges umgebaut werden. So wie die Strecke jetzt ist, wird dort ganz sicher kein MotoGP-Rennen stattfinden.
Seltsam wirkt die Dorna auch in Bezug auf Indien. In diesem Jahr wurde das Rennen abgesagt, im nächsten Jahr findet es auch nicht statt, aber ein Comeback soll es 2026 geben. Die Strecke ist dort in Ordnung, aber es geht um Themen der Finanzierung und der Zollbehörden.
In einigen Aspekten wirkt die Dorna nicht professionell genug. Wie die Zukunft mit Liberty aussehen wird, werden wir sehen. Sie werden sicher auch einige gute Dinge einbringen. Aber ich hoffe, dass die Formel 1 nicht noch mehr zum Vorbild wird.
Ihr,
Gerald Dirnbeck
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