Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Die MotoE-Fraktion
Auch im sechsten Jahr ist das Interesse für die Elektrorennserie praktisch nicht vorhanden - In dieser Form macht eine Fortführung der MotoE wenig Sinn
Die MotoE fuhr 2024 ihre sechste Saison und weckte weiterhin kaum Interesse
Foto: Motorsport
Liebe MotoGP-Fans,
das erste von zwei Rennwochenenden in Misano hat ein deutliches Zuschauerplus gebracht. Alleine am Sonntag waren mit knapp 90.000 Besuchern rund 10.000 mehr an der Strecke als im Vorjahr. Es ist schön zu sehen, dass das Interesse auch in der Ära nach Valentino Rossi groß ist.
Nach dem glorreichen Sprint-Sieg war am Sonntag natürlich Jorge Martin der große Verlierer. Ich habe ihn heute aus einem guten Grund trotzdem nicht für unsere traditionelle Montagskolumne ausgewählt. Denn im Motorradrennsport kommt es vordergründig auf den Fahrer an.
Es ist nicht so wie in der Formel 1, wo der Fahrer im Hintergrund hunderte Ingenieure hat und ihm per Funk mitgeteilt wird, wann er was wie zu tun hat. Auf dem Motorrad trifft letztendlich der Fahrer die Entscheidung. Und das ist auch sehr gut so!
Diese menschliche Komponente ist in unserem Sport ein Teil der Faszination. Menschen machen Fehler. Manchmal trifft man die richtige Entscheidung und ist der Held, manchmal ist man der Depp. Das gehört zu unserem geliebten Rennsport einfach dazu.
In Misano wurde im Rahmen der Grands Prix auch der erste Weltmeister der Saison gekürt: Hector Garzo. Einige unserer geschätzten Leser werden sich nun fragen, Hector wer? Das ist der Kern der Sache, denn das Interesse für die MotoE ist praktisch nicht vorhanden.
Die MotoE bietet spektakuläre Rennen, aber ...
Aber Ehre, wem Ehre gebührt! Garzo und das IntactGP-Team haben eine tolle Saison gezeigt und sind verdient Weltmeister. Es ist sehr schwierig, sich bei nur acht Rennwochenenden (16 Einzelrennen) und in den sehr kurzen Rennen einen Vorteil zu erarbeiten.
Für die MotoE spricht, dass die Rennen immer viel Action bieten, die Fahrer ständig miteinander kämpfen und Energiesparen wie in der Formel E keine Rolle spielt. Die MotoE-Rennen zählen oft zu den unterhaltsamsten des ganzen Rennwochenendes.
Aber es bekommt kaum jemand mit. Wir haben auf unserem Portal zu Beginn über die Rennserie berichtet. Mit der Zeit mussten wir aber feststellen, dass die Artikel immer weniger bis schlussendlich kaum noch gelesen wurden. Kein Interesse.
Hector Garzo und das deutsche IntactGP-Team eroberten den WM-Titel
Foto: Motorsport Images
Spätestens wenn die MotoE am Samstagnachmittag ihr zweites Rennen fährt, kann man die verbliebenen Zuschauer auf den Tribünen fast an einer Hand abzählen. Auch Promoter Dorna behandelt die Serie meiner Meinung nach stiefmütterlich.
Als die MotoE zur Saison 2019 im Rahmen der MotoGP eingeführt wurde, konnte ich die Hintergründe verstehen. Auf der einen Seite wollte man eine Plattform für Elektrotechnologie schaffen. Die Dorna wollte sich auch einen grüneren Anstrich verpassen.
Prinzipiell finde ich es gut, wenn man neue Technologien ausprobiert. Denn der Motorsport soll ja auch weiterhin ein Entwicklungsfeld bleiben und nicht nur Show sein. Aber im Gegensatz zum Automobilbereich gab es im Motorradrennsport von Anfang an Probleme mit Elektromotorrädern.
Die MotoE hat von Anfang an Probleme
Mit Energica wurde damals mit Ach und Krach ein Partner gefunden, der ein Serienmotorrad für den Rennsport umrüstete. Auch um die Kosten nicht explodieren zu lassen, setzt die Dorna in der MotoE auf Einheitsmotorräder.
Das ist auch nachvollziehbar, zeigt aber das große Problem auf. Wenn es in der MotoE Wettbewerb zwischen Herstellern geben würde, dann wäre die Serie aus technischer Sicht sicherlich interessant, denn man könnte Weiterentwicklungen in diesem Bereich wirklich sehen und greifbar machen.
Aber erstens ist das Interesse der Hersteller für diese Elektroplattform zu gering. Zweitens würden bei einem echten Entwicklungsrennen die Kosten explodieren und bestimmt MotoGP-Budgets übertreffen. Das ist einfach unrealistisch.
Die Ladestationen für die MotoE-Motorräder im Paddock
Foto: SMG/Dirnbeck
Die etablierten Motorradhersteller setzen primär nicht auf die Elektrozukunft. Innerstädtisch hat ein Elektroantrieb sicherlich Sinn, um die Roller mit 50 oder 125 Kubikzentimeter zu ersetzen. Aber ein Elektroantrieb beim boomenden Segment der Tourenmotorräder ist in der Masse unrealistisch.
So dümpelt die MotoE nun seit Jahren dahin. Auch mit dem Wechsel zum Ducati-Motorrad 2022 erlebte die Serie keinen Zuwachs an Interesse. Als Ersatz für Energica fand die Dorna auch keinen anderen Hersteller, der ein MotoE-Motorrad bauen wollte.
Ducati hatte diesbezüglich das Know-how von Audi im Hintergrund. Der deutsche Hersteller hat Hybriderfahrung von Le Mans, Elektroerfahrung von der Formel E sowie mit dem revolutionären Elektro-Hybrid bei der Rallye Dakar.
Die Ducati V21L ist im Handel nicht für Kunden erhältlich
Foto: Ducati Corse
Der Vertrag zwischen der Dorna und Ducati läuft noch bis Ende 2026. Meiner Meinung nach kann man spätestens dann die MotoE einstampfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Serie in den kommenden beiden Jahren einen Boom an Zuschauern erleben wird.
Ab 2027 fahren die MotoGP, die Moto2 und die Moto3 mit 100 Prozent fossilfreiem Kraftstoff. Das erachten die Hersteller derzeit als die Zukunft für Rennmotorräder, aber auch für Straßenmotorräder. Eine MotoE wird weiterhin keine Rolle spielen.
Ihr,
Gerald Dirnbeck
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