Analyse: Wenn es einfach nicht reicht, das schnellste Auto zu haben
Porsche 5:1 Audi. In der diesjährigen Saison der Langstrecken-WM (WEC) scheint Audi so richtig verprügelt zu werden. Die reinen Zahlen spiegeln aber noch nicht einmal die Hälfte der Geschichte wider, wie Charles Bradley erklärt.
Foto: XPB Images
"Wieso verschenkt ihr immer wieder Rennsiege?" Toyota-Fahrer Anthony Davidson ist gut aufgelegt, als er mit Audi-Botschafter Allan McNish – ebenfalls ein ehemaliger Weltmeister – nach dem 6-Stunden-Rennen in Austin, dem zweiten WM-Lauf in Folge, in dem Porsche Audi den Sieg in letzter Minute weggeschnappt hat, durchs Fahrerlager läuft.
"Wieso könnt ihr nicht besser sein als Fünfter?" schießt McNish zurück, woraufhin ihm der Brite den Mittelfinger zeigt und weggeht. Das sind diese Art Sticheleien, die in der Formel 1 leider fehlen. Ich kann mich nur an den "Möven-Zwischenfall" zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel in Montreal in diesem Jahr erinnern, bei dem es ähnlich schlagfertig zuging. Im Scherz wird aber auch viel Wahres gesagt. Tatsache ist, das Audi die Pace und Fähigkeit hatte, den 6. WEC-Lauf zu gewinnen, nachdem sie ihre beiden vordersten Startplätze in eine dominante Doppelführung umwandeln konnten, bis die Sonne unterging.
Dann ging am #8 R18 die Elektrik ein, als Loic Duval am Steuer saß und der Extra-Boxenstopp verfolgte ihn von da an. Der Porsche konnte dagegen länger fahren und im Gegensatz zum Audi-Stopp bei vollem Rennbetrieb, unter Gelb an die Box kommen.
Dadurch kam der #1 Porsche an die Spitze und blieb auch da, während die #7 bei der Aufholjagd einen Crash hatte und die #8 nach zwei Boxenstopps in zwei Runden, um die Fahrertüre ordentlich zu schließen, nur Zweiter wurde.
"Dieser Rückschlag hat uns hart getroffen"
Nach dem Rennen gab Audi offen zu, dass man es selber versemmelt hatte.
"Es ist kaum zu glauben, wie viel in einem Rennen von sechs Stunden schiefgehen kann", sagte Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich. "Wir waren in allen Abschnitten schnell und im Rennen fuhr keiner schnellere Rundenzeiten als wir."
"Die Rückschläge treffen uns hart, denn heute wäre ein Doppelsieg möglich gewesen. Angesichts dessen ist der 2. Platz ein schwacher Trost."
Das war nirgends deutlicher zu sehen, als nach dem Rennen am Samstagabend am Eingang zum Pressezentrum. Ich wollte vor der Pressekonferenz ein Einzelinterview mit Mark Webber und während der sich über den Sieg freute (wie im Video unten zu sehen ist), kamen vor ihm die Audi-Fahrer Lucas di Grassi und Oliver Jarvis herein.
Lucas brummelte "ich kann es nicht glauben, dass wir einen weiteren Sieg verloren haben" – während der Ärger in Ollys Gesicht deutlich zu sehen war, als er mit der Audi-Pressedame Eva-Maria Vieth vorbei stürmte.
Warum schwankt Audi?
Für Audi war die WEC bisher eine einzige Achterbahnfahrt und das normalerweise unerschütterliche Team Joest Racing hat schon mehr als ein Mal das Gleichgewicht verloren – vielleicht die Nachwirkungen einiger Veränderungen beim Personal über den Winter. In Silverstone schockte man alle mit einem Sieg auf der Strecke, der pünktlich um Mitternacht aberkannt wurde, weil der Bodenabstand des Autos zu gering war.
In Spa erbte Audi den Sieg nach einem aufreibenden Rennen – feierte aber trotzdem einen verdienten Sieg. Le Mans war ein Desaster, zumindest an ihren hohen Standards gemessen, während der Nürburgring und jetzt Austin reine Porsche-Angelegenheiten waren.
Trotzdem ist der R18 immer stärker geworden. Er ist dem Porsche 919 Hybrid auf einer Runde nun ebenbürtig und man kann sogar sagen, er ist schneller – wenn er innerhalb des Reifenfensters ist.
Audi stolpert in den Rennen aber über die eigenen Füße und wird immer wieder von Schäden durch Trümmerteile an der komplexen Aerodynamik an der Front des Autos heimgesucht, was ihn anfällig dafür macht, die Vorderreifen "abzuschalten", was wiederum massives Untersteuern zur Folge hat. Er ist schnell, aber immer noch anfällig – aber das hat man eben davon, wenn man sich für ein radikales Design entscheidet, wie Audi das getan hat.
Das Wesen dieser WEC-LMP1-Rakete bedeutet, dass es von Strecke zu Strecke einige Schwankungen gibt – Toyota setzt bei der Aerodynamik beispielsweise auf wenig Abtrieb, was auch der Grund dafür ist, dass sie in Le Mans so schnell waren, aber nicht am Nürburgring.
Der aktuelle Champion Porsche ist seit dem letztjährigen Rennen am Nürburgring auf allen Strecken Spitze, die Überlegenheit wird aber Woche für Woche kleiner.
Was passiert als Nächstes?
Nachdem man letzten Samstagabend gemeinsam mit McNish über die Niederlage gegrübelt hat, kam die Sprache schnell wieder auf das, was kommt. Sicher, Toyota wird durch die Abstimmung mit wenig Luftwiederstand und starkem mechanischen Grip in Fuji zur Gefahr werden, aber Audi und Porsche sollten wieder nahe beieinander sein.
Die Punktetabelle zeigt die alte Geschichte: Porsche ist in der Herstellerwertung schon bei 53 Punkten und die #2 liegt 37,5 Punkte vor dem #8 Audi, der in Mexiko nach einem Radlagerschaden viel Boden verloren hat. Nimmt man das mit Austin zusammen, wäre der Stand 3:3 anstatt 5:1.
Niemand bei Audi gibt den Kampf auf. Während noch ein paar Kämpfe anstehen, kann man aber kaum verleugnen, dass der #2 Porsche – mit dem geerbten Sieg in Silverstone und dem doppelten Punktegewinn in Le Mans – den Krieg schon gewonnen hat.
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