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Domenicali: Verpasste Chance auf Reset wäre "kriminell"

Stefano Domenicali sieht in der aktuellen Coronakrise eine Chance für einen Neustart im Motorsport und drängt darauf, dass man diese nicht verpassen sollte

Laut Stefano Domenicali wäre es "kriminell", wenn der Motorsport in der aktuellen Coronakrise nicht die Chance ergreifen würde, den Sport für die Zukunft zu resetten.

Der frühere Ferrari-Teamchef und heutige Geschäftsführer von Lamborghini und Präsident der FIA-Formelsport-Kommission sagt im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport.com' für die Serie #ThinkingForward, dass sich der Sport zu viel Zeit gelassen hat, um mit einer effektiven Kostenkontrolle und anderen Maßnahmen eine langfristige Gesundheit zu schaffen.

Angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs werden die Investitionen von Herstellern, Sponsoren und Teams von der Formel 1 an abwärts aber in Frage gestellt. Deswegen wird hinter den Kulissen jetzt viel getan, um den Sport neu aufzustellen.

"Ich glaube, dass die FIA, Liberty und die Teams in die richtige Richtung gehen, wie sie über die Zukunft denken", sagt er. "Man muss die Chance ergreifen und darf sie nicht liegenlassen. Ansonsten ist das Risiko sehr hoch, dass es nicht mehr die Plattform wird, die sie einmal war."

"Wir dürfen nicht vergessen, dass die Zahl der verkauften Tickets für die Grands Prix bis jetzt unglaublich hoch war. Und das war die Situation vor der Krise. Jetzt müssen die Teilhaber sicherstellen, dass dieses Interesse auch nach der Krise noch vorhanden sein wird."

In der vergangenen Woche hat die FIA eine Art Schutzklausel in den Internationalen Sportkodex eingefügt. Dadurch können Änderungen für 2021 kurzfristiger als normal umgesetzt werden und benötigen auch nur noch die Zustimmung der Mehrheit der Teams, nicht mehr Einstimmigkeit. Der wichtige Moment, um Früchte zu tragen, wird Mitte Juni das Meeting des Motorsport-Weltrates sein.

Diskussionen müssen geführt werden

"Es wäre kriminell, wenn man nicht die Möglichkeit ergreift und die Punkte noch einmal aufgreift, von denen wir wissen, dass wir sie verbessern müssen", fügt Domenicali an.

"Daher arbeiten wir in diesen Wochen daran, dass wir dem Weltrat im Juni Ideen präsentieren können, die wir diskutieren, die aber sonst immer wieder verschoben werden. Denn das System wurde akzeptiert, als die Situation sehr gut war. Jetzt müssen wir es aber aufnehmen. Denn es wäre kriminell, wenn wir den Zeitpunkt verpassen würden."

"Ich sehe es als Möglichkeit für die Motorsport-Industrie, sich zu verändern. Motorsport wird ohne Zweifel auch in der Zukunft ein wichtiger Teil sein, aber kurzfristig müssen wir die Investitionen, den Level an Technologie und auch die Anzahl der Meisterschaften überdenken. Und vielleicht auch die Einstellung der Hersteller, sei es als Ausrüster eines Privatteams oder als Konstrukteur."

1986
Ja, bereits in den 80ern liebäugelt Ferrari mit einem Formel-1-Ausstieg. Damals segnet noch Enzo Ferrari persönlich den Bau eines IndyCars ab, weil er unzufrieden mit dem angekündigten neuen Motorenreglement der Königsklasse ist. Der Ferrari 637 (Foto) aus der Feder von Gustav Brunner wird sogar gebaut - kommt aber nie zum Einsatz.
1986
Meint es Ferrari damals überhaupt ernst mit seinen IndyCar-Plänen oder ist der 637 nur Mittel zum Zweck? Daran scheiden sich bis heute die Geister. Letztendlich bekommt Ferrari jedenfalls seinen Willen in Form des V12-Motors - und das IndyCar-Projekt wird plötzlich gestoppt. Es soll nicht die letzte Drohung der Italiener bleiben ...
2004
Im neuen Jahrtausend gibt es gefühlt jährlich neue Drohungen aus Maranello. Ende 2004, als Michael Schumacher für Ferrari gerade zum fünften Mal in Folge Weltmeister geworden ist, gibt Luca di Montezemolo der 'Welt am Sonntag' ein Interview, das aufhorchen lässt. Es geht um künftige Einnahmenverteilung, Testbeschränkungen und mehr.
2004
Der Formel-1-Führung richtet der Ferrari-Präsident aus: "Sie sollte sich im Klaren sein, dass nach 2007 der Wert der alten Formel 1 gleich null sein wird, falls es zu keinem Konsens kommt. Sie würde wie ein Hollywood-Produzent ohne Schauspieler dastehen." Er droht mit einer eigenen Serie unter anderem Namen - die aber natürlich nie kommt.
2008
Vier Jahre später sind mögliche Einheitsmotoren der Streitpunkt. Ferrari lässt ausrichten, man sei "tief besorgt über Projekte zur Standardisierung der Motoren. Das würde der Formel 1 ihre Daseinsberechtigung nehmen." Es geht um die neuen Regeln ab 2010, die später für noch mehr Ärger sorgen sollen ...
2009
Wenige Monate später legt Ferrari noch einmal nach. Dieses Mal geht es um eine Budgetobergrenze und eine mögliche Zwei-Klassen-Formel-1 ab 2010. Das schmeckt den Italienern gar nicht. Man habe Angst vor zwei verschiedenen Reglements, "die auf willkürlichen technischen Regeln und wirtschaftlichen Parametern basieren."
2009
Mit den neuen Regeln würden "nicht mehr die Bedingungen für den Verbleib Ferraris in der Meisterschaft bestehen. Wenn sich die Regeln für 2010 nicht ändern, werden wir nicht an der Formel 1 teilnehmen", heißt es aus Maranello. Den Machtkampf mit FIA-Präsident Max Mosley gewinnt die Scuderia am Ende - und bleibt. Mosley nicht.
2014
Die neue Hybridformel kommt bei vielen nicht gut an - weshalb in Italien die Alarmglocken läuten. Druckmittel: Le Mans. "Die Formel 1 funktioniert nicht", urteilt di Montezemolo und erklärt: "Sie lässt nach, weil vergessen wurde, dass die Leute den Rennsport schauen, weil er aufregend ist. Niemand schaut Rennen wegen der Effizienz."
2014
"Wir können nicht Formel 1 und Sportwagen machen. Das ist nicht möglich", so der Präsident damals im 'Wall Street Journal'. Mit anderen Worten: Wenn sich in der Formel 1 nichts ändert, dann gehen wir nach Le Mans - und müssen die Königsklasse aufgeben. Passiert aber natürlich nicht, ein Ferrari-LMP1 kommt nie.
2015
Montezemolo-Nachfolger Sergio Marchionne beweist ein Jahr später, dass auch er diese politischen Spielchen spielen kann. "Wird die Formel 1 wie die NASCAR-Serie in den USA, bin ich daran nicht interessiert", lässt er ausrichten und stellt klar: "Niemand würde sich für eine Formel 1 ohne Ferrari interessieren, nicht einmal Mercedes."
2015
Streitpunkt erneut: die Motoren. Weil die Hybridantriebe für viele Kundenteams zu teuer sind, stellen Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Jean Todt einen günstigen Alternativmotor in Aussicht. Das schmeckt Ferrari nicht, immerhin fließt eine Menge Geld in das Hybridprojekt. Der Alternativmotor kommt bekanntlich nie - und Ferrari bleibt.
2017
Nach der Ecclestone-Ära beginnt die Zeit von Liberty. Die neuen Eigentümer wollen die Motoren ab 2021 stark vereinfachen - machen die Rechnung aber ohne Ferrari (und zugegebenermaßen auch die anderen Hersteller). "Das ist etwas, was ich für die Zukunft nicht billigen will", so Marchionne im Hinblick auf die geplanten Änderungen.
2017
"Ich möchte Folgendes klarstellen: Sollten wir Umstände vorfinden, deren Ergebnisse der Erhaltung der Marke und dem Markt nicht zuträglich sind, und die die einmalige Position von Ferrari nicht stärken, dann macht Ferrari nicht mit", so der Italiener. Letztendlich setzen sich erneut die Hersteller um Ferrari durch, Liberty rudert zurück.
2018
Auch abseits der Motoren sorgt das Reglement 2021 für Ärger. Marchionne stellt unmissverständlich im Hinblick auf die geplanten technischen Änderungen klar: "Wenn ein Teilnehmer nicht mehr von dem anderen unterschieden werden kann - wenn sich Ferrari nicht mehr von Mercedes abheben kann -, dann werden wir etwas anderes machen."
2020
Auch das Thema Budgetobergrenze sorgt erneut für Ärger. Ursprünglich hat Ferrari einem Kostendeckel von 175 Millionen US-Dollar ab 2021 sogar zugestimmt. Doch die Coronakrise sorgt dafür, dass mehrere Teams - und auch Formel 1 und FIA - nachverhandeln und die Grenze deutlich weiter absenken wollen. Aber nicht mit Ferrari!
2020
"Wenn die Obergrenze noch weiter abgesenkt wird, möchten wir nicht an einen Punkt gelangen, an dem wir uns andere Optionen überlegen müssen, unsere Racing-DNA anwenden zu können", so Teamchef Mattia Binotto in einem Interview mit dem 'Guardian'. Später sagt Ferrari, dass alles nur ein "Missverständnis" gewesen sei. Fortsetzung folgt ...
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"Das sind Diskussionen, die unmittelbar geführt werden müssen, weil es wichtig ist, dass wir das Momentum behalten, auch wenn die Störung enorm ist."

"Wir benötigen eine Grundline, damit wir wissen, wie wir wieder aufbauen können - gesetzt den Fall die Situation verbessert sich in den kommenden Jahren und der Motorsport bleibt eine sehr wichtige Plattform unserer Industrie."

Zwar liegt die Aufmerksamkeit vor allem auf der Formel 1, wo McLaren und Ferrari völlig unterschiedliche Ansichten einer Budgetgrenze haben, doch laut Domenicali wird ein harter Reset in allen Serien benötigt. Durch seine Rolle bei der FIA ist er verantwortlich für den Pfad von der Formel 4 bis in die Formel 1, die als professionelle Karriereleiter angesehen wird.

Domenicali skeptisch über baldigen Start

"Als Präsident der FIA-Formelsport-Kommission grübeln wir über die richtige Entscheidung, wann Formel 4, Formel 4 und Formel 2 wieder starten können und wie eine Kostenreduzierung aussehen kann. Zudem wollen wir sicherstellen, dass diese Formelwelt auch in Zukunft noch attraktiv ist."

"Wir werden die Einführung neuer Technologien nach hinten schieben, um Teams am Leben zu erhalten. Jeder will die Meisterschaften in der zweiten Saisonhälfte aufrecht halten, aber wir müssen auch den Punkt im Auge behalten, ab dem wir uns komplett auf 2021 konzentrieren müssen."

Denn wenn es darum geht, Motorsportrennen vor September auszutragen, ist der Italiener vorsichtig: "Es ist schwierig, weil man die ganzen Gesetze beachten muss", sagt er. "Es geht nicht nur um die Regelungen im Austragungsland. Alle Teams aus verschiedenen Ländern müssen die Gesetze in ihrem Land respektieren."

"Ich möchte es nicht ausschließen. Die Formel 1 versucht schließlich, etwas auf die Beine zu stellen, und es wäre fantastisch. Aber es wäre auch mit Sicherheit eine große Herausforderung."

Mit Bildmaterial von LAT.

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