Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Nyck de Vries
Ein spontaner Einsatz wird zur Bewerbungsfahrt für 2023: Wie Nyck de Vries seine Chance als Vertretung von Alexander Albon bei Williams genutzt hat
Liebe Leser,
ja, natürlich: Max Verstappen wird nach dem Italien-Grand-Prix 2022 in Monza eine sehr ruhige Nacht verbracht haben. Bei inzwischen 116 Punkten Vorsprung in der Formel-1-Fahrerwertung ist längst klar, dass er die WM-Titelverteidigung schaffen wird. Offen ist nur, wann er es besiegelt. Aber Spoiler: Nach Amerika reist er ziemlich sicher als zweimaliger Weltmeister.
Spannender als der Titelkampf ist in diesem Jahr die "Silly-Season" (hier ein aktueller Überblick über die noch freien Cockpits!), die mit dem Alonso-Wechsel am Tag nach dem Ungarn-Grand-Prix so richtig in Schwung gekommen ist. Und seit dem Rennen in Monza ist ein neuer Player involviert, der seine Chance perfekt genutzt hat: Nyck de Vries.
Der 27-jährige Niederländer war, na klar, auch vorher schon ein Thema in der Formel 1. Er hat 2019 die Formel 2 gewonnen, 2020/2021 die erste Formel-E-Weltmeisterschaft. So jemand ist dann auch in der Grand-Prix-Szene ein Begriff, zumal als Mercedes-Kaderfahrer, dem Mercedes bislang aber kein Formel-1-Cockpit sichern konnte.
Der erste Renneinsatz in der Formel 1, ganz spontan
Jetzt aber hat de Vries neue Fakten geschaffen, und wie: Am Freitag noch Testfahrer bei Aston Martin im ersten Freien Training; ab Samstagmorgen Ersatzmann bei Williams, weil sich bei Alexander Albon der Blinddarm gemeldet hatte. Und schwupps ist sie da, die große Formel-1-Chance, die "Visitenkarte", die man gerne abgeben würde, aber die nicht jeder hat.
De Vries hat diese Chance genutzt, zwar nicht fehlerfrei, doch das konnte auch niemand erwarten von einem Fahrer, der bei Williams zum Beispiel nicht mal ein eigenes Lenkrad verwendete, sondern eines von Nicholas Latifi. Und dessen Hände seien "doppelt so groß" wie seine eigenen, sagte de Vries nach dem Rennen.
Wenn man das Sportgerät also nicht im Detail kennt und nicht weiß, wie es tickt, dann kann man ausgangs der Lesmo-Kurven in Monza schon mal im Kiesbett landen, wie es de Vries passiert ist. Beeindruckt hat mich dabei vor allem: Er hat sich von diesem kleinen Fehltritt nicht verunsichern lassen und weiter draufgedrückt, vor allem im Qualifying.
Ein Denkzettel für Latifi und Williams
Und das ist schon mal ein Wort, dem Williams-Stammfahrer Latifi vier Zehntel aufzudrücken in Q1. Ja, die Runde hat nicht gezählt – Tracklimits –, aber selbst die zweitbeste war gut genug zum Weiterkommen. Eine größere Watschen für Latifi kann man sich kaum vorstellen.
Natürlich ist de Vries die achte Startposition für das Rennen dann teilweise in den Schoß gefallen, weil andere Fahrer nach hinten versetzt worden sind. Allerdings hat er sich mit dem guten Qualifying selbst in die Situation gebracht, dass er davon profitieren konnte, und das Rennen hat er dann sehr solide zu Ende gebracht.
Wenn man bedenkt, was da alles schiefgehen kann, wenn man sich erstmals in einem Grand Prix befindet: der Start, der Boxenstopp, vielleicht auch mal ein Zweikampf auf der Strecke. Dann hat de Vries bei seinem ersten Formel-1-Rennen sehr viel richtig gemacht. Auch durch "intensives Coaching" von der Williams-Crew, wie er selbst sagt, weil vorab keine Zeit gewesen war für lange Erläuterungen.
Und dann ist ein modernes Formel-1-Auto ja auch nicht "plug and play" für einen Neuling, sondern ein komplexes Gerät, gerade beim Antrieb und der Energierückgewinnung. Aber all das hatte de Vries ebenfalls gut im Griff. So gut, dass er am Ende P9 ins Ziel gebracht und zwei Punkte mitgenommen hat. Das kann sich sehen lassen.
Eine bessere Werbung gibt es nicht
Vor allem aber: Das ist ein Argument, mit dem du hausieren gehen kannst. Denn: "Diese Punkte nimmt uns keiner mehr", sagt de Vries zurecht, er ist damit eine feste Größe. Hat gleich mal seinen "Claim" abgesteckt in der Formel 1, das "Risiko" für ein Team bei einer möglichen Verpflichtung für 2023 abgesenkt. Fehlt nur noch das Cockpit, dass er nächstes Jahr daran anknüpfen kann.
An dieser Stelle ist jetzt Jost Capito gefragt: Wenn er Williams wirklich wieder fit machen will für die Zukunft, dann muss er sich endlich von Latifi verabschieden, wie mein Kollege Christian Nimmervoll schon in der vergangenen Woche geschrieben hat. Aber nach Monza kann sich Capito sicher sein, mit de Vries keinen Rückschritt zu machen – eher das Gegenteil.
Für de Vries selbst heißt das: Er hat Werbung in eigener Sache betrieben. Mercedes-Sportchef Toto Wolff stellt da zurecht – und natürlich ein bisschen befangen, weil de Vries ein Mercedes-Kaderfahrer ist – die Frage: "Was mehr muss [Nyck] tun", um 2023 in der Formel 1 zu landen?
Die Antwort darauf müssen jetzt andere geben. Capito zum Beispiel. Aber de Vries wird in der Nacht zum Montag nach dem Grand Prix in Monza sehr gut geschlafen haben, in dem Wissen, das Tor zur Formel 1 weiter aufgestoßen zu haben denn je. Wenn er mal eine echte Chance hatte auf einen Stammplatz, dann jetzt.
Und wer in der Nacht vor dem ersten Grand Prix "vor Anspannung und Nervosität", so de Vries, praktisch kein Auge zugemacht hat, der hatte nach dem ersten Grand Prix sicher erhöhten Schlafbedarf. Also kein Zweifel: Nyck de Vries hat heute Nacht am allerbesten geschlafen!
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Und wer nach dem Rennen in Monza nicht gut geschlafen hat? Das erfahrt ihr wie immer in der Schwesterkolumne von Chefredakteur Christian Nimmervoll auf Motorsport-Total.com. Hier klicken!
Euer
Stefan Ehlen
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