Technikanalyse: Die Geheimnisse des Mercedes W07
Mercedes hat lange gewartet, bis es der Konkurrenz sämtliche Neuheiten an seinem W07 vorgeführt hat. Giorgio Piola und Matt Somerfield analysieren, ob der neue Silberpfeil eine revolutionäre Neuentwicklung oder eine natürliche Evolution des W06 ist.
Foto: Giorgio Piola
Formel-1-Technik mit Giorgio Piola
Giorgio Piola analysiert und erklärt die Technik in der Formel 1!
Frontflügel und Frontpartie
Die Frontpartie des Fahrzeugs zog beim Test in Barcelona die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Denn als das Auto am Donnerstag der ersten Testwoche aus der Garage rollte, wollte jeder einen Blick auf den neuen S-Schacht erhaschen.
Dabei hatte das Auto auch einen überarbeiteten Frontflügel. Und Mercedes gestand: Sicherzustellen, dass der neue Flügel auch die erforderlichen Stabilitätschecks überstehen würde, war alles andere als einfach.
Die Haltestreben des Frontflügels stehen beim neuen Modell sehr nahe beisammen. Außerdem wurde der Bereich zwischen dem neutralen Mittelstück und den Flaps neu gestaltet. In jedem Fall aber ist Mercedes davon überzeugt: Dieser Frontflügel kann so auch ins Rennen gehen.
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Sämtliche Veränderungen dienen der Optimierung der aerodynamischen Gesamtleistung.
S-Schacht
Wir nennen diese Vorrichtung einen S-Schacht, wobei die Mercedes-Lösung etwas anders gestaltet ist als die Ansätze von McLaren oder Force India.
Beim W07 sitzen die Lufteinlässe weit vorn, in einer ähnlichen Designphilosophie, wie sie Ferrari beim F2008 (siehe unten) angewendet hat.
Luftleitbleche
Zur neuen Nase hinzu kommen bei Mercedes eine ganze Reihe von Luftleitblechen, die wir in ähnlicher Form schon beim W06 gesehen haben. Die neue Variante verfügt jedoch über sechs Schlitze im waagrechten Teil, um den Luftstrom noch gezielter zu lenken.
Bat-Wing
Zwischen den Luftleitblechen und vor dem Seitenkasten ist ein sogenannter Bat-Wing angebracht. Einen eben solchen verwendete Mercedes erstmals beim W05 und seither an jedem Auto.
Der Bat-Wing verbessert den Luftstrom an der Unterseite des Chassis und hilft, die Luft auf die aerodynamisch wichtigen Bauteile wie die Windabweiser vor den Kühleröffnungen zu lenken.
Windabweiser
Die Windabweiser, die Mercedes seit dem zweiten Testtag in Barcelona einsetzt, sind für sich betrachtet ein Konzept, das Lotus in ähnlicher Form bereits verwendet hat.
In der Kombination mit ihrer Verankerung bedeuten diese Windabweiser jedoch eine neue Dimension an Entwicklungsarbeit in diesem Bereich.
Die Windabweiser zeichnen nicht nur für die Lenkung des Luftstroms um den Seitenkasten herum verantwortlich, sondern helfen auch, die Leistung des Unterbodens zu optimieren.
Die gezackte Form soll das Einsatzfenster der Windabweiser erweitern und den Luftstrom glätten. Doch insgesamt sind die Windabweiser vor den Seitenkästen natürlich Teil eines ausgeklügelten Gesamtpakets.
Form der Seitenkästen und neue Winglets
Komponenten wie Kühler oder Schläuche, die im Seitenkasten untergebracht sind, geben die Form für den Seitenkasten vor. Außerdem ist hierbei die thermische Abstrahlung des Motors zu beachten. Denn die internen Luftströme haben natürlich eine Auswirkung auf die Gesamtleistung der Aerodynamik.
Mercedes hat zweifelsohne Veränderungen unter der Abdeckung vorgenommen. Die Oberfläche wurde entsprechend modifiziert, um die maximale Leistung zu generieren.
Der sogenannte Undercut am Seitenkasten sorgt dafür, dass die Luft gut um den Seitenkasten herumgleiten kann. Eine zusätzliche kleine Strebe (siehe Pfeil) soll den Luftstrom glätten und lenken.
An der äußeren Ecke des Seitenkastens scheint regelrecht ein Loch im Design zu klaffen (siehe unten). Deutlich zu erkennen ist die Crashstruktur. Ferrari ging 2015 mit dem in Spanien eingeführten Paket einen ähnlichen Weg.
Das Luftleitblech über dem Seitenkasten wurde im Vergleich zum W06 nochmals angehoben. Das wiederum dürfte die Gesamtleistung des Seitenkasten-Systems verbessern.
Im hinteren Bereich des Seitenkastens wurde die Kühleröffnung nach oben versetzt, um einen besseren Luftstrom in den Colaflaschen-Heckbereich des Fahrzeugs zu erzielen. Auch das optimiert die Gesamtleistung.
Airbox
Die Airbox ist ähnlich aggressiv designt wie der Rest des Autos. Der Lufteinlass besteht nun aus der normalen Öffnung für den Turbo.
In die große Öffnung integriert sind jetzt aber auch die „Ohren“, die früher am W05 oder am W06 zeitweise seitlich der Airbox angebracht waren. Das war immer dann der Fall, wenn eine zusätzliche Kühlung erforderlich war.
Auch deshalb war es Mercedes möglich, die Seitenkästen zu verkleinern. Zusätzlich wurden einige Kühler mehr in die Mitte des Autos gerückt.
Fotostrecke: Die neue Mercedes-Frontpartie
Die Öffnung der Airbox ist leicht nach hinten geneigt, um die Oberfläche der Öffnung zu vergrößern. Diese Neigung sorgt auch für eine bessere Luftführung um die Airbox herum.
Bitte beachten: Die großen Kamerahalterungen links und rechts der Airbox können nicht im Rennen eingesetzt werden.
Mercedes hat diese Vorrichtung aber schon öfters zu Testzwecken genutzt und thermische Kameras darin untergebracht, um damit die Vorder- und Hinterreifen zu beobachten. So können die Ingenieure feststellen, was Änderungen am Setup für die Reifenleistung bedeuten.
Unterboden
Der Unterboden wurde im Bereich vor den Hinterrädern stark verändert. Drei zusätzliche L-Einschnitte sind erkennbar. Damit soll verhindert werden, dass bei den Hinterrädern zu große Luftverwirbelungen entstehen. Diese wiederum können nämlich die Leistung des Diffusors vermindern.
Y150-Winglet (Monkey-Seat)
Mercedes hat sich im Heckbereich für ein doppeltes Auspuffsystem entschieden – wie die meisten Teams im Formel-1-Starterfeld. Am W07 sind sie in der sogenannten Shotgun-Variante angebracht, also ähnlich wie bei einem doppelläufigen Gewehr direkt nebeneinander.
Dieses Layout hat Auswirkungen auf den Bereich um das Y150-Winglet, wo 2015 zu jeder Seite noch jeweils ein gesondertes Flügelchen angebracht war.
Ein sogenannter Monkey-Seat wird genutzt, um für eine bessere Balance zu sorgen. Das Design orientiert sich an dem der vergangenen Saison, das vor allem auf Strecken eingesetzt wurde, die nach viel Abtrieb verlangen.
Zusammenfassung
Bei stabilen Regeln setzen die Teams meist nicht auf revolutionäre Ideen, aber Mercedes scheint die Entwicklung weiter sehr aggressiv voranzutreiben.
Foto-Vergleich: Die Formel-1-Autos 2016
Der W07 unterscheidet sich doch sehr von seinem Vorgängermodell. Und Mercedes hat mit den zahlreichen neuen Teilen auch bereits unter Beweis gestellt, dass man kreative Wege gehen will, um mehr Leistung zu finden.
Außerdem liegt ja noch eine ganze Testwoche vor uns. Da wird Mercedes sicher noch die eine oder andere Neuentwicklung präsentieren.
Für uns steht daher bereits fest: Auch der W07 ist ein heißer Kandidat auf die WM-Titel in der Formel-1-Saison 2016!
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