Toprak Razgatlioglus Wechsel zu BMW: Cleverer Schachzug oder Karrierekiller?
Megatransfer in der Superbike-WM: Ex-Weltmeister Toprak Razgatlioglu unterschreibt bei BMW, erteilt der MotoGP damit eine Absage und setzt auf Risiko
Liebe Freunde der Superbike-WM,
die Pause zwischen den WSBK-Events in Barcelona und Misano wurde gestern durch eine Meldung unterbrochen, die es in sich hatte: Toprak Razgatlioglu verlässt Yamaha zu den Reaktionen von Yamaha und Razgatlioglu und wechselt nach der laufenden Saison zu BMW zu den Reaktionen der BMW-Verantwortlichen.
Die WSBK-Saison 2023 wird somit Razgatlioglus letzte bei den "Blauen" sein. Diese Meldung will ich zum Anlass nehmen, um die Konsequenzen dieses Transfers zu beleuchten. Zudem möchte ich versuchen, Ihnen zu erklären, warum der Wechsel gar nicht so verrückt ist, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag.
Fakt ist, dass durch den Wechsel zu BMW der Traum von der MotoGP geplatzt ist. Denn auch wenn BMW die Laufzeit des Vertrags verheimlichte, kann man wohl davon ausgehen, dass sich Razgatlioglu für mehr als ein Jahr an die Münchner gebunden hat. Alles andere wäre eine große Überraschung.
Das Thema MotoGP ist damit praktisch vom Tisch. Denn im Oktober feiert Razgatlioglu bereits seinen 27. Geburtstag. Sprich, am Ende seiner zweiten BMW-Saison wird er 29 Jahre alt sein. Für die MotoGP-Teammanager sind 30-Jährige aus der Superbike-WM kaum interessant, so bitter das klingen mag.
Toprak Razgatlioglu bleibt der Superbike-WM erhalten Foto: BMW Motorrad
Welche Rolle der MotoGP-Test mit Yamaha spielte
Yamaha bot Razgatlioglu im April die Chance, das MotoGP-Bike zu testen. Die wichtigsten Yamaha-Entscheidungsträger waren vor Ort, um den Test zu verfolgen. Auf den ersten Blick deutete alles darauf hin, dass Yamaha ernsthaft überprüfen möchte, ob Razgatlioglu für den zweiten Platz im MotoGP-Werksteam in Frage kommt. Doch wenn man Razgatlioglu genau zuhörte, dann waren die zwei Tage in Jerez eher ein Alibitest.
Toprak Razgatlioglu war mit dem MotoGP-Test alles andere als happy Foto: Yamaha
Diese ganze Geschichte erinnert mich sehr stark an das, was 2019 beim Langstreckenrennen in Suzuka passiert ist. Damals war Razgatlioglu als dritter Fahrer des Kawasaki-Werksteams gesetzt. Im Rennen aber teilten sich Jonathan Rea und Leon Haslam die Fahrzeit untereinander.
Suzuka 2019: Jonathan Rea und Leon Haslam fuhren ohne Toprak Razgatlioglu zum Sieg Foto: Kawasaki
Hat die BMW M1000RR mehr Potenzial als die Yamaha R1?
Auf den ersten Blick klingt es absurd, ein potenzielles Sieger-Bike wie die Yamaha R1, gegen ein bisher kaum erfolgreiches Motorrad einzutauschen. Viele WSBK-Fans haben gestern mit Unverständnis auf die Meldung vom Transfer reagiert. Wechselt Razgatlioglu nur wegen des Geldes zu BMW?
BMW M1000RR: Nach nur zwei Jahren schob BMW eine neue Version nach Foto: BMW
Yamaha R1: Zu wenig Spitzenleistung und keine Aero-Gadgets Foto: Yamaha
BMW nimmt das Projekt in der Superbike-WM sehr ernst
Klar, BMW konnte mit der neuen M1000RR noch nicht die Erwartungen erfüllen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir das Potenzial der Maschine noch nicht einmal ansatzweise sehen konnten. Der kurze Testwinter mit dem späten Saisonfinale 2022 und dem zeitigen Saisonauftakt 2023 war für BMW keine Hilfe. Die Münchner brauchen mehr Zeit, um die neue M1000RR zu entwickeln.
Der kurze Testwinter war keine Hilfe für BMW Foto: Gold and Goose
Die Voraussetzungen für Erfolg sind bei BMW vorhanden. Der Motor hat ohne Zweifel mehr Potenzial als das in die Jahre gekommene Yamaha-Triebwerk. Und auch beim Gebiet der Aerodynamik wirkt das BMW-Superbike moderner.
Radikal: Das Aero-Paket der 2023er-BMW soll mehr Abtrieb bei weniger Luftwiderstand haben Foto: WorldSBK.com
Toprak Razgatlioglu allein kann die Wende nicht vollziehen
Ein absoluter Spitzenfahrer und ein Motorrad mit Potenzial: Allein das reicht nicht aus, um in der hart umkämpften Superbike-WM erfolgreich zu sein. Die Verpflichtung von Razgatlioglu ist aber als ein sehr starkes Signal von BMW zu verstehen. Die Münchner meinen es ernst!
Mit dem Razgatlioglu-Deal muss ein Ruck durchs Team gehen. Im Idealfall bringt Razgatlioglu noch einige Schlüsselpersonen mit zu BMW. Ich vermute, dass Crewchief Phil Marron mit zu BMW wechselt. Das Wissen und die Erfahrungen, die dadurch zu BMW kommen, sind von großem Wert.
Begleitet Crewchief Phil Marron seinen Schützling zu BMW? Foto: Yamaha
Ein weiterer wichtiger Punkt: Für BMW ist die Verpflichtung des Ex-Champions ebenfalls ein großes Risiko. Mit Razgatlioglu hat man ab 2024 den wohl besten Fahrer der Superbike-WM im Kader. Sprich, wenn Razgatlioglu mit der BMW nicht um Siege kämpfen kann, dann wird BMW dafür als Sündenbock herhalten müssen. Sollte BMW auch mit Razgatlioglu nicht erfolgreich sein, dann ist das als potenzielle Gefahr für die Zukunft des Projekts zu deuten.
Wer bekommt den zweiten Platz im BMW-Werksteam?
Gespannt bin ich, wer 2024 Teamkollege von Razgatlioglu sein wird. Wenn sich Michael van der Mark von seiner Verletzung erholt und zu alter Stärke findet, dann hat er gute Chancen, auch 2024 für das BMW-Werksteam zu fahren. Der Niederlänger gilt als Sympathieträger und ist ein absoluter Kämpfer. BMW hat nicht vergessen, dass Van der Mark den bisher einzigen Sieg sichergestellt hat.
Michael van der Mark hat gute Chancen, Teamkollege von Toprak Razgatlioglu zu werden Foto: BMW Motorrad
Während Michael van der Mark den BMW-Neuzugang gestern mit einem Social-Media-Post begrüßte, sah man Scott Redding nur beim Rennradfahren. Kein Kommentar zu Razgatlioglus Wechsel zu BMW.
Was macht Scott Redding nach der laufenden Saison? Foto: Gold and Goose
Gelingt BMW mit Razgatlioglu der Sprung an die Spitze? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!
Sportliche Grüße,
Sebastian Fränzschky
Mit Bildmaterial von Yamaha.
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