Halbzeitanalyse: Die etwas andere NASCAR-Saison
Es ist Halbzeit im NASCAR-Zirkus, 18 von 36 Saisonrennen sind gefahren. Zeit für eine ausführliche Halbzeitanalyse mit einer neuen Gemenge-Lage.
Foto: Action Sports Photography
Toyota gegen Ford. Oder Joe Gibbs Racing gegen Team Penske. Und wo bleibt eigentlich die Chevy-Fraktion? So in etwa stellt sich die Quintessenz der ersten Halbzeit in der Sprint-Cup-Saison 2016 dar.
Zahlen lügen bekanntlich nicht: 18 der insgesamt 36 Saisonrennen befinden sich in den NASCAR-Büchern und achtmal stand ein Toyota Camry in der Victory Lane.
Fotostrecke: Die Rennsieger der NASCAR-Saison 2016
Jeweils fünfmal durfte die Ford- und die Chevy-Fraktion feiern, wobei Team Penske für alle fünf Erfolge der Ford Motor Company verantwortlich zeichnete.
Umbruch im NASCAR-Powerhouse
Auffällig ist dabei vor allem das Kaumvorhandensein der Hendrick Truppe: Für das einstige Powerhouse der NASCAR gewann lediglich Jimmie Johnson zwei Saisonrennen in Atlanta und Fontana.
Dies geschah allerdings schon früh in der Saison. Seit Mitte März herrscht im Hendrick-Lager eine ausgiebige Funkstille. Von der früheren Hendrick-Dominanz ist also keine Spur zu sehen. Im Gegenteil.
Kein Zweifel: Die gesamte Organisation befindet sich im Umbruch.
Nach dem Rücktritt von Jeff Gordon ist der sechsfache NASCAR-Champion Johnson der neue Hendrick-Leader. Und trotzdem bleibt festzuhalten, dass es die Startnummer 48 in der ersten Saisonhälfte elfmal nicht in die Top 10 schaffte. Für Johnson und dessen Crewchief Chad Knaus eine ungewöhnlich hohe Negativquote.
Dazu kommt, dass Dale Earnhardt Jr. trotz einiger zweiter Plätze nach wie vor sieglos ist. Vor allem auf seinen Top-Strecken in Daytona und Talladega erlebte "Junior" bisher jede Menge Negativerlebnisse.
Kasey Kahne wiederum fährt erneut eine enttäuschende Saison: Nach 18 Rennen gelang ihm noch nicht einmal eine Top-3-Platzierung.
Fotostrecke: Die Polesitter der NASCAR-Saison 2016
Positiv zu bewerten, ist einzig die Debüt-Saison von Rookie Chase Elliott, der sich in der Punktewertung auf Platz acht befindet und damit mit Abstand der erfolgreichste Pilot ohne Saisonsieg ist.
Youngster Elliott kann die großen Erwartungen also erfüllen. Für den erst 20-jährigen Jeff-Gordon-Nachfolger scheint die Premiere in der Victory Lane überfällig.
Die Dominator-Zeiten bei Hendrick Motorsports sind derzeit also vorbei. Und auf der Suche nach einem Powerhouse-Nachfolger wird man schnell fündig: Joe Gibbs Racing und deren bärenstarke Toyota-Triebwerke.
Fünf bärenstarke Toyotas
Noch vor einigen Jahren stellten Kyle Busch und Denny Hamlin ein vielleicht zu junges Duo dar, dem es gegen Johnson, Earnhardt, Jeff Gordon und auch Mark Martin noch an Konstanz fehlte.
Aber dann lotste Joe Gibbs nacheinander die erfahrenen Matt Kenseth (2013) und Carl Edwards (2015) zum Toyota-Flagschiff. Dieser Schachzug brachte jede Menge Erfahrung ins junge Gibbs-Team (und gleichzeitig die Ford-Truppe von Jack Roush in arge Probleme).
Dazu kommt: Nach dem NASCAR-Aus von Michael Waltrip Racing fand Toyota die letzte Ergänzung im neuen Kundenteam von Furniture Row Racing, wo Martin Truex Jr. als Einzelkämpfer eine tadellose Rolle spielen kann.
Wobei der Begriff Einzelkämpfer natürlich dehnbar ist, wenn man sich das nahezu perfekte Zusammenspiel der fünf starken Toyotas vor allem auf den Superspeedways von Daytona und Talladega vor Augen führt.
Team Penske auf Augenhöhe
Ebenfalls auf der Höhe des Geschehens präsentiert sich Team Penske, wo vor allem Brad Keselowski derzeit ein absolutes Sommerhoch erlebt.
Nach dem Doppelschlag von Daytona und Kentucky hat sich Keselowski mit nunmehr vier Saisonsiegen an die alleinige Spitze der Chase-Setzliste gefahren und damit Kyle Busch (drei Saisonsiege) abgelöst.
"Das ist großartig", sagte der NASCAR-Champion des Jahres 2012. "Aber wir müssen jetzt bis in den Herbst hinein dranbleiben, denn dann erst wird es richtig wichtig."
Vor allem, wenn es ab Mitte September in den Chase geht, in dem auch sein Teamkollege Joey Logano mitmischen wird, obwohl es bei der Startnummer 22 bisher wesentlich holpriger läuft.
Logano musste ungewöhnlich lange, bis Michigan Mitte Juni, auf seinen ersten Saisonsieg warten. Spötter unkten bereits, ob der aktuelle NASCAR-Bösewicht nach den Kenseth-Querelen aus dem Herbst 2015 vielleicht sein "Mojo" verloren habe.
Doch alle vermeintlichen Vodoo-Künste waren vergebens: Auch Logano hat sein Playoff-Ticket sicher in der Tasche und so darf man durchaus erwarten, dass Team Penske der große Gegenspieler der Gibbs-Truppe werden wird.
Verfolger Stewart/Haas
Und wo genau in diesem Kräfte-Gemenge befindet sich Stewart/Haas Racing? Dies ist vielleicht die interessanteste Performance-Frage von Saisonhälfte zwei, wie ein Blick auf die aktuelle Punkte-Tabelle unterstreicht.
Denn dort befinden sich mit Kevin Harvick und Kurt Busch zwei extrem konstant agierende Stewart/Haas-Piloten ganz weit vorne.
Beide fuhren zwar nur einmal in die Victory Lane (Harvick in Phoenix, Kurt Bush in Pocono), doch Platzierungen außerhalb der Top 10 sind eher Mangelware.
Umgekehrt landete Harvick in 14 von 18 Saisonrennen in den Top 10, im Fall von Kurt Busch lautet die Quote gar 15 von 18!
Bezogen auf die deutliche Siegesgewichtung im aktuellen NASCAR-Prozedere bedeutet dies: Das so konstante Stewart/Haas-Doppel ist der erste Verfolger von Joe Gibbs Racing und Team Penske.
Graues Mittelfeld
Und was ist mit dem Rest der Sprint-Cup-Meute?
Nicht viel bis ganz wenig. Weder Childress noch Roush oder Ganassi gelang bisher ein Achtungserfolg.
Austin Dillon (Talladega) und zuletzt Ryan Newman im Spritpoker von Kentucky holten für das Childress-Team je einmal einen dritten Platz.
Im Roush-Team sorgte Trevor Bayne (Daytona) einmal für Position drei, während etwa Greg Biffle, der einzig verbliebene Routinier, noch nicht einmal die Top 5 knacken konnte.
Am besten steht da noch die Ganassi-Truppe in Person von Kyle Larson da: Rang zwei in Dover und zweimal Platz drei in Martinsville und Michigan.
Graues Mittelfeld nennt man so etwas wohl und es gibt kaum Indizien dafür, dass der Abstand zu Gibbs, Penske und Co. in irgendeiner Form eingebremst werden kann.
Dies gilt übrigens auch für Danica Patrick, die 2016 noch nicht einmal eine Top-10-Platzierung vorweisen kann.
Ein ähnliches Schicksal erleidet der mit hoffnungslos unterlegenem Material fahrende Clint Bowyer, der sich jedoch wenigstens dreimal in die Top 10 schmuggeln konnte.
Tony Stewart als Favoritenkiller?
Und wer könnte sich zum großen Hecht im Karpfenteich der "Big-Boys" aufschwingen?
Da kann es 2016 nur einen Namen geben. Tony Stewart.
"Smoke" hat nach seinem sensationellen Sonoma-Erfolg offensichtich Lunte gerochen und sich mit Rang fünf in Kentucky deutlich in die Top 30 der Gesamtwertung hineingefahren.
Es ist Stewarts Abschiedssaison, es dürfte sicher sein, dass er ein Playoff-Ticket lösen wird und mangels Alternativen ist er der Top-Favorit für einen Außenseiter-Coup.
"Smoke": Die Karriere von Tony Stewart
Was bleibt also festzuhalten?
Angesichts der Toyota- und Ford-Dominanz könnte Chevy tatsächlich Schwierigkeiten bekommen, wenigstens einen Teilnehmer für die Final-Four von Homestead zu stellen.
Glücklicherweise würde ein weiterer Harvick-Sieg auf dessen Spezialstrecke in Phoenix reichen.
Aber das bisherige Bild des NASCAR-Jahres 2016 ist ein anderes: Wer den Titel holen möchte, muss an der Gibbs- und Penske-Fraktion vorbei.
Toyota gegen Ford. Eben eine etwas andere NASCAR-Saison...
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